Sie ging. Habt Ihr noch etwas zu befehlen? sprach sie im Fortgehen.
Ja wohl, griechisches Insect, antwortete er mit kühlem Ton, einen Krug Essig, wenn es gefällig ist. Ich will meine Ruthen drin ein- weichen, es schreibt sich dann besser und vernarbt schwerer. Ich habe noch keinen Erklärer des Virgilius ausgehauen: der verdient schon eine besondere Ehre.
Unter der Linde saß Burkard der Klosterschüler und schluchzte noch immer. Praxedis küßte ihn im Vorbeigehen. Es geschah dem Kellermeister zu leid.
Sie ging hinauf zur Herzogin und gedachte einen Fußfall zu thun und für Ekkehard zu bitten. Aber das Closet blieb verschlossen. Frau Hadwig war tief erzürnt; wenn die Mönche der Reichenau nicht dazu gekommen, hätte sie Ekkehard's Kühnheit verzeihen mögen, sie selber hatte ja den Keim zu Allem gelegt was jetzt aufgewachsen war -- aber jetzt war Aergerniß gegeben, das heischte Strafe. Scheu vor bösen Zungen hat schon manch' Ding gewendet.
Der Abt hatte ihr das Schreiben von Sanct Gallen zustellen lassen. Benedict's Regel, so stand geschrieben, verlange nicht nur den äußeren Schein mönchischen Lebens, sondern ein Mönchthum mit Leib und Seele: Ekkehard sei heim gerufen. Aus Gunzo's Schrift war Etliches wider ihn angeführt.
Es war ihr gleichgiltig. Was ihm in den Händen seiner Gegner bevorstehe, wußte sie. Sie war entschlossen, Nichts für ihn zu thun. Praxedis klopfte zum zweitenmal an. Es ward nicht aufgethan. O du armer Nachtfalter! sprach sie traurig.
Ekkehard lag in seiner Kerkerhaft wie Einer, der einen wirren Traum geträumt hat. Vier kahle Wände waren um ihn, von oben ein schwacher Lichtschimmer. Oft zitterte er noch, als schüttle ihn Frost. Allmälig legte sich ein wehmüthig Lächeln der Entsagung um die Lippen; es blieb sich nicht gleich -- mitunter ballte er die Faust in heftiger Zorneserregung.
Es ist mit des Menschen Gemüth wie mit dem Meere. Hat der Sturm auch ausgetobt, so wogt und brandet es noch lange stärker als sonst und untereinsmal schäumt wieder ein nachzügelnder Wellen- sturz gewaltig auf und jagt die Möwen vom Fels.
Sie ging. Habt Ihr noch etwas zu befehlen? ſprach ſie im Fortgehen.
Ja wohl, griechiſches Inſect, antwortete er mit kühlem Ton, einen Krug Eſſig, wenn es gefällig iſt. Ich will meine Ruthen drin ein- weichen, es ſchreibt ſich dann beſſer und vernarbt ſchwerer. Ich habe noch keinen Erklärer des Virgilius ausgehauen: der verdient ſchon eine beſondere Ehre.
Unter der Linde ſaß Burkard der Kloſterſchüler und ſchluchzte noch immer. Praxedis küßte ihn im Vorbeigehen. Es geſchah dem Kellermeiſter zu leid.
Sie ging hinauf zur Herzogin und gedachte einen Fußfall zu thun und für Ekkehard zu bitten. Aber das Cloſet blieb verſchloſſen. Frau Hadwig war tief erzürnt; wenn die Mönche der Reichenau nicht dazu gekommen, hätte ſie Ekkehard's Kühnheit verzeihen mögen, ſie ſelber hatte ja den Keim zu Allem gelegt was jetzt aufgewachſen war — aber jetzt war Aergerniß gegeben, das heiſchte Strafe. Scheu vor böſen Zungen hat ſchon manch' Ding gewendet.
Der Abt hatte ihr das Schreiben von Sanct Gallen zuſtellen laſſen. Benedict's Regel, ſo ſtand geſchrieben, verlange nicht nur den äußeren Schein mönchiſchen Lebens, ſondern ein Mönchthum mit Leib und Seele: Ekkehard ſei heim gerufen. Aus Gunzo's Schrift war Etliches wider ihn angeführt.
Es war ihr gleichgiltig. Was ihm in den Händen ſeiner Gegner bevorſtehe, wußte ſie. Sie war entſchloſſen, Nichts für ihn zu thun. Praxedis klopfte zum zweitenmal an. Es ward nicht aufgethan. O du armer Nachtfalter! ſprach ſie traurig.
Ekkehard lag in ſeiner Kerkerhaft wie Einer, der einen wirren Traum geträumt hat. Vier kahle Wände waren um ihn, von oben ein ſchwacher Lichtſchimmer. Oft zitterte er noch, als ſchüttle ihn Froſt. Allmälig legte ſich ein wehmüthig Lächeln der Entſagung um die Lippen; es blieb ſich nicht gleich — mitunter ballte er die Fauſt in heftiger Zorneserregung.
