Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
139) Etymologie vom Hunger abgeleitet wird, der sie aus den Steppen Pan-
noniens vorwärts trieb .. innumerabilis eorum crevit exercitus et
a fame quam patiebantur, Hungri vocati sunt. Epistola Re-
migii
bei Martene collect. I. 234), noch öfter aber Hunnen, wiewohl
die Abstammung derselben von den Hunnen König Attila's keineswegs
zu den erwiesenen Thatsachen gehört. Letztere alterthümliche Bezeich-
nung ist in unserer Erzählung beibehalten.
Umständlichere Schilderung dieses fremden Reitervolkes gibt schon
Regino in seinem Chronicon ad ann. 889. (Pertz Mon. I. 600).
Das Bild, das er von den grausamen, Alles zerstörenden, nie aus
dem Sattel kommenden, von erschlagener Feinde Herzen sich nährenden
Scheusalen entwirft, macht einen schauerlichen Eindruck und würde
noch mehr zum Mitleid mit den von ihnen Heimgesuchten stimmen,
wenn es nicht meist aus der Historie des Justinus lib. 41 c. 2 und
3 wörtlich abgeschrieben wäre, der die Seythen in dieser Weise charak-
terisirt. Die mehrfachen Verheerungen der alemannischen Lande sind
erwähnt in den alaman. Annalen bei Pertz Mon. I. 54, der einst
von den Kammerboten und dem Argengaugraf Ulrich wider sie erfoch-
tene Sieg am Inn in den annales S. Gallenses major. bei Pertz.
Mon. I.
77.
140) S. G. Schwab der Bodensee nebst dem Rheinthale, Theil II.
p.
119.
141) Diese Worte Ekkehard's enthalten einen Anklang an das den
sanctgaller Mönchen wohlbekannte alemannische Landrecht, scheinen
jedoch auf einer gewissen Verwechslung zu beruhen. In tit. 99. no.
22 (ed. Lindenbrog) findet sich nämlich folgende Bestimmung:
"Wenn ein fremder Hund einen Mann getödtet hat, soll dessen
Eigenthümer den Hinterbliebenen das halbe Wehrgeld auszahlen.
Verlangt die Familie des Getödteten das ganze Wehrgeld, so muß
ihr dies zwar gewährt werden, aber nur unter der Bedingung, daß
alle Zugänge des Hauses bis auf einen abgeschlossen werden, daß sie
allezeit durch dies eine Thor ein- und ausgehen, und daß über dieser
Schwelle der fremde Hund in einer Höhe von 9 Fuß aufgehängt
werde und aufgehängt bleibe, bis daß er ganz verfault und seine
139) Etymologie vom Hunger abgeleitet wird, der ſie aus den Steppen Pan-
noniens vorwärts trieb .. innumerabilis eorum crevit exercitus et
a fame quam patiebantur, Hungri vocati ſunt. Epiſtola Re-
migii
bei Martène collect. I. 234), noch öfter aber Hunnen, wiewohl
die Abſtammung derſelben von den Hunnen König Attila's keineswegs
zu den erwieſenen Thatſachen gehört. Letztere alterthümliche Bezeich-
nung iſt in unſerer Erzählung beibehalten.
Umſtändlichere Schilderung dieſes fremden Reitervolkes gibt ſchon
Regino in ſeinem Chronicon ad ann. 889. (Pertz Mon. I. 600).
Das Bild, das er von den grauſamen, Alles zerſtörenden, nie aus
dem Sattel kommenden, von erſchlagener Feinde Herzen ſich nährenden
Scheuſalen entwirft, macht einen ſchauerlichen Eindruck und würde
noch mehr zum Mitleid mit den von ihnen Heimgeſuchten ſtimmen,
wenn es nicht meiſt aus der Hiſtorie des Juſtinus lib. 41 c. 2 und
3 wörtlich abgeſchrieben wäre, der die Seythen in dieſer Weiſe charak-
teriſirt. Die mehrfachen Verheerungen der alemanniſchen Lande ſind
erwähnt in den alaman. Annalen bei Pertz Mon. I. 54, der einſt
von den Kammerboten und dem Argengaugraf Ulrich wider ſie erfoch-
tene Sieg am Inn in den annales S. Gallenses major. bei Pertz.
Mon. I.
77.
