Der Mauerspecht, der die gleiche Bergritze zu seiner Behausung er- koren, flog ihm traulich auf die Schulter und pickte ihm mit häm- merndem Schnabel die Wangen, dann schwang er sein schwarzroth Gefieder hinauf in die blauen Lüfte, als woll' er dem hohen Säntis des Einsiedels Abzug vermelden.
Aber Ekkehard stieß seinen Speer auf und wandelte den gewohn- ten schwindelnden Pfad hinunter. An der Felswand zum Aescher hielt er noch einmal und winkte hinauf zu seiner Siedelei und that einen Jodelruf, daß es am Kamor erklang und am hohen Kasten und rollender Wiederhall an der Maarwiese vorbei zog bis in die fernsten Winkel des Gebirges. Der kann's! sprach ein heimkehrender Hirt unten im Thal zu seinem Gefährten.
Schier wie ein Geisbub! sagte der Andere als Ekkehard jenseits der Felswand verschwand.
-- -- Der aufgehende Tag hatte schon etliche Mal seine Strah- len auf das Wildkirchlein geworfen, das traurig einem verlassenen Nest gleich in's Thal hinunterschaute. Der Bergbruder kam nimmer zurück.
Am Bodensee rüstete man zur Weinlese. An einem milden Abend saß Frau Hadwig im Gärtlein ihrer Burg, die treue Praxedis zur Seite. Die Griechin hatte unerquickliche Zeiten. Ihre Gebieterin war verstimmt, mißzufrieden, unzugänglich. Auch heute wollte ein Gespräch nicht gelingen. Es war ein schlimmer Gedächtnißtag.
Heute ist's ein Jahr, hub Praxedis scheinbar gleichgiltig an, daß wir über den Bodensee fuhren und beim heiligen Gallus ansprachen. Die Herzogin schwieg. -- Es ist viel geschehen seitdem, wollte Praxe- dis beifügen -- das Wort verhauchte auf den Lippen.
Wißt Ihr auch, gnädige Herrin, was die Leute von Ekkehard sa- gen, fuhr sie nach geraumer Weile fort.
Frau Hadwig schaute auf. Es zuckte um ihre Lippen. Was sagen die Leute? sprach sie gleichgiltig.
Herr Spazzo hat neulich den Abt von Reichenau getroffen, er- zählte Praxedis, der sagte: Wisset Ihr auch etwas Neues? Den Alpen ist Heil widerfahren, das Joch des Säntis ertönt von Lyraklang und Dichtergezwitscher, ein neuer Homer hat sich droben eingenistet, und wenn er wüßte, in welchen Höhlen die Musen hausen, so könnt' er
Der Mauerſpecht, der die gleiche Bergritze zu ſeiner Behauſung er- koren, flog ihm traulich auf die Schulter und pickte ihm mit häm- merndem Schnabel die Wangen, dann ſchwang er ſein ſchwarzroth Gefieder hinauf in die blauen Lüfte, als woll' er dem hohen Säntis des Einſiedels Abzug vermelden.
Aber Ekkehard ſtieß ſeinen Speer auf und wandelte den gewohn- ten ſchwindelnden Pfad hinunter. An der Felswand zum Aeſcher hielt er noch einmal und winkte hinauf zu ſeiner Siedelei und that einen Jodelruf, daß es am Kamor erklang und am hohen Kaſten und rollender Wiederhall an der Maarwieſe vorbei zog bis in die fernſten Winkel des Gebirges. Der kann's! ſprach ein heimkehrender Hirt unten im Thal zu ſeinem Gefährten.
Schier wie ein Geisbub! ſagte der Andere als Ekkehard jenſeits der Felswand verſchwand.
— — Der aufgehende Tag hatte ſchon etliche Mal ſeine Strah- len auf das Wildkirchlein geworfen, das traurig einem verlaſſenen Neſt gleich in's Thal hinunterſchaute. Der Bergbruder kam nimmer zurück.
Am Bodenſee rüſtete man zur Weinleſe. An einem milden Abend ſaß Frau Hadwig im Gärtlein ihrer Burg, die treue Praxedis zur Seite. Die Griechin hatte unerquickliche Zeiten. Ihre Gebieterin war verſtimmt, mißzufrieden, unzugänglich. Auch heute wollte ein Geſpräch nicht gelingen. Es war ein ſchlimmer Gedächtnißtag.
