meine Augen traurig nach der Stelle, wo dies Thierchen zu liegen pflegte!
Der Gedanke, daß ich vielleicht näch- stens ohne einen einzigen Jugendfreund allein stehen werde, schlägt mich oft nieder, und Montaigne's Versicherung: "ge- storben seyn sey nichts, aber das Sterben sey so eine Sache," möcht ich lieber so aus- drücken: das Sterben sey nichts, aber das Lebenbleiben, nach dem die uns lieb waren gestorben sind, sey eine schlimme Sache -- die Wahrheit dieser Bemerkung hab ich sehr lebhaft empfunden:
a) den 29. Novbr. 1790 beim Tode mei- ner Schwester Justina, die ein kluges braves Weib war;
b) den 23. April 1796, als Hippel starb;
c) den 19. Sept. 1801, als der Hospi- talpfarrer Fischer das Leben verließ. Ein von allen Seiten vortrefflicher Mann, reich an natürlicher Einsicht und an wissenschaftlichen Kenntnissen, ohne auf beyde groß zu thun; im höch- sten Grad aufrichtig und wahr. Jm Ernst mild wie Honigseim, im Scherz zart wie ein Vergißmein nicht, auf dessen Worte und Werke die Begriffe
meine Augen traurig nach der Stelle, wo dies Thierchen zu liegen pflegte!
Der Gedanke, daß ich vielleicht naͤch- ſtens ohne einen einzigen Jugendfreund allein ſtehen werde, ſchlaͤgt mich oft nieder, und Montaigne’s Verſicherung: „ge- ſtorben ſeyn ſey nichts, aber das Sterben ſey ſo eine Sache,“ moͤcht ich lieber ſo aus- druͤcken: das Sterben ſey nichts, aber das Lebenbleiben, nach dem die uns lieb waren geſtorben ſind, ſey eine ſchlimme Sache — die Wahrheit dieſer Bemerkung hab ich ſehr lebhaft empfunden:
a) den 29. Novbr. 1790 beim Tode mei- ner Schweſter Juſtina, die ein kluges braves Weib war;
b) den 23. April 1796, als Hippel ſtarb;
c) den 19. Sept. 1801, als der Hospi- talpfarrer Fiſcher das Leben verließ. Ein von allen Seiten vortrefflicher Mann, reich an natuͤrlicher Einſicht und an wiſſenſchaftlichen Kenntniſſen, ohne auf beyde groß zu thun; im hoͤch- ſten Grad aufrichtig und wahr. Jm Ernſt mild wie Honigſeim, im Scherz zart wie ein Vergißmein nicht, auf deſſen Worte und Werke die Begriffe
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meine Augen traurig nach der Stelle, wo
dies Thierchen zu liegen pflegte!
Der Gedanke, daß ich vielleicht naͤch-
ſtens ohne einen einzigen Jugendfreund
allein ſtehen werde, ſchlaͤgt mich oft nieder,
und Montaigne’s Verſicherung: „ge-
ſtorben ſeyn ſey nichts, aber das Sterben
ſey ſo eine Sache,“ moͤcht ich lieber ſo aus-
druͤcken: das Sterben ſey nichts, aber das
Lebenbleiben, nach dem die uns lieb waren
geſtorben ſind, ſey eine ſchlimme Sache —
die Wahrheit dieſer Bemerkung hab ich ſehr
lebhaft empfunden:
a) den 29. Novbr. 1790 beim Tode mei-
ner Schweſter Juſtina, die ein kluges
braves Weib war;
b) den 23. April 1796, als Hippel ſtarb;
c) den 19. Sept. 1801, als der Hospi-
talpfarrer Fiſcher das Leben verließ.
Ein von allen Seiten vortrefflicher
Mann, reich an natuͤrlicher Einſicht
und an wiſſenſchaftlichen Kenntniſſen,
ohne auf beyde groß zu thun; im hoͤch-
ſten Grad aufrichtig und wahr. Jm
Ernſt mild wie Honigſeim, im Scherz
zart wie ein Vergißmein nicht, auf
deſſen Worte und Werke die Begriffe
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/399>, abgerufen am 25.11.2024.
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