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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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einanderfolgen die Besonnenheit und Be-
reuung des Vergangnen zu vermeiden? Ent-
steht nicht aus dieser Zerstreuungssucht die
fast gänzliche Vergessenheit aller ernsthaften
Haus- und Lebenspflichten? Die mehresten
Hofleute liegen an der fixen Jdee krank,
daß alles, was die außerhöfische Welt besitzt,
denkt, erwirbt, nur da ist, um vom Hofe
requirirt und zur Befriedigung seiner üppi-
gen, sich einander jagenden Einfälle ver-
wandt zu werden?

Wer Hofdienerey, hohe und niedre, nicht
aus Noth übernimmt, mit dem steht es ent-
weder im Kopf oder im Herzen, oft in
beyden, nicht ganz recht. Die Prinzessin
Solms lachte einst gar sehr, als ich ihr
sehr ernsthaft versicherte, ich möchte um kei-
nen Preis Kammerherr oder Hofdame seyn.
Der Unbefangne muß sich ärgern oder la-
chen beym Anblick der Wichtigkeit, welche
die Hofdienerschaft auf ihre unbeträchtlichen
Geschäfte legt, und was für kleine Künste
sie anwendet, um die Person der königlichen
Herrschaft immer zum Schilde vor sich zu
stellen, um dadurch schußfrey zu werden.

Wird dieser Geist des Hoflebens nicht

einanderfolgen die Beſonnenheit und Be-
reuung des Vergangnen zu vermeiden? Ent-
ſteht nicht aus dieſer Zerſtreuungsſucht die
faſt gaͤnzliche Vergeſſenheit aller ernſthaften
Haus- und Lebenspflichten? Die mehreſten
Hofleute liegen an der fixen Jdee krank,
daß alles, was die außerhoͤfiſche Welt beſitzt,
denkt, erwirbt, nur da iſt, um vom Hofe
requirirt und zur Befriedigung ſeiner uͤppi-
gen, ſich einander jagenden Einfaͤlle ver-
wandt zu werden?

Wer Hofdienerey, hohe und niedre, nicht
aus Noth uͤbernimmt, mit dem ſteht es ent-
weder im Kopf oder im Herzen, oft in
beyden, nicht ganz recht. Die Prinzeſſin
Solms lachte einſt gar ſehr, als ich ihr
ſehr ernſthaft verſicherte, ich moͤchte um kei-
nen Preis Kammerherr oder Hofdame ſeyn.
Der Unbefangne muß ſich aͤrgern oder la-
chen beym Anblick der Wichtigkeit, welche
die Hofdienerſchaft auf ihre unbetraͤchtlichen
Geſchaͤfte legt, und was fuͤr kleine Kuͤnſte
ſie anwendet, um die Perſon der koͤniglichen
Herrſchaft immer zum Schilde vor ſich zu
ſtellen, um dadurch ſchußfrey zu werden.

Wird dieſer Geiſt des Hoflebens nicht

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[296/0313] einanderfolgen die Beſonnenheit und Be- reuung des Vergangnen zu vermeiden? Ent- ſteht nicht aus dieſer Zerſtreuungsſucht die faſt gaͤnzliche Vergeſſenheit aller ernſthaften Haus- und Lebenspflichten? Die mehreſten Hofleute liegen an der fixen Jdee krank, daß alles, was die außerhoͤfiſche Welt beſitzt, denkt, erwirbt, nur da iſt, um vom Hofe requirirt und zur Befriedigung ſeiner uͤppi- gen, ſich einander jagenden Einfaͤlle ver- wandt zu werden? Wer Hofdienerey, hohe und niedre, nicht aus Noth uͤbernimmt, mit dem ſteht es ent- weder im Kopf oder im Herzen, oft in beyden, nicht ganz recht. Die Prinzeſſin Solms lachte einſt gar ſehr, als ich ihr ſehr ernſthaft verſicherte, ich moͤchte um kei- nen Preis Kammerherr oder Hofdame ſeyn. Der Unbefangne muß ſich aͤrgern oder la- chen beym Anblick der Wichtigkeit, welche die Hofdienerſchaft auf ihre unbetraͤchtlichen Geſchaͤfte legt, und was fuͤr kleine Kuͤnſte ſie anwendet, um die Perſon der koͤniglichen Herrſchaft immer zum Schilde vor ſich zu ſtellen, um dadurch ſchußfrey zu werden. Wird dieſer Geiſt des Hoflebens nicht

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/313>, abgerufen am 21.05.2024.