Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.Im Buschwerk des Schiffleins aber knisterte es und hob sich auf, Pest und Aussatz -- wollte des Fahrzeugs Insasse nochmals an- Ekkehard aber hob lächelnd den Zeigefinger: ne clericus vena- Stubenweisheit, rief der Andre, gilt nicht bei uns am Untersee. Bei'm Leutpriester zu Radolfszelle? frug Ekkehard. Steht hier Bruder Marcellus? lachte der Gefragte und strich mit der Hand Er stieg aus seinem hohlen Baum in Ekkehard's Schiff hinüber: Euch hab' ich mir anders vorgestellt, sprach Ekkehard. Das war Nichts gibt ein falscher Bild von Menschen, als nach ihnen an Im Buſchwerk des Schiffleins aber kniſterte es und hob ſich auf, Peſt und Ausſatz — wollte des Fahrzeugs Inſaſſe nochmals an- Ekkehard aber hob lächelnd den Zeigefinger: ne clericus vena- Stubenweisheit, rief der Andre, gilt nicht bei uns am Unterſee. Bei'm Leutprieſter zu Radolfszelle? frug Ekkehard. Steht hier Bruder Marcellus? lachte der Gefragte und ſtrich mit der Hand Er ſtieg aus ſeinem hohlen Baum in Ekkehard's Schiff hinüber: Euch hab' ich mir anders vorgeſtellt, ſprach Ekkehard. Das war Nichts gibt ein falſcher Bild von Menſchen, als nach ihnen an <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0091" n="69"/> <p>Im Buſchwerk des Schiffleins aber kniſterte es und hob ſich auf,<lb/> ein wettergebräuntes runzeldurchfurchtes Antlitz ſchaute herüber, um<lb/> den Leib ſchmiegte ſich ein verblichen geiſtlich Kleid, das, an den Knieen<lb/> mit unſicherem Meſſerſchnitt gekürzt, zerzaust herabhing; im Gürtel<lb/> ſtack ein Köcher ſtatt des Roſenkranzes, die geſpannte Armbruſt lag<lb/> auf des Schiffleins Vordertheil.</p><lb/> <p>Peſt und Ausſatz — wollte des Fahrzeugs Inſaſſe nochmals an-<lb/> heben, da ſchaute er Ekkehard's Tonſur und Benedictinergewand und<lb/> änderte den Ton: Hoiho! <hi rendition="#aq">salve confrater!</hi> Bei'm Bart des heiligen<lb/> Patrik von Armagh, ſo mich Euer Fürwitz noch eine Viertelſtunde<lb/> länger ungehindert gelaſſen, könnt' ich Euch zu einem waidlichen Biſſen<lb/> Seewildpret einladen. Mit Bewegung ſchaute er den in die Ferne<lb/> ſtreichenden Wildenten nach.</p><lb/> <p>Ekkehard aber hob lächelnd den Zeigefinger: <hi rendition="#aq">ne clericus vena-<lb/> tioni incumbat!</hi> Kein Geweihter des Herrn ſoll der Jagd pflegen.<note xml:id="ed105" next="#edt105" place="end" n="105)"/></p><lb/> <p>Stubenweisheit, rief der Andre, gilt nicht bei uns am Unterſee.<lb/> Seid Ihr etwann geſendet, beim Leutprieſter zu Radolfszelle Kirchen-<lb/> ſchau zu halten?</p><lb/> <p>Bei'm Leutprieſter zu Radolfszelle? frug Ekkehard. Steht hier<lb/> der Bruder Marcellus vor mir? Er that einen Seitenblick auf des<lb/> Waidmanns rechten Arm, an dem ſich die Kutte zurückgeſtreift hatte;<lb/> in rauhen Linien war ein von einer Schlange umwundenes Heiland-<lb/> bild eingeätzt und ſtund mit punktirten Buchſtaben drüber <hi rendition="#aq">Christus<lb/> vindex.