Heute iſt's ein Jahr, hub Praxedis ſcheinbar gleichgiltig an, daß wir über den Bodenſee fuhren und beim heiligen Gallus anſprachen. Die Herzogin ſchwieg. — Es iſt viel geſchehen ſeitdem, wollte Praxe- dis beifügen — das Wort verhauchte auf den Lippen.
Wißt Ihr auch, gnädige Herrin, was die Leute von Ekkehard ſa- gen, fuhr ſie nach geraumer Weile fort.
Frau Hadwig ſchaute auf. Es zuckte um ihre Lippen. Was ſagen die Leute? ſprach ſie gleichgiltig.
Herr Spazzo hat neulich den Abt von Reichenau getroffen, er- zählte Praxedis, der ſagte: Wiſſet Ihr auch etwas Neues? Den Alpen iſt Heil widerfahren, das Joch des Säntis ertönt von Lyraklang und Dichtergezwitſcher, ein neuer Homer hat ſich droben eingeniſtet, und wenn er wüßte, in welchen Höhlen die Muſen hauſen, ſo könnt' er
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Der Mauerſpecht, der die gleiche Bergritze zu ſeiner Behauſung er-
koren, flog ihm traulich auf die Schulter und pickte ihm mit häm-
merndem Schnabel die Wangen, dann ſchwang er ſein ſchwarzroth
Gefieder hinauf in die blauen Lüfte, als woll' er dem hohen Säntis
des Einſiedels Abzug vermelden.
Aber Ekkehard ſtieß ſeinen Speer auf und wandelte den gewohn-
ten ſchwindelnden Pfad hinunter. An der Felswand zum Aeſcher hielt
er noch einmal und winkte hinauf zu ſeiner Siedelei und that einen
Jodelruf, daß es am Kamor erklang und am hohen Kaſten und
rollender Wiederhall an der Maarwieſe vorbei zog bis in die fernſten
Winkel des Gebirges. Der kann's! ſprach ein heimkehrender Hirt
unten im Thal zu ſeinem Gefährten.
Schier wie ein Geisbub! ſagte der Andere als Ekkehard jenſeits
der Felswand verſchwand.
— — Der aufgehende Tag hatte ſchon etliche Mal ſeine Strah-
len auf das Wildkirchlein geworfen, das traurig einem verlaſſenen
Neſt gleich in's Thal hinunterſchaute. Der Bergbruder kam nimmer
zurück.
Am Bodenſee rüſtete man zur Weinleſe. An einem milden Abend
ſaß Frau Hadwig im Gärtlein ihrer Burg, die treue Praxedis zur
Seite. Die Griechin hatte unerquickliche Zeiten. Ihre Gebieterin
war verſtimmt, mißzufrieden, unzugänglich. Auch heute wollte ein
Geſpräch nicht gelingen. Es war ein ſchlimmer Gedächtnißtag.
Heute iſt's ein Jahr, hub Praxedis ſcheinbar gleichgiltig an, daß
wir über den Bodenſee fuhren und beim heiligen Gallus anſprachen.
Die Herzogin ſchwieg. — Es iſt viel geſchehen ſeitdem, wollte Praxe-
dis beifügen — das Wort verhauchte auf den Lippen.
Wißt Ihr auch, gnädige Herrin, was die Leute von Ekkehard ſa-
gen, fuhr ſie nach geraumer Weile fort.
Frau Hadwig ſchaute auf. Es zuckte um ihre Lippen. Was
ſagen die Leute? ſprach ſie gleichgiltig.
Herr Spazzo hat neulich den Abt von Reichenau getroffen, er-
zählte Praxedis, der ſagte: Wiſſet Ihr auch etwas Neues? Den Alpen
iſt Heil widerfahren, das Joch des Säntis ertönt von Lyraklang und
Dichtergezwitſcher, ein neuer Homer hat ſich droben eingeniſtet, und
wenn er wüßte, in welchen Höhlen die Muſen hauſen, ſo könnt' er
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/428>, abgerufen am 22.11.2024.
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