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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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So lag Ekkehard in der Sänfte, ein gebundener Mann; je mehr er
über seines Geschickes Wendung nachsann, desto weniger mocht' er's
fassen.

Dräuend stieg der Gedanke in ihm auf, es möchte wohl Einer im
Hegau sitzen, ein Freund oder Blutsverwandter der Kammerboten, und
jetzt am unschuldigen Jünger des heiligen Gallus Rache nehmen, denn
Salomo, der Ursächer ihres schmählichen Todes, war zugleich Abt jenes
Klosters gewesen. Für den Fall mochte sich Ekkehard auf das Schlimmste
bereit halten, er wußte, wie Manchen priesterlichen Standes nicht die
Tonsur, nicht geistlich Gewand vor dem Ausstechen der Augen oder
Abhauen der Hände geschützt, wenn's um Rache ging.

Er gedachte an's Sterben. Mit seinem Gewissen war er versöhnt,
der Tod trug ihm kein Schreckniß zu, aber tief im Herzen klang doch
eine leise Frage: Warum nicht erst in Jahresfrist, nachdem mein Fuß
den Twiel betrat? --

Jetzt gingen die Träger der Sänfte langsamen Schrittes, es mochte
einen Berg hinangehn. Auf welches der Felsennester dieses Landes
schleppen sie mich? Ein halb Stündlein mochten sie aufwärts gestiegen
sein, da schlug der Huftritt der Reiter rasselnd und hohl auf, wie
wenn sie über eine hölzerne Brücke ritten. Noch blieb's still, kein
Wächterruf, -- die Entscheidung konnte nimmer fern sein. Da kam
ein starkes Vertrauen über Ekkehard, die Worte des Psalm traten vor
ihn: "Gott ist unsere Zuflucht und Stärke, als Hilfe in Nöthen mäch-
tig erfunden. Darum fürchten wir Nichts, ob auch die Erde wechselte
und die Berge wankten im Herzen des Meers. Mögen brausen die
Gewässer, die Berge beben bei seinem Ungestüm. Jehovah ist mit
uns, unsere Zuflucht der Gott Jacobs, Sela .."

Ueber eine zweite Brücke ging's. Ein Thor ward aufgethan, die
Sänfte stand. Da huben sie ihren Gefangenen herfür, sein Fuß be-
rührte den Boden, es war Gras -- ein Flüstern schlug an sein Ohr
als wär viel Volk in der Nähe versammelt, der Strick um seine Hände
ward gelöst. Nehmt Euch die Binde von den Augen! sprach einer
seiner Begleiter, er that's -- Herz jauchze nicht! er stand im Schloß-
hof von Hohentwiel .. Fröhlich rauschte es im Geäst der alten Linde,
ein zeltartig Getüch war darein gespannt, Kränze von Eppich und
Weinlaub hingen hernieder, der Burg Insassen standen gedrängt herum,

So lag Ekkehard in der Sänfte, ein gebundener Mann; je mehr er
über ſeines Geſchickes Wendung nachſann, deſto weniger mocht' er's
faſſen.

Dräuend ſtieg der Gedanke in ihm auf, es möchte wohl Einer im
Hegau ſitzen, ein Freund oder Blutsverwandter der Kammerboten, und
jetzt am unſchuldigen Jünger des heiligen Gallus Rache nehmen, denn
Salomo, der Urſächer ihres ſchmählichen Todes, war zugleich Abt jenes
Kloſters geweſen. Für den Fall mochte ſich Ekkehard auf das Schlimmſte
bereit halten, er wußte, wie Manchen prieſterlichen Standes nicht die
Tonſur, nicht geiſtlich Gewand vor dem Ausſtechen der Augen oder
Abhauen der Hände geſchützt, wenn's um Rache ging.

Er gedachte an's Sterben. Mit ſeinem Gewiſſen war er verſöhnt,
der Tod trug ihm kein Schreckniß zu, aber tief im Herzen klang doch
eine leiſe Frage: Warum nicht erſt in Jahresfriſt, nachdem mein Fuß
den Twiel betrat? —

