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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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wähnten wahrlich großen Künstlerin Hen-
riette Schütz hat mich gar nicht gehindert,
an einigen derselben recht großes Vergnügen
zu finden, ob sie gleich die Besorgniß erreg-
ten, daß die Lust sie nachzumachen den Sit-
ten Jhrer Zeitgenossen nachtheilige Versuche
auf die Bahn bringen könnte -- daß Ma-
dame Schütz, diese sehr interessante geniali-
sche Frau, die Grenzen der mimischen Kunst
sehr erweitert, ist nicht zu leugnen, es
fragt sich aber, ob es nicht besser wäre,
wenn man den malerischen Ausdruck der
leiblichen und geistigen Menschengestalt der
Malerey und Sculptur, ob sie gleich nur
immer Einen Moment benutzen können,
ausschließlich überliesse? Jn der fortschrei-
tenden Darstellung scheint mir eine Art von
Verführung zu liegen, deren man die Ma-
lerey und Sculptur beynah gar nicht, die
Tanzkunst aber desto öftrer beschuldigt, und
die man meines Erachtens vergeblich mit
dem Vortheil, den sie der Schauspielkunst
bringen soll, entschuldigt. -- Mir wenig-
stens scheint es für die dramatische Vorstel-
lung gefährlich, sehr viel von ihrer Dar-
stellung aufzunehmen -- weil ein so tiefes
Eindringen in die Gefühle, Minen und

waͤhnten wahrlich großen Kuͤnſtlerin Hen-
riette Schuͤtz hat mich gar nicht gehindert,
an einigen derſelben recht großes Vergnuͤgen
zu finden, ob ſie gleich die Beſorgniß erreg-
ten, daß die Luſt ſie nachzumachen den Sit-
ten Jhrer Zeitgenoſſen nachtheilige Verſuche
auf die Bahn bringen koͤnnte — daß Ma-
dame Schuͤtz, dieſe ſehr intereſſante geniali-
ſche Frau, die Grenzen der mimiſchen Kunſt
ſehr erweitert, iſt nicht zu leugnen, es
fragt ſich aber, ob es nicht beſſer waͤre,
wenn man den maleriſchen Ausdruck der
leiblichen und geiſtigen Menſchengeſtalt der
Malerey und Sculptur, ob ſie gleich nur
immer Einen Moment benutzen koͤnnen,
ausſchließlich uͤberlieſſe? Jn der fortſchrei-
tenden Darſtellung ſcheint mir eine Art von
Verfuͤhrung zu liegen, deren man die Ma-
lerey und Sculptur beynah gar nicht, die
Tanzkunſt aber deſto oͤftrer beſchuldigt, und
die man meines Erachtens vergeblich mit
dem Vortheil, den ſie der Schauſpielkunſt
bringen ſoll, entſchuldigt. — Mir wenig-
ſtens ſcheint es fuͤr die dramatiſche Vorſtel-
lung gefaͤhrlich, ſehr viel von ihrer Dar-
ſtellung aufzunehmen — weil ein ſo tiefes
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[428/0445] waͤhnten wahrlich großen Kuͤnſtlerin Hen- riette Schuͤtz hat mich gar nicht gehindert, an einigen derſelben recht großes Vergnuͤgen zu finden, ob ſie gleich die Beſorgniß erreg- ten, daß die Luſt ſie nachzumachen den Sit- ten Jhrer Zeitgenoſſen nachtheilige Verſuche auf die Bahn bringen koͤnnte — daß Ma- dame Schuͤtz, dieſe ſehr intereſſante geniali- ſche Frau, die Grenzen der mimiſchen Kunſt ſehr erweitert, iſt nicht zu leugnen, es fragt ſich aber, ob es nicht beſſer waͤre, wenn man den maleriſchen Ausdruck der leiblichen und geiſtigen Menſchengeſtalt der Malerey und Sculptur, ob ſie gleich nur immer Einen Moment benutzen koͤnnen, ausſchließlich uͤberlieſſe? Jn der fortſchrei- tenden Darſtellung ſcheint mir eine Art von Verfuͤhrung zu liegen, deren man die Ma- lerey und Sculptur beynah gar nicht, die Tanzkunſt aber deſto oͤftrer beſchuldigt, und die man meines Erachtens vergeblich mit dem Vortheil, den ſie der Schauſpielkunſt bringen ſoll, entſchuldigt. — Mir wenig- ſtens ſcheint es fuͤr die dramatiſche Vorſtel- lung gefaͤhrlich, ſehr viel von ihrer Dar- ſtellung aufzunehmen — weil ein ſo tiefes Eindringen in die Gefuͤhle, Minen und

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/445>, abgerufen am 21.05.2024.