und hatte fort und fort studirt und war ein verständiger junger Mann geworden, den sie zum Professor tauglich fanden, und dachte an den Alzeyer Conrad oft schier mit einem vornehmen Mitleid.
Aber ein triebkräftig Samenkorn kann in des Menschen Herz lange verborgen ruhen und geht zuletzt doch auf, wie der Waizen aus den Mumiensärgen Aegyptenland's.
Daß Ekkehard jetzo freudig jener Erinnerungen pflegte, war ein Zeichen, daß er seither auch ein Anderer geworden.
Und es war gut so. Die Launen der Herzogin und Praxedis unbefangene Grazie hatten sein blödes, schwerfällig gründliches Wesen geläutert, die große Zeit, die er durchlebt, das Sausen der Hunnen- schlacht hatten Schwung in seine Gesinnung getragen und ihn das Getrieb kleinen Ehrgeizes verachten gelehrt, jetzt trug er einen großen Schmerz in sich, der ausgetobt sein mußte -- so war der Kloster- gelehrte trotz Kutte und Tonsur in der glücklichen Umwandlung zum Dichter begriffen und schritt einher gleich der Schlange, die sich aus der alten Umhäutung losgerungen und nur der Gelegenheit wartet, ihre ganze Hülle wie einen abgetragenen Rock an der Hecke abzustreifen.
Täglich und stündlich, wenn er die allezeit schönen Gipfel seiner Berge anschaute und die reine Luft mit vollen Zügen einsog, kam es ihm mehr als ein Räthsel vor, daß er seines Lebens Glück erst im Er- klären und Deuten vergilbter Schriften gesucht, und hernachmals an einer stolzen Frau schier den Verstand eingebüßt; laß stürzen, Herz, sprach er, was nicht mehr stehen mag, und bau' dir eine neue Welt, bau' sie dir tief innen, luftig, stolz und weit, strömen und verrinnen laß die alte Zeit!
Er ging wieder vergnügt in seiner Klause umher, eines Abends hatte er die Vesperzeit geläutet, da kam der Senn von der Ebenalp; er trug etwas sorgsam in einem Tuch. Gott grüß, Bergbruder! sprach er, es hat Euch ordentlich geschüttelt, hab' heut' was für Euch auf- gelesen zur Nachkur, aber Eure Backen sind roth und Eure Augen fröhlich, da ist's nimmer nöthig. Er öffnete sein Tuch, es war ein wimmelnder Ameisenhaufen, alt und jung, sammt trockenen Fichtennadeln; er schüttelte das fleißige Völklein die Felswand hinunter.
Ihr hättet sonst heute Nacht drauf schlafen müssen, sprach er lachend, das beizt die letzte Spur von Fieber hinweg.
und hatte fort und fort ſtudirt und war ein verſtändiger junger Mann geworden, den ſie zum Profeſſor tauglich fanden, und dachte an den Alzeyer Conrad oft ſchier mit einem vornehmen Mitleid.
Aber ein triebkräftig Samenkorn kann in des Menſchen Herz lange verborgen ruhen und geht zuletzt doch auf, wie der Waizen aus den Mumienſärgen Aegyptenland's.
Daß Ekkehard jetzo freudig jener Erinnerungen pflegte, war ein Zeichen, daß er ſeither auch ein Anderer geworden.
Und es war gut ſo. Die Launen der Herzogin und Praxedis unbefangene Grazie hatten ſein blödes, ſchwerfällig gründliches Weſen geläutert, die große Zeit, die er durchlebt, das Sauſen der Hunnen- ſchlacht hatten Schwung in ſeine Geſinnung getragen und ihn das Getrieb kleinen Ehrgeizes verachten gelehrt, jetzt trug er einen großen Schmerz in ſich, der ausgetobt ſein mußte — ſo war der Kloſter- gelehrte trotz Kutte und Tonſur in der glücklichen Umwandlung zum Dichter begriffen und ſchritt einher gleich der Schlange, die ſich aus der alten Umhäutung losgerungen und nur der Gelegenheit wartet, ihre ganze Hülle wie einen abgetragenen Rock an der Hecke abzuſtreifen.
