sprach den Bärensegen des heiligen Gallus wider sie:"Zeuch aus und weiche von unserem Thal, du Ungethüm des Waldes, Berg und Alpen- schlucht seien dein Revier, uns aber lass' in Ruh und die Heerden der Alm."266) Und die Bärin war still gestanden, im Aug einen bitter wehmüthigen Blick, als wäre sie gekränkt ob der Verschmähung ihres Ge- fühls, sie ließ die Tatzen zur Erde sinken, drehte dem Bannenden den Rücken und schritt auf allen Vieren von dannen. Noch zweimal hatte sie umgeschaut, ehe sie aus dem Blick der Bergbewohner verschwand.
So ein Thier hat zwölf Männer Verstand und sieht dem Men- schen an den Augen an, was er will, sprach der Senn, sonst würd' ich sagen: Ihr seid ein heiliger Mann, daß Euch die Völkerschaften der Wildniß gehorchen.
Er wiegte die Tatzen des Todten prüfend im Arm:
Juhuhu, das wird ein Festschmaus. Die verzehren wir am nächsten Sonntag, Bergbruder, und ein Salätlein von Alpenkräutern dazu. Das Fleisch gibt Wintervorrath für uns zweibeide, um's Fell losen wir.
Wie sie das Opfer der Lawine zum Wildkirchlein empor schleiften, sang Benedicta:
Und wer Schneeglöcklein graben will, Und hat das Glück dabei, Der gräbt wohl einen Bären aus Und gräbt auch ihrer zwei.
Der Schnee war nur ein luftiger Flutterschnee267) gewesen und war in Bälde wieder zerschmolzen, Spätsommer zog noch einmal mit herzwärmender Kraft in den Bergen ein, ein stiller Sonntagfriede lag über dem Hochland.
Ekkehard hatte des Mittags mit dem Senn und seiner Tochter die Bärentatzen verzehrt, eine lecker kräftige Speise, rauh aber stark, wie die Altvorderen selber; dann war er hinaufgestiegen auf den Gipfel der Ebenalp und hatte sich in's duftende Gras geworfen und schaute behaglich in die Himmelsbläue, von wohligem Hauch der Gesundheit erquickt. Um ihn weideten Benedicta's Ziegen; schier war's zu hören, wie das Alpengras zwischen den Zähnen der Kauenden sich bog und zerbrach. Unstetes Gewölk zog an den Bergwänden herum, -- auf weißer Kalksteinplatte, dem Säntis zugewendet, saß Benedicta; sie
D.B.VII. Scheffel, Ekkehard. 22
ſprach den Bärenſegen des heiligen Gallus wider ſie:„Zeuch aus und weiche von unſerem Thal, du Ungethüm des Waldes, Berg und Alpen- ſchlucht ſeien dein Revier, uns aber laſſ' in Ruh und die Heerden der Alm.“266) Und die Bärin war ſtill geſtanden, im Aug einen bitter wehmüthigen Blick, als wäre ſie gekränkt ob der Verſchmähung ihres Ge- fühls, ſie ließ die Tatzen zur Erde ſinken, drehte dem Bannenden den Rücken und ſchritt auf allen Vieren von dannen. Noch zweimal hatte ſie umgeſchaut, ehe ſie aus dem Blick der Bergbewohner verſchwand.
So ein Thier hat zwölf Männer Verſtand und ſieht dem Men- ſchen an den Augen an, was er will, ſprach der Senn, ſonſt würd' ich ſagen: Ihr ſeid ein heiliger Mann, daß Euch die Völkerſchaften der Wildniß gehorchen.
Er wiegte die Tatzen des Todten prüfend im Arm:
Juhuhu, das wird ein Feſtſchmaus. Die verzehren wir am nächſten Sonntag, Bergbruder, und ein Salätlein von Alpenkräutern dazu. Das Fleiſch gibt Wintervorrath für uns zweibeide, um's Fell loſen wir.