140) S. G. Schwab der Bodenſee nebſt dem Rheinthale, Theil II.
p.
119.
141) Dieſe Worte Ekkehard's enthalten einen Anklang an das den
ſanctgaller Mönchen wohlbekannte alemanniſche Landrecht, ſcheinen
jedoch auf einer gewiſſen Verwechslung zu beruhen. In tit. 99. no.
22 (ed. Lindenbrog) findet ſich nämlich folgende Beſtimmung:
„Wenn ein fremder Hund einen Mann getödtet hat, ſoll deſſen
Eigenthümer den Hinterbliebenen das halbe Wehrgeld auszahlen.
Verlangt die Familie des Getödteten das ganze Wehrgeld, ſo muß
ihr dies zwar gewährt werden, aber nur unter der Bedingung, daß
alle Zugänge des Hauſes bis auf einen abgeſchloſſen werden, daß ſie
allezeit durch dies eine Thor ein- und ausgehen, und daß über dieſer
Schwelle der fremde Hund in einer Höhe von 9 Fuß aufgehängt
werde und aufgehängt bleibe, bis daß er ganz verfault und ſeine
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <note xml:id="edt139" prev="#ed139" place="end" n="139)">
          <p><pb facs="#f0460" n="438"/>
Etymologie vom Hunger abgeleitet wird, der &#x017F;ie aus den Steppen Pan-<lb/>
noniens vorwärts trieb <hi rendition="#aq">.. innumerabilis eorum crevit exercitus et<lb/>
a fame quam patiebantur, Hungri vocati &#x017F;unt. Epi&#x017F;tola Re-<lb/>
migii</hi> bei <hi rendition="#aq">Martène collect. I.</hi> 234), noch öfter aber Hunnen, wiewohl<lb/>
die Ab&#x017F;tammung der&#x017F;elben von den Hunnen König Attila's keineswegs<lb/>
zu den erwie&#x017F;enen That&#x017F;achen gehört. Letztere alterthümliche Bezeich-<lb/>
nung i&#x017F;t in un&#x017F;erer Erzählung beibehalten.</p><lb/>
          <p>Um&#x017F;tändlichere Schilderung die&#x017F;es fremden Reitervolkes gibt &#x017F;chon<lb/>
Regino in &#x017F;einem <hi rendition="#aq">Chronicon ad ann.</hi> 889. <hi rendition="#aq">(Pertz Mon. I.</hi> 600).<lb/>
Das Bild, das er von den grau&#x017F;amen, Alles zer&#x017F;törenden, nie aus<lb/>
dem Sattel kommenden, von er&#x017F;chlagener Feinde Herzen &#x017F;ich nährenden<lb/>
Scheu&#x017F;alen entwirft, macht einen &#x017F;chauerlichen Eindruck und würde<lb/>
noch mehr zum Mitleid mit den von ihnen Heimge&#x017F;uchten &#x017F;timmen,<lb/>
wenn es nicht mei&#x017F;t aus der Hi&#x017F;torie des Ju&#x017F;tinus <hi rendition="#aq">lib.</hi> 41 <hi rendition="#aq">c.</hi> 2 und<lb/>
3 wörtlich abge&#x017F;chrieben wäre, der die Seythen in die&#x017F;er Wei&#x017F;e charak-<lb/>
teri&#x017F;irt. Die mehrfachen Verheerungen der alemanni&#x017F;chen Lande &#x017F;ind<lb/>
erwähnt in den alaman. Annalen bei <hi rendition="#aq">Pertz Mon. I.</hi> 54, der ein&#x017F;t<lb/>
von den Kammerboten und dem Argengaugraf Ulrich wider &#x017F;ie erfoch-<lb/>
tene Sieg am Inn in den <hi rendition="#aq">annales S. Gallenses major.</hi> bei <hi rendition="#aq">Pertz.<lb/>
Mon. I.</hi> 77.</p>
        </note><lb/>
        <note xml:id="edt140" prev="#ed140" place="end" n="140)">S. G. Schwab der Boden&#x017F;ee neb&#x017F;t dem Rheinthale, Theil <hi rendition="#aq">II.<lb/>
p.</hi> 119.</note><lb/>
        <note xml:id="edt141" prev="#ed141" place="end" n="141)">
          <p>Die&#x017F;e Worte Ekkehard's enthalten einen Anklang an das den<lb/>
&#x017F;anctgaller Mönchen wohlbekannte alemanni&#x017F;che Landrecht, &#x017F;cheinen<lb/>
