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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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Prima wurde zwar das in Secunda ange-
fangne Hebräische und Griechische fortgesetzt,
da ich aber ein Jurist werden wollte, und
man damals in dem Wahn lebte, beyde
Sprachen wären einem Juristen ganz unnütz,
so ließ ich ersteres ganz fahren, und das
bloße Exponiren des neuen Testaments bey
einem Lehrer, der sich Luthers Uebersetzung
in seinem Exemplar zwischen die Reihen ge-
schrieben hatte, konnte mich wohl nicht zum
Erlernen dieser herrlichen Sprache, deren
Unkenntniß ich lebenslang bereuen werde,
ermuntern. Jch denke mir noch immer ei-
nen großen Unterschied zwischen dem Lesen
des Homer im Original und in Vossens
Uebersetzung, glaube aber doch, die Vossische
vom Homer und die Woltmannsche vom
Tacitus werden demjenigen, der sein Schul-
latein und Griechsches ziemlich vergessen hat,
helfen, beyde Schriftsteller ganz zu verste-
hen und sogar manches klarer zu denken,
als es die sachverständigen Uebersetzer aus-
zudrücken vermochten, weil sie doch immer
nur Einen Ausdruck für die ofte Vielseitig-
keit des Gedankens im Original wählen
konnten. Seitdem ich indessen Wolfs Ueber-
setzung der Wolken des Aristophanes gelesen,

Prima wurde zwar das in Secunda ange-
fangne Hebraͤiſche und Griechiſche fortgeſetzt,
da ich aber ein Juriſt werden wollte, und
man damals in dem Wahn lebte, beyde
Sprachen waͤren einem Juriſten ganz unnuͤtz,
ſo ließ ich erſteres ganz fahren, und das
bloße Exponiren des neuen Teſtaments bey
einem Lehrer, der ſich Luthers Ueberſetzung
in ſeinem Exemplar zwiſchen die Reihen ge-
ſchrieben hatte, konnte mich wohl nicht zum
Erlernen dieſer herrlichen Sprache, deren
Unkenntniß ich lebenslang bereuen werde,
ermuntern. Jch denke mir noch immer ei-
nen großen Unterſchied zwiſchen dem Leſen
des Homer im Original und in Voſſens
Ueberſetzung, glaube aber doch, die Voſſiſche
vom Homer und die Woltmannſche vom
Tacitus werden demjenigen, der ſein Schul-
latein und Griechſches ziemlich vergeſſen hat,
helfen, beyde Schriftſteller ganz zu verſte-
hen und ſogar manches klarer zu denken,
als es die ſachverſtaͤndigen Ueberſetzer aus-
zudruͤcken vermochten, weil ſie doch immer
nur Einen Ausdruck fuͤr die ofte Vielſeitig-
keit des Gedankens im Original waͤhlen
konnten. Seitdem ich indeſſen Wolfs Ueber-
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[20/0037] Prima wurde zwar das in Secunda ange- fangne Hebraͤiſche und Griechiſche fortgeſetzt, da ich aber ein Juriſt werden wollte, und man damals in dem Wahn lebte, beyde Sprachen waͤren einem Juriſten ganz unnuͤtz, ſo ließ ich erſteres ganz fahren, und das bloße Exponiren des neuen Teſtaments bey einem Lehrer, der ſich Luthers Ueberſetzung in ſeinem Exemplar zwiſchen die Reihen ge- ſchrieben hatte, konnte mich wohl nicht zum Erlernen dieſer herrlichen Sprache, deren Unkenntniß ich lebenslang bereuen werde, ermuntern. Jch denke mir noch immer ei- nen großen Unterſchied zwiſchen dem Leſen des Homer im Original und in Voſſens Ueberſetzung, glaube aber doch, die Voſſiſche vom Homer und die Woltmannſche vom Tacitus werden demjenigen, der ſein Schul- latein und Griechſches ziemlich vergeſſen hat, helfen, beyde Schriftſteller ganz zu verſte- hen und ſogar manches klarer zu denken, als es die ſachverſtaͤndigen Ueberſetzer aus- zudruͤcken vermochten, weil ſie doch immer nur Einen Ausdruck fuͤr die ofte Vielſeitig- keit des Gedankens im Original waͤhlen konnten. Seitdem ich indeſſen Wolfs Ueber- ſetzung der Wolken des Ariſtophanes geleſen,

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/37>, abgerufen am 19.04.2024.