liegenden erfrornen Blätter; ihr Geräusch weckt auch mich, und zwar aus dem Zwei- felstraume, in den mich die sich widerspre- chenden Gerüchte über den großen Krieg auf russischem Boden einwiegten, indem vielfältiges Streiten über seinen Ausgang mich betäubt hatte. Nachdem ich mich wie- der wach geschüttelt, glaub ich nach wie vor, Frankreich könne nicht gewinnen, und Na- poleons großes Anstreben werde den russischen Coloß nicht zum Umfallen bringen. Selbst die Glieder, die er ihm dann und wann abhaut, fallen zerschmetternd auf die blut- jungen französischen Krieger. Der Charak- ter der russischen Großen und des Volks, die Fremdheit des Climas, das öftre Bivoua- quiren auf naßkalter Erde, die weit ausein- ander liegenden Wohnstätte der Einwohner, die Schwierigkeit der Armeeverpflegung und ihrer Vollzähligerhaltung, die der russischen Cavallerie weit an thierischen Kräften unter- geordnete Reiterey der Franzosen, von der mir einst ein kluger Pohle sagte, er müßte lachen, wenn er einen französischen Rei- ter sähe, aber weinen über das Pferd, auf dem er säße -- die größre Stoßkraft des russischen Jnfanteristen beim Gebrauch
liegenden erfrornen Blaͤtter; ihr Geraͤuſch weckt auch mich, und zwar aus dem Zwei- felstraume, in den mich die ſich widerſpre- chenden Geruͤchte uͤber den großen Krieg auf ruſſiſchem Boden einwiegten, indem vielfaͤltiges Streiten uͤber ſeinen Ausgang mich betaͤubt hatte. Nachdem ich mich wie- der wach geſchuͤttelt, glaub ich nach wie vor, Frankreich koͤnne nicht gewinnen, und Na- poleons großes Anſtreben werde den ruſſiſchen Coloß nicht zum Umfallen bringen. Selbſt die Glieder, die er ihm dann und wann abhaut, fallen zerſchmetternd auf die blut- jungen franzoͤſiſchen Krieger. Der Charak- ter der ruſſiſchen Großen und des Volks, die Fremdheit des Climas, das oͤftre Bivoua- quiren auf naßkalter Erde, die weit ausein- ander liegenden Wohnſtaͤtte der Einwohner, die Schwierigkeit der Armeeverpflegung und ihrer Vollzaͤhligerhaltung, die der ruſſiſchen Cavallerie weit an thieriſchen Kraͤften unter- geordnete Reiterey der Franzoſen, von der mir einſt ein kluger Pohle ſagte, er muͤßte lachen, wenn er einen franzoͤſiſchen Rei- ter ſaͤhe, aber weinen uͤber das Pferd, auf dem er ſaͤße — die groͤßre Stoßkraft des ruſſiſchen Jnfanteriſten beim Gebrauch
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liegenden erfrornen Blaͤtter; ihr Geraͤuſch
weckt auch mich, und zwar aus dem Zwei-
felstraume, in den mich die ſich widerſpre-
chenden Geruͤchte uͤber den großen Krieg
auf ruſſiſchem Boden einwiegten, indem
vielfaͤltiges Streiten uͤber ſeinen Ausgang
mich betaͤubt hatte. Nachdem ich mich wie-
der wach geſchuͤttelt, glaub ich nach wie vor,
Frankreich koͤnne nicht gewinnen, und Na-
poleons großes Anſtreben werde den ruſſiſchen
Coloß nicht zum Umfallen bringen. Selbſt
die Glieder, die er ihm dann und wann
abhaut, fallen zerſchmetternd auf die blut-
jungen franzoͤſiſchen Krieger. Der Charak-
ter der ruſſiſchen Großen und des Volks,
die Fremdheit des Climas, das oͤftre Bivoua-
quiren auf naßkalter Erde, die weit ausein-
ander liegenden Wohnſtaͤtte der Einwohner,
die Schwierigkeit der Armeeverpflegung und
ihrer Vollzaͤhligerhaltung, die der ruſſiſchen
Cavallerie weit an thieriſchen Kraͤften unter-
geordnete Reiterey der Franzoſen, von der
mir einſt ein kluger Pohle ſagte, er muͤßte
lachen, wenn er einen franzoͤſiſchen Rei-
ter ſaͤhe, aber weinen uͤber das Pferd,
auf dem er ſaͤße — die groͤßre Stoßkraft
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/460>, abgerufen am 22.11.2024.
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