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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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die Linie des anderseitigen Ufers und seiner Höhenzüge gehüllt, nur
da und dort haftete ein heller Schein und ein Widerschein im Wasser,
die Niederlassungen der Menschen andeutend.

"Aber was will das Dunkel in meinem Rücken?" Er schaute sich
um, rückwärts hinter den tannigen Vorbergen reckte der Säntis seine
Zacken und Hörner empor, auf den verwitterten Felswänden hüpfte
warmer Sonnenstrahl unstät im Kampf mit dem Gewölke und strahlte
vorüberfliehend auf die Massen alten Schnees, die in den Schluchten
neuem Winter entgegenharrten ... Ueber dem Kamor stand eine dunkle
Wolke, sie dehnte und streckte sich, bald war die Sonne verdeckt, grau
und matt wurden die Bergspitzen gefärbt, es schickte sich an, zu
wetterleuchten ...

Soll mir das ein Zeichen sein? sprach Ekkehard, ich verstehe es
nicht. Mein Weg geht nicht zum Säntis.

Nachdenkend schritt er den Berg hinunter.

In der Nacht betete er am Grabe des heiligen Gallus. Früh-
morgens nahm er Abschied. Der Virgilius und Thieto's Fläschlein
waren in die Reisetasche verpackt, sein übrig Gepäck kurz beisammen.

Wem selbst nicht der Körper, die Wünsche und Begierden zu eigener
Verfügung stehen dürfen, soll auch weder an fahrender Habe noch an
liegendem Gut ein eigen Besitzthum ausüben.

Der Abt schenkte ihm zwei Goldschillinge und etliche Silberdenare
als Zehr- und Nothpfennig.

Mit einem Kornschiff des Klosters fuhr er über den See, -- die
Segel von günstigem Wind, die Brust von Muth und Wanderlust
geschwellt.

Mittag war's, da rückte das Castell von Konstanz und Dom und
Mauerzinnen immer deutlicher vor den Augen der Schifffahrer auf.
Wohlgemuth sprang Ekkehard an's Land.

In Konstanz hätt' er sich verweilen, im Hof des Bischofs Gast-
freundschaft ansprechen mögen. Er that's nicht. Der Ort war ihm
zuwider, zuwider von Grund seines Herzens; nicht wegen seiner Lage
oder etwaiger Mißgestalt, denn an Schönheit wetteifert er kühnlich mit
jeglicher Stadt am See, sondern wegen der Erinnerung an einen
Mann, dem er gram.

die Linie des anderſeitigen Ufers und ſeiner Höhenzüge gehüllt, nur
da und dort haftete ein heller Schein und ein Widerſchein im Waſſer,
die Niederlaſſungen der Menſchen andeutend.

„Aber was will das Dunkel in meinem Rücken?“ Er ſchaute ſich
um, rückwärts hinter den tannigen Vorbergen reckte der Säntis ſeine
Zacken und Hörner empor, auf den verwitterten Felswänden hüpfte
warmer Sonnenſtrahl unſtät im Kampf mit dem Gewölke und ſtrahlte
vorüberfliehend auf die Maſſen alten Schnees, die in den Schluchten
neuem Winter entgegenharrten ... Ueber dem Kamor ſtand eine dunkle
Wolke, ſie dehnte und ſtreckte ſich, bald war die Sonne verdeckt, grau
und matt wurden die Bergſpitzen gefärbt, es ſchickte ſich an, zu
wetterleuchten ...

Soll mir das ein Zeichen ſein? ſprach Ekkehard, ich verſtehe es
nicht. Mein Weg geht nicht zum Säntis.

Nachdenkend ſchritt er den Berg hinunter.

In der Nacht betete er am Grabe des heiligen Gallus. Früh-
morgens nahm er Abſchied. Der Virgilius und Thieto's Fläſchlein
waren in die Reiſetaſche verpackt, ſein übrig Gepäck kurz beiſammen.

