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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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ten schrieben, hielt es aber in spätern doch
für Jndiscretion, sogar für eine Lächerlich-
keit, sie wie fremde Thiere beschauen zu ge-
hen, und vermied daher solche Hausvisita-
tionen. Spalding, der schon damals
sehr selten predigte, blieb mir daher unbe-
kannt. Jndessen ward ich doch auf meiner
ersten Fahrt näher bekannt mit dem alten
Voß, den ich den personifizirten bon sens
nennen möchte, und der dieser Verständig-
keit wegen bey den vorzüglichsten Standes-
personen in bedeutendem Ansehen lebte. An
ihn hatte mir Hippel Aufträge gegeben, aber
alle Versicherungen wollten ihn nicht von
der Meinung abbringen, daß ich selbst Ver-
fasser des Büchleins über die Ehe wäre;
welchen Glauben sich auch der Rigaische
Stadtsecretair Behrend, mit dem ich in
Berlin viel Umgang hatte, nicht wollte neh-
men lassen, wie ich aus seinen später ge-
druckten Bonhomien ersehen habe.

Am Tische bey Voß sah ich zum ersten
Male den Professor Engel, dessen hypo-
chondrische Anwandlungen seinen Freunden
oft viel zu schaffen machten. Mit mir ließ
er sich indessen gar gefällig ein. Stunden-
lange Unterhandlungen auf seinem Zimmer

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ten ſchrieben, hielt es aber in ſpaͤtern doch
fuͤr Jndiscretion, ſogar fuͤr eine Laͤcherlich-
keit, ſie wie fremde Thiere beſchauen zu ge-
hen, und vermied daher ſolche Hausviſita-
tionen. Spalding, der ſchon damals
ſehr ſelten predigte, blieb mir daher unbe-
kannt. Jndeſſen ward ich doch auf meiner
erſten Fahrt naͤher bekannt mit dem alten
Voß, den ich den perſonifizirten bon ſens
nennen moͤchte, und der dieſer Verſtaͤndig-
keit wegen bey den vorzuͤglichſten Standes-
perſonen in bedeutendem Anſehen lebte. An
ihn hatte mir Hippel Auftraͤge gegeben, aber
alle Verſicherungen wollten ihn nicht von
der Meinung abbringen, daß ich ſelbſt Ver-
faſſer des Buͤchleins uͤber die Ehe waͤre;
welchen Glauben ſich auch der Rigaiſche
Stadtſecretair Behrend, mit dem ich in
Berlin viel Umgang hatte, nicht wollte neh-
men laſſen, wie ich aus ſeinen ſpaͤter ge-
druckten Bonhomien erſehen habe.

Am Tiſche bey Voß ſah ich zum erſten
Male den Profeſſor Engel, deſſen hypo-
chondriſche Anwandlungen ſeinen Freunden
oft viel zu ſchaffen machten. Mit mir ließ
er ſich indeſſen gar gefaͤllig ein. Stunden-
lange Unterhandlungen auf ſeinem Zimmer

M 2
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[179/0196] ten ſchrieben, hielt es aber in ſpaͤtern doch fuͤr Jndiscretion, ſogar fuͤr eine Laͤcherlich- keit, ſie wie fremde Thiere beſchauen zu ge- hen, und vermied daher ſolche Hausviſita- tionen. Spalding, der ſchon damals ſehr ſelten predigte, blieb mir daher unbe- kannt. Jndeſſen ward ich doch auf meiner erſten Fahrt naͤher bekannt mit dem alten Voß, den ich den perſonifizirten bon ſens nennen moͤchte, und der dieſer Verſtaͤndig- keit wegen bey den vorzuͤglichſten Standes- perſonen in bedeutendem Anſehen lebte. An ihn hatte mir Hippel Auftraͤge gegeben, aber alle Verſicherungen wollten ihn nicht von der Meinung abbringen, daß ich ſelbſt Ver- faſſer des Buͤchleins uͤber die Ehe waͤre; welchen Glauben ſich auch der Rigaiſche Stadtſecretair Behrend, mit dem ich in Berlin viel Umgang hatte, nicht wollte neh- men laſſen, wie ich aus ſeinen ſpaͤter ge- druckten Bonhomien erſehen habe. Am Tiſche bey Voß ſah ich zum erſten Male den Profeſſor Engel, deſſen hypo- chondriſche Anwandlungen ſeinen Freunden oft viel zu ſchaffen machten. Mit mir ließ er ſich indeſſen gar gefaͤllig ein. Stunden- lange Unterhandlungen auf ſeinem Zimmer M 2

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/196>, abgerufen am 03.05.2024.