Täglich und ſtündlich, wenn er die allezeit ſchönen Gipfel ſeiner Berge anſchaute und die reine Luft mit vollen Zügen einſog, kam es ihm mehr als ein Räthſel vor, daß er ſeines Lebens Glück erſt im Er- klären und Deuten vergilbter Schriften geſucht, und hernachmals an einer ſtolzen Frau ſchier den Verſtand eingebüßt; laß ſtürzen, Herz, ſprach er, was nicht mehr ſtehen mag, und bau' dir eine neue Welt, bau' ſie dir tief innen, luftig, ſtolz und weit, ſtrömen und verrinnen laß die alte Zeit!
Er ging wieder vergnügt in ſeiner Klauſe umher, eines Abends hatte er die Vesperzeit geläutet, da kam der Senn von der Ebenalp; er trug etwas ſorgſam in einem Tuch. Gott grüß, Bergbruder! ſprach er, es hat Euch ordentlich geſchüttelt, hab' heut' was für Euch auf- geleſen zur Nachkur, aber Eure Backen ſind roth und Eure Augen fröhlich, da iſt's nimmer nöthig. Er öffnete ſein Tuch, es war ein wimmelnder Ameiſenhaufen, alt und jung, ſammt trockenen Fichtennadeln; er ſchüttelte das fleißige Völklein die Felswand hinunter.
Ihr hättet ſonſt heute Nacht drauf ſchlafen müſſen, ſprach er lachend, das beizt die letzte Spur von Fieber hinweg.
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und hatte fort und fort ſtudirt und war ein verſtändiger junger Mann
geworden, den ſie zum Profeſſor tauglich fanden, und dachte an den
Alzeyer Conrad oft ſchier mit einem vornehmen Mitleid.
Aber ein triebkräftig Samenkorn kann in des Menſchen Herz lange
verborgen ruhen und geht zuletzt doch auf, wie der Waizen aus den
Mumienſärgen Aegyptenland's.
Daß Ekkehard jetzo freudig jener Erinnerungen pflegte, war ein
Zeichen, daß er ſeither auch ein Anderer geworden.
Und es war gut ſo. Die Launen der Herzogin und Praxedis
unbefangene Grazie hatten ſein blödes, ſchwerfällig gründliches Weſen
geläutert, die große Zeit, die er durchlebt, das Sauſen der Hunnen-
ſchlacht hatten Schwung in ſeine Geſinnung getragen und ihn das
Getrieb kleinen Ehrgeizes verachten gelehrt, jetzt trug er einen großen
Schmerz in ſich, der ausgetobt ſein mußte — ſo war der Kloſter-
gelehrte trotz Kutte und Tonſur in der glücklichen Umwandlung zum
Dichter begriffen und ſchritt einher gleich der Schlange, die ſich aus
der alten Umhäutung losgerungen und nur der Gelegenheit wartet,
ihre ganze Hülle wie einen abgetragenen Rock an der Hecke abzuſtreifen.
Täglich und ſtündlich, wenn er die allezeit ſchönen Gipfel ſeiner
Berge anſchaute und die reine Luft mit vollen Zügen einſog, kam es
ihm mehr als ein Räthſel vor, daß er ſeines Lebens Glück erſt im Er-
klären und Deuten vergilbter Schriften geſucht, und hernachmals an
einer ſtolzen Frau ſchier den Verſtand eingebüßt; laß ſtürzen, Herz,
ſprach er, was nicht mehr ſtehen mag, und bau' dir eine neue Welt,
bau' ſie dir tief innen, luftig, ſtolz und weit, ſtrömen und verrinnen
laß die alte Zeit!
Er ging wieder vergnügt in ſeiner Klauſe umher, eines Abends
hatte er die Vesperzeit geläutet, da kam der Senn von der Ebenalp;
er trug etwas ſorgſam in einem Tuch. Gott grüß, Bergbruder! ſprach
er, es hat Euch ordentlich geſchüttelt, hab' heut' was für Euch auf-
geleſen zur Nachkur, aber Eure Backen ſind roth und Eure Augen
fröhlich, da iſt's nimmer nöthig. Er öffnete ſein Tuch, es war ein
wimmelnder Ameiſenhaufen, alt und jung, ſammt trockenen Fichtennadeln;
er ſchüttelte das fleißige Völklein die Felswand hinunter.
Ihr hättet ſonſt heute Nacht drauf ſchlafen müſſen, ſprach er
lachend, das beizt die letzte Spur von Fieber hinweg.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/356>, abgerufen am 23.11.2024.
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