Wem ſelbſt nicht der Körper, die Wünſche und Begierden zu eigener
Verfügung ſtehen dürfen, ſoll auch weder an fahrender Habe noch an
liegendem Gut ein eigen Beſitzthum ausüben.

Der Abt ſchenkte ihm zwei Goldſchillinge und etliche Silberdenare
als Zehr- und Nothpfennig.

Mit einem Kornſchiff des Kloſters fuhr er über den See, — die
Segel von günſtigem Wind, die Bruſt von Muth und Wanderluſt
geſchwellt.

Mittag war's, da rückte das Caſtell von Konſtanz und Dom und
Mauerzinnen immer deutlicher vor den Augen der Schifffahrer auf.
Wohlgemuth ſprang Ekkehard an's Land.

In Konſtanz hätt' er ſich verweilen, im Hof des Biſchofs Gaſt-
freundſchaft anſprechen mögen. Er that's nicht. Der Ort war ihm
zuwider, zuwider von Grund ſeines Herzens; nicht wegen ſeiner Lage
oder etwaiger Mißgeſtalt, denn an Schönheit wetteifert er kühnlich mit
jeglicher Stadt am See, ſondern wegen der Erinnerung an einen
Mann, dem er gram.

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[58/0080] die Linie des anderſeitigen Ufers und ſeiner Höhenzüge gehüllt, nur da und dort haftete ein heller Schein und ein Widerſchein im Waſſer, die Niederlaſſungen der Menſchen andeutend. „Aber was will das Dunkel in meinem Rücken?“ Er ſchaute ſich um, rückwärts hinter den tannigen Vorbergen reckte der Säntis ſeine Zacken und Hörner empor, auf den verwitterten Felswänden hüpfte warmer Sonnenſtrahl unſtät im Kampf mit dem Gewölke und ſtrahlte vorüberfliehend auf die Maſſen alten Schnees, die in den Schluchten neuem Winter entgegenharrten ... Ueber dem Kamor ſtand eine dunkle Wolke, ſie dehnte und ſtreckte ſich, bald war die Sonne verdeckt, grau und matt wurden die Bergſpitzen gefärbt, es ſchickte ſich an, zu wetterleuchten ... Soll mir das ein Zeichen ſein? ſprach Ekkehard, ich verſtehe es nicht. Mein Weg geht nicht zum Säntis. Nachdenkend ſchritt er den Berg hinunter. In der Nacht betete er am Grabe des heiligen Gallus. Früh- morgens nahm er Abſchied. Der Virgilius und Thieto's Fläſchlein waren in die Reiſetaſche verpackt, ſein übrig Gepäck kurz beiſammen. Wem ſelbſt nicht der Körper, die Wünſche und Begierden zu eigener Verfügung ſtehen dürfen, ſoll auch weder an fahrender Habe noch an liegendem Gut ein eigen Beſitzthum ausüben. Der Abt ſchenkte ihm zwei Goldſchillinge und etliche Silberdenare als Zehr- und Nothpfennig. Mit einem Kornſchiff des Kloſters fuhr er über den See, — die Segel von günſtigem Wind, die Bruſt von Muth und Wanderluſt geſchwellt. Mittag war's, da rückte das Caſtell von Konſtanz und Dom und Mauerzinnen immer deutlicher vor den Augen der Schifffahrer auf. Wohlgemuth ſprang Ekkehard an's Land. In Konſtanz hätt' er ſich verweilen, im Hof des Biſchofs Gaſt- freundſchaft anſprechen mögen. Er that's nicht. Der Ort war ihm zuwider, zuwider von Grund ſeines Herzens; nicht wegen ſeiner Lage oder etwaiger Mißgeſtalt, denn an Schönheit wetteifert er kühnlich mit jeglicher Stadt am See, ſondern wegen der Erinnerung an einen Mann, dem er gram.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/80>, abgerufen am 03.05.2024.