Jetzt gingen die Träger der Sänfte langſamen Schrittes, es mochte
einen Berg hinangehn. Auf welches der Felſenneſter dieſes Landes
ſchleppen ſie mich? Ein halb Stündlein mochten ſie aufwärts geſtiegen
ſein, da ſchlug der Huftritt der Reiter raſſelnd und hohl auf, wie
wenn ſie über eine hölzerne Brücke ritten. Noch blieb's ſtill, kein
Wächterruf, — die Entſcheidung konnte nimmer fern ſein. Da kam
ein ſtarkes Vertrauen über Ekkehard, die Worte des Pſalm traten vor
ihn: „Gott iſt unſere Zuflucht und Stärke, als Hilfe in Nöthen mäch-
tig erfunden. Darum fürchten wir Nichts, ob auch die Erde wechſelte
und die Berge wankten im Herzen des Meers. Mögen brauſen die
Gewäſſer, die Berge beben bei ſeinem Ungeſtüm. Jehovah iſt mit
uns, unſere Zuflucht der Gott Jacobs, Sela ..“

Ueber eine zweite Brücke ging's. Ein Thor ward aufgethan, die
Sänfte ſtand. Da huben ſie ihren Gefangenen herfür, ſein Fuß be-
rührte den Boden, es war Gras — ein Flüſtern ſchlug an ſein Ohr
als wär viel Volk in der Nähe verſammelt, der Strick um ſeine Hände
ward gelöst. Nehmt Euch die Binde von den Augen! ſprach einer
ſeiner Begleiter, er that's — Herz jauchze nicht! er ſtand im Schloß-
hof von Hohentwiel .. Fröhlich rauſchte es im Geäſt der alten Linde,
ein zeltartig Getüch war darein geſpannt, Kränze von Eppich und
Weinlaub hingen hernieder, der Burg Inſaſſen ſtanden gedrängt herum,

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[76/0098] So lag Ekkehard in der Sänfte, ein gebundener Mann; je mehr er über ſeines Geſchickes Wendung nachſann, deſto weniger mocht' er's faſſen. Dräuend ſtieg der Gedanke in ihm auf, es möchte wohl Einer im Hegau ſitzen, ein Freund oder Blutsverwandter der Kammerboten, und jetzt am unſchuldigen Jünger des heiligen Gallus Rache nehmen, denn Salomo, der Urſächer ihres ſchmählichen Todes, war zugleich Abt jenes Kloſters geweſen. Für den Fall mochte ſich Ekkehard auf das Schlimmſte bereit halten, er wußte, wie Manchen prieſterlichen Standes nicht die Tonſur, nicht geiſtlich Gewand vor dem Ausſtechen der Augen oder Abhauen der Hände geſchützt, wenn's um Rache ging. Er gedachte an's Sterben. Mit ſeinem Gewiſſen war er verſöhnt, der Tod trug ihm kein Schreckniß zu, aber tief im Herzen klang doch eine leiſe Frage: Warum nicht erſt in Jahresfriſt, nachdem mein Fuß den Twiel betrat? — Jetzt gingen die Träger der Sänfte langſamen Schrittes, es mochte einen Berg hinangehn. Auf welches der Felſenneſter dieſes Landes ſchleppen ſie mich? Ein halb Stündlein mochten ſie aufwärts geſtiegen ſein, da ſchlug der Huftritt der Reiter raſſelnd und hohl auf, wie wenn ſie über eine hölzerne Brücke ritten. Noch blieb's ſtill, kein Wächterruf, — die Entſcheidung konnte nimmer fern ſein. Da kam ein ſtarkes Vertrauen über Ekkehard, die Worte des Pſalm traten vor ihn: „Gott iſt unſere Zuflucht und Stärke, als Hilfe in Nöthen mäch- tig erfunden. Darum fürchten wir Nichts, ob auch die Erde wechſelte und die Berge wankten im Herzen des Meers. Mögen brauſen die Gewäſſer, die Berge beben bei ſeinem Ungeſtüm. Jehovah iſt mit uns, unſere Zuflucht der Gott Jacobs, Sela ..“ Ueber eine zweite Brücke ging's. Ein Thor ward aufgethan, die Sänfte ſtand. Da huben ſie ihren Gefangenen herfür, ſein Fuß be- rührte den Boden, es war Gras — ein Flüſtern ſchlug an ſein Ohr als wär viel Volk in der Nähe verſammelt, der Strick um ſeine Hände ward gelöst. Nehmt Euch die Binde von den Augen! ſprach einer ſeiner Begleiter, er that's — Herz jauchze nicht! er ſtand im Schloß- hof von Hohentwiel .. Fröhlich rauſchte es im Geäſt der alten Linde, ein zeltartig Getüch war darein geſpannt, Kränze von Eppich und Weinlaub hingen hernieder, der Burg Inſaſſen ſtanden gedrängt herum,

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/98>, abgerufen am 23.11.2024.