Neumann ging einige Tage vor mir zur Armee des Prinzen Heinrichs ab, wur- de bey der Kleistischen Jnfanterie angestellt und als Adjutant einige Monate nachher gefangen nach Crems geschickt. Jch fuhr auf der Post nach Meißen, wo das Haupt- quartier des Königs war. Da ich durch meinen Freund L'Estocq eine Adresse an den alten Ziethen bekam, meine Kurzsichtigkeit aber mich zum Husaren untauglich machte, so ward ich Fähnrich unter dem damaligen Regiment Ramin. Nie mag wohl ein Fähurich greller gegen seinen General abge- stochen haben, als ich gegen den meinigen. Er nahm mich indessen sehr gut auf, so sehr es ihm auch mag aufgefallen seyn, daß ich bey Tisch nicht über 2 Gläser Wein trank und mir keins mehr einnöthigen ließ. Den ersten Abend bracht ich bey seinem Auditeur zu, dem vor einigen Jahren als Ostpreußi- schen Cammerpräsidenten im 81sten Jahr allhier verstorbenen von Wagner, mit dem ich nachhero auch im Dienst beständig in gutem Vernehmen gelebt habe, das aber zu keiner wahren Freundschaft werden konnte, weil er bey seinem vorzüglich gutem Ver-
Neumann ging einige Tage vor mir zur Armee des Prinzen Heinrichs ab, wur- de bey der Kleiſtiſchen Jnfanterie angeſtellt und als Adjutant einige Monate nachher gefangen nach Crems geſchickt. Jch fuhr auf der Poſt nach Meißen, wo das Haupt- quartier des Koͤnigs war. Da ich durch meinen Freund L’Eſtocq eine Adreſſe an den alten Ziethen bekam, meine Kurzſichtigkeit aber mich zum Huſaren untauglich machte, ſo ward ich Faͤhnrich unter dem damaligen Regiment Ramin. Nie mag wohl ein Faͤhurich greller gegen ſeinen General abge- ſtochen haben, als ich gegen den meinigen. Er nahm mich indeſſen ſehr gut auf, ſo ſehr es ihm auch mag aufgefallen ſeyn, daß ich bey Tiſch nicht uͤber 2 Glaͤſer Wein trank und mir keins mehr einnoͤthigen ließ. Den erſten Abend bracht ich bey ſeinem Auditeur zu, dem vor einigen Jahren als Oſtpreußi- ſchen Cammerpraͤſidenten im 81ſten Jahr allhier verſtorbenen von Wagner, mit dem ich nachhero auch im Dienſt beſtaͤndig in gutem Vernehmen gelebt habe, das aber zu keiner wahren Freundſchaft werden konnte, weil er bey ſeinem vorzuͤglich gutem Ver-
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Neumann ging einige Tage vor mir
zur Armee des Prinzen Heinrichs ab, wur-
de bey der Kleiſtiſchen Jnfanterie angeſtellt
und als Adjutant einige Monate nachher
gefangen nach Crems geſchickt. Jch fuhr
auf der Poſt nach Meißen, wo das Haupt-
quartier des Koͤnigs war. Da ich durch
meinen Freund L’Eſtocq eine Adreſſe an den
alten Ziethen bekam, meine Kurzſichtigkeit
aber mich zum Huſaren untauglich machte,
ſo ward ich Faͤhnrich unter dem damaligen
Regiment Ramin. Nie mag wohl ein
Faͤhurich greller gegen ſeinen General abge-
ſtochen haben, als ich gegen den meinigen.
Er nahm mich indeſſen ſehr gut auf, ſo ſehr
es ihm auch mag aufgefallen ſeyn, daß ich
bey Tiſch nicht uͤber 2 Glaͤſer Wein trank
und mir keins mehr einnoͤthigen ließ. Den
erſten Abend bracht ich bey ſeinem Auditeur
zu, dem vor einigen Jahren als Oſtpreußi-
ſchen Cammerpraͤſidenten im 81ſten Jahr
allhier verſtorbenen von Wagner, mit dem
ich nachhero auch im Dienſt beſtaͤndig in
gutem Vernehmen gelebt habe, das aber zu
keiner wahren Freundſchaft werden konnte,
weil er bey ſeinem vorzuͤglich gutem Ver-
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/103>, abgerufen am 23.11.2024.
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