</hi><note xml:id="ed106" next="#edt106" place="end" n="106)"/></p><lb/> <p>Bruder Marcellus? lachte der Gefragte und ſtrich mit der Hand<lb/> über die Stirn, <hi rendition="#aq">fuimus Troes,</hi> willkommen in Moengals Revier!</p><lb/> <p>Er ſtieg aus ſeinem hohlen Baum in Ekkehard's Schiff hinüber:<lb/> Der heilige Gallus ſoll leben! ſprach er und küßte ihn auf Wange und<lb/> Stirn, laſſet uns an's Land fahren, Ihr ſeid mein Gaſt, wenn auch<lb/> ohne Wildenten.</p><lb/> <p>Euch hab' ich mir anders vorgeſtellt, ſprach Ekkehard. Das war<lb/> kein Wunder.</p><lb/> <p>Nichts gibt ein falſcher Bild von Menſchen, als nach ihnen an<lb/> denſelben Ort kommen, wo ſie einſtens gewirkt, vereinzelte Reſte<lb/> ihrer Thätigkeit ſehen, und aus dem Gerede der Zurückgebliebenen<lb/> ſich eine Vorſtellung des Weggegangenen ſchaffen. Tiefſtes und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [69/0091]
Im Buſchwerk des Schiffleins aber kniſterte es und hob ſich auf,
ein wettergebräuntes runzeldurchfurchtes Antlitz ſchaute herüber, um
den Leib ſchmiegte ſich ein verblichen geiſtlich Kleid, das, an den Knieen
mit unſicherem Meſſerſchnitt gekürzt, zerzaust herabhing; im Gürtel
ſtack ein Köcher ſtatt des Roſenkranzes, die geſpannte Armbruſt lag
auf des Schiffleins Vordertheil.
Peſt und Ausſatz — wollte des Fahrzeugs Inſaſſe nochmals an-
heben, da ſchaute er Ekkehard's Tonſur und Benedictinergewand und
änderte den Ton: Hoiho! salve confrater! Bei'm Bart des heiligen
Patrik von Armagh, ſo mich Euer Fürwitz noch eine Viertelſtunde
länger ungehindert gelaſſen, könnt' ich Euch zu einem waidlichen Biſſen
Seewildpret einladen. Mit Bewegung ſchaute er den in die Ferne
ſtreichenden Wildenten nach.
Ekkehard aber hob lächelnd den Zeigefinger: ne clericus vena-
tioni incumbat! Kein Geweihter des Herrn ſoll der Jagd pflegen.
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Stubenweisheit, rief der Andre, gilt nicht bei uns am Unterſee.
Seid Ihr etwann geſendet, beim Leutprieſter zu Radolfszelle Kirchen-
ſchau zu halten?
Bei'm Leutprieſter zu Radolfszelle? frug Ekkehard. Steht hier
der Bruder Marcellus vor mir? Er that einen Seitenblick auf des
Waidmanns rechten Arm, an dem ſich die Kutte zurückgeſtreift hatte;
in rauhen Linien war ein von einer Schlange umwundenes Heiland-
bild eingeätzt und ſtund mit punktirten Buchſtaben drüber Christus
vindex.
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Bruder Marcellus? lachte der Gefragte und ſtrich mit der Hand
über die Stirn, fuimus Troes, willkommen in Moengals Revier!
Er ſtieg aus ſeinem hohlen Baum in Ekkehard's Schiff hinüber:
Der heilige Gallus ſoll leben! ſprach er und küßte ihn auf Wange und
Stirn, laſſet uns an's Land fahren, Ihr ſeid mein Gaſt, wenn auch
ohne Wildenten.
Euch hab' ich mir anders vorgeſtellt, ſprach Ekkehard. Das war
kein Wunder.
Nichts gibt ein falſcher Bild von Menſchen, als nach ihnen an
denſelben Ort kommen, wo ſie einſtens gewirkt, vereinzelte Reſte
ihrer Thätigkeit ſehen, und aus dem Gerede der Zurückgebliebenen
ſich eine Vorſtellung des Weggegangenen ſchaffen. Tiefſtes und
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