jedoch auf einer gewi&#x017F;&#x017F;en Verwechslung zu beruhen. In <hi rendition="#aq">tit.</hi> 99. <hi rendition="#aq">n<hi rendition="#sup">o</hi>.</hi><lb/>
22 (<hi rendition="#aq">ed.</hi> Lindenbrog) findet &#x017F;ich nämlich folgende Be&#x017F;timmung:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wenn ein fremder Hund einen Mann getödtet hat, &#x017F;oll de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Eigenthümer den Hinterbliebenen das <hi rendition="#g">halbe</hi> Wehrgeld auszahlen.<lb/>
Verlangt die Familie des Getödteten das <hi rendition="#g">ganze</hi> Wehrgeld, &#x017F;o muß<lb/>
ihr dies zwar gewährt werden, aber nur unter der Bedingung, daß<lb/>
alle Zugänge des Hau&#x017F;es bis auf einen abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden, daß &#x017F;ie<lb/>
allezeit durch dies eine Thor ein- und ausgehen, und daß über die&#x017F;er<lb/>
Schwelle der fremde Hund in einer Höhe von 9 Fuß aufgehängt<lb/>
werde und aufgehängt bleibe, bis daß er ganz verfault und &#x017F;eine<lb/></p>
        </note>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[438/0460] ¹³⁹⁾ Etymologie vom Hunger abgeleitet wird, der ſie aus den Steppen Pan- noniens vorwärts trieb .. innumerabilis eorum crevit exercitus et a fame quam patiebantur, Hungri vocati ſunt. Epiſtola Re- migii bei Martène collect. I. 234), noch öfter aber Hunnen, wiewohl die Abſtammung derſelben von den Hunnen König Attila's keineswegs zu den erwieſenen Thatſachen gehört. Letztere alterthümliche Bezeich- nung iſt in unſerer Erzählung beibehalten. Umſtändlichere Schilderung dieſes fremden Reitervolkes gibt ſchon Regino in ſeinem Chronicon ad ann. 889. (Pertz Mon. I. 600). Das Bild, das er von den grauſamen, Alles zerſtörenden, nie aus dem Sattel kommenden, von erſchlagener Feinde Herzen ſich nährenden Scheuſalen entwirft, macht einen ſchauerlichen Eindruck und würde noch mehr zum Mitleid mit den von ihnen Heimgeſuchten ſtimmen, wenn es nicht meiſt aus der Hiſtorie des Juſtinus lib. 41 c. 2 und 3 wörtlich abgeſchrieben wäre, der die Seythen in dieſer Weiſe charak- teriſirt. Die mehrfachen Verheerungen der alemanniſchen Lande ſind erwähnt in den alaman. Annalen bei Pertz Mon. I. 54, der einſt von den Kammerboten und dem Argengaugraf Ulrich wider ſie erfoch- tene Sieg am Inn in den annales S. Gallenses major. bei Pertz. Mon. I. 77. ¹⁴⁰⁾ S. G. Schwab der Bodenſee nebſt dem Rheinthale, Theil II. p. 119. ¹⁴¹⁾ Dieſe Worte Ekkehard's enthalten einen Anklang an das den ſanctgaller Mönchen wohlbekannte alemanniſche Landrecht, ſcheinen jedoch auf einer gewiſſen Verwechslung zu beruhen. In tit. 99. no. 22 (ed. Lindenbrog) findet ſich nämlich folgende Beſtimmung: „Wenn ein fremder Hund einen Mann getödtet hat, ſoll deſſen Eigenthümer den Hinterbliebenen das halbe Wehrgeld auszahlen. Verlangt die Familie des Getödteten das ganze Wehrgeld, ſo muß ihr dies zwar gewährt werden, aber nur unter der Bedingung, daß alle Zugänge des Hauſes bis auf einen abgeſchloſſen werden, daß ſie allezeit durch dies eine Thor ein- und ausgehen, und daß über dieſer Schwelle der fremde Hund in einer Höhe von 9 Fuß aufgehängt werde und aufgehängt bleibe, bis daß er ganz verfault und ſeine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/460
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/460>, abgerufen am 05.12.2024.