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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Ebenalp kommt, dem schreib' ich mit ungebrannter Asche ein Wahr-
zeichen auf die Haut, daß er zeitlebens dran denken soll, und wenn's
ihm nicht recht ist, kann er den Bergtobel hinabsausen, wie ein Schnee-
sturz im Frühling.

Brummend ging der Bub von dannen.

Ekkehard aber nahm die Harfe und setzte sich unter das Kreuz
vor die Höhle und griff eine fröhliche Tagweise; er hatte lange nimmer
die Saiten gerührt, es that ihm wundersam wohl, der mächtigen Ein-
samkeit gegenüber in leisen Tönen auszusprechen, was ihm im Herzen
lebte, und die Musika war ein guter Verbündeter dem Werke der
Dichtung, das Waltarilied, das erst wie ferner Nebel ihm vorgeschwebt,
verdichtete sich und nahm Gestaltung an und zog in lebendurchathmeten
Bildern an ihm vorüber; er schloß die Augen um besser zu sehen:
da sah er die Hunnen anreiten, ein reisig fröhlich Reitervolk und
minder abscheulich als die, gegen die er selber vor wenig Monaten in
der Feldschlacht gestanden, und sie nahmen die Königskinder in Franken
und Aquitanien als Geiseln mit und jung Hiltgund, die Wonne von
Burgund -- und wie er stärker die Saiten anschlug, da erschaute er
auch den König Etzel, der war ein leidlich Menschenbild, zu Glimpf
und Becherfreuden wohl aufgelegt, -- und die Königskinder wuchsen
an der Hunnen Hofburg auf und wie sie groß geworden, kam ein
stilles Heimathsehnen über sie, und sie gedachten, daß sie von Alters
einand verlobt -- jetzt hub sich ein Klingen und Drommeten, die
Hunnen saßen beim Bankett und König Etzel trank den großen
Humpen und Alle folgten seinem Vorbild, Schlummer trunkener
Männer tönte durch die Hallen -- jetzt sah er, wie im Mondschein
der junge Aquitaner Held das Streitroß waffnete, und Hildegunde
kam und brachte den hunnischen Goldschatz, er hub sie in Sattel --
hei! wie prächtig entritten sie der Gefangenschaft ...

Und fern und ferner wogte es noch wie Fährlichkeit und Flucht
und Fahrt über den Rhein und schwerer Kampf mit dem habsüchtigen
König Gunther: in großen markigen Zügen stund die Geschichte vor
ihm, die er in schlichtem Heldengesang zu verherrlichen gedachte. Noch
in derselbigen Nacht blieb Ekkehard beim Kienspanlicht sitzen und
begann sein Werk, und eine Freude kam über ihn, wie die Gestalten
unter seiner Hand Leben annahmen, eine ehrliche große Freude, denn

Ebenalp kommt, dem ſchreib' ich mit ungebrannter Aſche ein Wahr-
zeichen auf die Haut, daß er zeitlebens dran denken ſoll, und wenn's
ihm nicht recht iſt, kann er den Bergtobel hinabſauſen, wie ein Schnee-
ſturz im Frühling.

Brummend ging der Bub von dannen.

Ekkehard aber nahm die Harfe und ſetzte ſich unter das Kreuz
vor die Höhle und griff eine fröhliche Tagweiſe; er hatte lange nimmer
die Saiten gerührt, es that ihm wunderſam wohl, der mächtigen Ein-
ſamkeit gegenüber in leiſen Tönen auszuſprechen, was ihm im Herzen
lebte, und die Muſika war ein guter Verbündeter dem Werke der
Dichtung, das Waltarilied, das erſt wie ferner Nebel ihm vorgeſchwebt,
verdichtete ſich und nahm Geſtaltung an und zog in lebendurchathmeten
Bildern an ihm vorüber; er ſchloß die Augen um beſſer zu ſehen:
da ſah er die Hunnen anreiten, ein reiſig fröhlich Reitervolk und
minder abſcheulich als die, gegen die er ſelber vor wenig Monaten in
der Feldſchlacht geſtanden, und ſie nahmen die Königskinder in Franken
und Aquitanien als Geiſeln mit und jung Hiltgund, die Wonne von
Burgund — und wie er ſtärker die Saiten anſchlug, da erſchaute er
auch den König Etzel, der war ein leidlich Menſchenbild, zu Glimpf
und Becherfreuden wohl aufgelegt, — und die Königskinder wuchſen
an der Hunnen Hofburg auf und wie ſie groß geworden, kam ein
ſtilles Heimathſehnen über ſie, und ſie gedachten, daß ſie von Alters
einand verlobt — jetzt hub ſich ein Klingen und Drommeten, die
Hunnen ſaßen beim Bankett und König Etzel trank den großen
Humpen und Alle folgten ſeinem Vorbild, Schlummer trunkener
Männer tönte durch die Hallen — jetzt ſah er, wie im Mondſchein
der junge Aquitaner Held das Streitroß waffnete, und Hildegunde
kam und brachte den hunniſchen Goldſchatz, er hub ſie in Sattel —
hei! wie prächtig entritten ſie der Gefangenſchaft ...