Wie ſie das Opfer der Lawine zum Wildkirchlein empor ſchleiften, ſang Benedicta:
Und wer Schneeglöcklein graben will, Und hat das Glück dabei, Der gräbt wohl einen Bären aus Und gräbt auch ihrer zwei.
Der Schnee war nur ein luftiger Flutterſchnee267) geweſen und war in Bälde wieder zerſchmolzen, Spätſommer zog noch einmal mit herzwärmender Kraft in den Bergen ein, ein ſtiller Sonntagfriede lag über dem Hochland.
Ekkehard hatte des Mittags mit dem Senn und ſeiner Tochter die Bärentatzen verzehrt, eine lecker kräftige Speiſe, rauh aber ſtark, wie die Altvorderen ſelber; dann war er hinaufgeſtiegen auf den Gipfel der Ebenalp und hatte ſich in's duftende Gras geworfen und ſchaute behaglich in die Himmelsbläue, von wohligem Hauch der Geſundheit erquickt. Um ihn weideten Benedicta's Ziegen; ſchier war's zu hören, wie das Alpengras zwiſchen den Zähnen der Kauenden ſich bog und zerbrach. Unſtetes Gewölk zog an den Bergwänden herum, — auf weißer Kalkſteinplatte, dem Säntis zugewendet, ſaß Benedicta; ſie
D.B.VII. Scheffel, Ekkehard. 22
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ſprach den Bärenſegen des heiligen Gallus wider ſie:„Zeuch aus und
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Alm.“
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Und die Bärin war ſtill geſtanden, im Aug einen bitter
wehmüthigen Blick, als wäre ſie gekränkt ob der Verſchmähung ihres Ge-
fühls, ſie ließ die Tatzen zur Erde ſinken, drehte dem Bannenden den
Rücken und ſchritt auf allen Vieren von dannen. Noch zweimal hatte
ſie umgeſchaut, ehe ſie aus dem Blick der Bergbewohner verſchwand.
So ein Thier hat zwölf Männer Verſtand und ſieht dem Men-
ſchen an den Augen an, was er will, ſprach der Senn, ſonſt würd'
ich ſagen: Ihr ſeid ein heiliger Mann, daß Euch die Völkerſchaften
der Wildniß gehorchen.
Er wiegte die Tatzen des Todten prüfend im Arm:
Juhuhu, das wird ein Feſtſchmaus. Die verzehren wir am nächſten
Sonntag, Bergbruder, und ein Salätlein von Alpenkräutern dazu.
Das Fleiſch gibt Wintervorrath für uns zweibeide, um's Fell loſen wir.
Wie ſie das Opfer der Lawine zum Wildkirchlein empor ſchleiften,
ſang Benedicta:
Und wer Schneeglöcklein graben will,
Und hat das Glück dabei,
Der gräbt wohl einen Bären aus
Und gräbt auch ihrer zwei.
Der Schnee war nur ein luftiger Flutterſchnee
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war in Bälde wieder zerſchmolzen, Spätſommer zog noch einmal mit
herzwärmender Kraft in den Bergen ein, ein ſtiller Sonntagfriede lag
über dem Hochland.
Ekkehard hatte des Mittags mit dem Senn und ſeiner Tochter die
Bärentatzen verzehrt, eine lecker kräftige Speiſe, rauh aber ſtark, wie
die Altvorderen ſelber; dann war er hinaufgeſtiegen auf den Gipfel
der Ebenalp und hatte ſich in's duftende Gras geworfen und ſchaute
behaglich in die Himmelsbläue, von wohligem Hauch der Geſundheit
erquickt. Um ihn weideten Benedicta's Ziegen; ſchier war's zu hören,
wie das Alpengras zwiſchen den Zähnen der Kauenden ſich bog und
zerbrach. Unſtetes Gewölk zog an den Bergwänden herum, — auf
weißer Kalkſteinplatte, dem Säntis zugewendet, ſaß Benedicta; ſie
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/359>, abgerufen am 24.07.2024.
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