behaglich zugebracht. Sie machte beym Le- sen und den, mehrentheils weit länger dau- renden Gesprächen manche sehr treffende Bemerkung, sprach über Hof-, Zeit- und Lebensumstände so richtig, daß ich ihr manch- mal sehr rücksichtslos mein Verwundern über manches Zeitbenehmen nicht verbergen konn- te, zu dessen Aufschluß sie mir die vieljäh- rige Gewohnheit, den dadurch vom ange- bornen verschieden gewordnen Charakter, auch wohl die Pflicht einer Ehefrau, sich ganz dem Geschmack ihres Mannes zu fü- gen und selbst die Dinge, die ihr viel und wahres Vergnügen machten, dem aufzuopfern, was sie ihm zur Beruhigung oder Zeitkür- zung nützlich oder nöthig hält, angab. Von letzterer schien sie so unüberwindlich über- zeugt, wie ich es davon bin, daß ein Re- gent, der es mit dem wahren Regieren ernstlich meint, es nie nöthig haben darf, soll und wird, die Zeitvertreibe seiner Ge- mahlin zu unterbrechen oder letztere mit zu den seinigen zu machen. Sie hindern sich meines Erachtens dadurch beyde an den wah- ren Standes- und Geschlechtsgenüssen. -- -- Augen von einem freyern, reinern Blick, eine frohere, fast die Kindlichkeit erreichende
behaglich zugebracht. Sie machte beym Le- ſen und den, mehrentheils weit laͤnger dau- renden Geſpraͤchen manche ſehr treffende Bemerkung, ſprach uͤber Hof-, Zeit- und Lebensumſtaͤnde ſo richtig, daß ich ihr manch- mal ſehr ruͤckſichtslos mein Verwundern uͤber manches Zeitbenehmen nicht verbergen konn- te, zu deſſen Aufſchluß ſie mir die vieljaͤh- rige Gewohnheit, den dadurch vom ange- bornen verſchieden gewordnen Charakter, auch wohl die Pflicht einer Ehefrau, ſich ganz dem Geſchmack ihres Mannes zu fuͤ- gen und ſelbſt die Dinge, die ihr viel und wahres Vergnuͤgen machten, dem aufzuopfern, was ſie ihm zur Beruhigung oder Zeitkuͤr- zung nuͤtzlich oder noͤthig haͤlt, angab. Von letzterer ſchien ſie ſo unuͤberwindlich uͤber- zeugt, wie ich es davon bin, daß ein Re- gent, der es mit dem wahren Regieren ernſtlich meint, es nie noͤthig haben darf, ſoll und wird, die Zeitvertreibe ſeiner Ge- mahlin zu unterbrechen oder letztere mit zu den ſeinigen zu machen. Sie hindern ſich meines Erachtens dadurch beyde an den wah- ren Standes- und Geſchlechtsgenuͤſſen. — — Augen von einem freyern, reinern Blick, eine frohere, faſt die Kindlichkeit erreichende
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behaglich zugebracht. Sie machte beym Le-
ſen und den, mehrentheils weit laͤnger dau-
renden Geſpraͤchen manche ſehr treffende
Bemerkung, ſprach uͤber Hof-, Zeit- und
Lebensumſtaͤnde ſo richtig, daß ich ihr manch-
mal ſehr ruͤckſichtslos mein Verwundern uͤber
manches Zeitbenehmen nicht verbergen konn-
te, zu deſſen Aufſchluß ſie mir die vieljaͤh-
rige Gewohnheit, den dadurch vom ange-
bornen verſchieden gewordnen Charakter,
auch wohl die Pflicht einer Ehefrau, ſich
ganz dem Geſchmack ihres Mannes zu fuͤ-
gen und ſelbſt die Dinge, die ihr viel und
wahres Vergnuͤgen machten, dem aufzuopfern,
was ſie ihm zur Beruhigung oder Zeitkuͤr-
zung nuͤtzlich oder noͤthig haͤlt, angab. Von
letzterer ſchien ſie ſo unuͤberwindlich uͤber-
zeugt, wie ich es davon bin, daß ein Re-
gent, der es mit dem wahren Regieren
ernſtlich meint, es nie noͤthig haben darf,
ſoll und wird, die Zeitvertreibe ſeiner Ge-
mahlin zu unterbrechen oder letztere mit zu
den ſeinigen zu machen. Sie hindern ſich
meines Erachtens dadurch beyde an den wah-
ren Standes- und Geſchlechtsgenuͤſſen. — —
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/284>, abgerufen am 27.11.2024.
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