Und fern und ferner wogte es noch wie Fährlichkeit und Flucht
und Fahrt über den Rhein und ſchwerer Kampf mit dem habſüchtigen
König Gunther: in großen markigen Zügen ſtund die Geſchichte vor
ihm, die er in ſchlichtem Heldengeſang zu verherrlichen gedachte. Noch
in derſelbigen Nacht blieb Ekkehard beim Kienſpanlicht ſitzen und
begann ſein Werk, und eine Freude kam über ihn, wie die Geſtalten
unter ſeiner Hand Leben annahmen, eine ehrliche große Freude, denn

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[342/0364] Ebenalp kommt, dem ſchreib' ich mit ungebrannter Aſche ein Wahr- zeichen auf die Haut, daß er zeitlebens dran denken ſoll, und wenn's ihm nicht recht iſt, kann er den Bergtobel hinabſauſen, wie ein Schnee- ſturz im Frühling. Brummend ging der Bub von dannen. Ekkehard aber nahm die Harfe und ſetzte ſich unter das Kreuz vor die Höhle und griff eine fröhliche Tagweiſe; er hatte lange nimmer die Saiten gerührt, es that ihm wunderſam wohl, der mächtigen Ein- ſamkeit gegenüber in leiſen Tönen auszuſprechen, was ihm im Herzen lebte, und die Muſika war ein guter Verbündeter dem Werke der Dichtung, das Waltarilied, das erſt wie ferner Nebel ihm vorgeſchwebt, verdichtete ſich und nahm Geſtaltung an und zog in lebendurchathmeten Bildern an ihm vorüber; er ſchloß die Augen um beſſer zu ſehen: da ſah er die Hunnen anreiten, ein reiſig fröhlich Reitervolk und minder abſcheulich als die, gegen die er ſelber vor wenig Monaten in der Feldſchlacht geſtanden, und ſie nahmen die Königskinder in Franken und Aquitanien als Geiſeln mit und jung Hiltgund, die Wonne von Burgund — und wie er ſtärker die Saiten anſchlug, da erſchaute er auch den König Etzel, der war ein leidlich Menſchenbild, zu Glimpf und Becherfreuden wohl aufgelegt, — und die Königskinder wuchſen an der Hunnen Hofburg auf und wie ſie groß geworden, kam ein ſtilles Heimathſehnen über ſie, und ſie gedachten, daß ſie von Alters einand verlobt — jetzt hub ſich ein Klingen und Drommeten, die Hunnen ſaßen beim Bankett und König Etzel trank den großen Humpen und Alle folgten ſeinem Vorbild, Schlummer trunkener Männer tönte durch die Hallen — jetzt ſah er, wie im Mondſchein der junge Aquitaner Held das Streitroß waffnete, und Hildegunde kam und brachte den hunniſchen Goldſchatz, er hub ſie in Sattel — hei! wie prächtig entritten ſie der Gefangenſchaft ... Und fern und ferner wogte es noch wie Fährlichkeit und Flucht und Fahrt über den Rhein und ſchwerer Kampf mit dem habſüchtigen König Gunther: in großen markigen Zügen ſtund die Geſchichte vor ihm, die er in ſchlichtem Heldengeſang zu verherrlichen gedachte. Noch in derſelbigen Nacht blieb Ekkehard beim Kienſpanlicht ſitzen und begann ſein Werk, und eine Freude kam über ihn, wie die Geſtalten unter ſeiner Hand Leben annahmen, eine ehrliche große Freude, denn

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/364>, abgerufen am 24.11.2024.