Es iſt mit des Menſchen Gemüth wie mit dem Meere. Hat der Sturm auch ausgetobt, ſo wogt und brandet es noch lange ſtärker als ſonſt und untereinsmal ſchäumt wieder ein nachzügelnder Wellen- ſturz gewaltig auf und jagt die Möwen vom Fels.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0334"n="312"/><p>Sie ging. Habt Ihr noch etwas zu befehlen? ſprach ſie im<lb/>
Fortgehen.</p><lb/><p>Ja wohl, griechiſches Inſect, antwortete er mit kühlem Ton, einen<lb/>
Krug Eſſig, wenn es gefällig iſt. Ich will meine Ruthen drin ein-<lb/>
weichen, es ſchreibt ſich dann beſſer und vernarbt ſchwerer. Ich habe<lb/>
noch keinen Erklärer des Virgilius ausgehauen: der verdient ſchon<lb/>
eine beſondere Ehre.</p><lb/><p>Unter der Linde ſaß Burkard der Kloſterſchüler und ſchluchzte<lb/>
noch immer. Praxedis küßte ihn im Vorbeigehen. Es geſchah dem<lb/>
Kellermeiſter zu leid.</p><lb/><p>Sie ging hinauf zur Herzogin und gedachte einen Fußfall zu<lb/>
thun und für Ekkehard zu bitten. Aber das Cloſet blieb verſchloſſen.<lb/>
Frau Hadwig war tief erzürnt; wenn die Mönche der Reichenau nicht<lb/>
dazu gekommen, hätte ſie Ekkehard's Kühnheit verzeihen mögen, ſie<lb/>ſelber hatte ja den Keim zu Allem gelegt was jetzt aufgewachſen<lb/>
war — aber jetzt war Aergerniß gegeben, das heiſchte Strafe. Scheu<lb/>
vor böſen Zungen hat ſchon manch' Ding gewendet.</p><lb/><p>Der Abt hatte ihr das Schreiben von Sanct Gallen zuſtellen<lb/>
laſſen. Benedict's Regel, ſo ſtand geſchrieben, verlange nicht nur den<lb/>
äußeren Schein mönchiſchen Lebens, ſondern ein Mönchthum mit Leib<lb/>
und Seele: Ekkehard ſei heim gerufen. Aus Gunzo's Schrift war<lb/>
Etliches wider ihn angeführt.</p><lb/><p>Es war ihr gleichgiltig. Was ihm in den Händen ſeiner Gegner<lb/>
bevorſtehe, wußte ſie. Sie war entſchloſſen, Nichts für ihn zu thun.<lb/>
Praxedis klopfte zum zweitenmal an. Es ward nicht aufgethan. O<lb/>
du armer Nachtfalter! ſprach ſie traurig.</p><lb/><p>Ekkehard lag in ſeiner Kerkerhaft wie Einer, der einen wirren<lb/>
Traum geträumt hat. Vier kahle Wände waren um ihn, von oben<lb/>
ein ſchwacher Lichtſchimmer. Oft zitterte er noch, als ſchüttle ihn<lb/>
Froſt. Allmälig legte ſich ein wehmüthig Lächeln der Entſagung um<lb/>
die Lippen; es blieb ſich nicht gleich — mitunter ballte er die Fauſt<lb/>
in heftiger Zorneserregung.</p><lb/><p>Es iſt mit des Menſchen Gemüth wie mit dem Meere. Hat der<lb/>
Sturm auch ausgetobt, ſo wogt und brandet es noch lange ſtärker<lb/>
als ſonſt und untereinsmal ſchäumt wieder ein nachzügelnder Wellen-<lb/>ſturz gewaltig auf und jagt die Möwen vom Fels.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[312/0334]
Sie ging. Habt Ihr noch etwas zu befehlen? ſprach ſie im
Fortgehen.
Ja wohl, griechiſches Inſect, antwortete er mit kühlem Ton, einen
Krug Eſſig, wenn es gefällig iſt. Ich will meine Ruthen drin ein-
weichen, es ſchreibt ſich dann beſſer und vernarbt ſchwerer. Ich habe
noch keinen Erklärer des Virgilius ausgehauen: der verdient ſchon
eine beſondere Ehre.
Unter der Linde ſaß Burkard der Kloſterſchüler und ſchluchzte
noch immer. Praxedis küßte ihn im Vorbeigehen. Es geſchah dem
Kellermeiſter zu leid.
Sie ging hinauf zur Herzogin und gedachte einen Fußfall zu
thun und für Ekkehard zu bitten. Aber das Cloſet blieb verſchloſſen.
Frau Hadwig war tief erzürnt; wenn die Mönche der Reichenau nicht
dazu gekommen, hätte ſie Ekkehard's Kühnheit verzeihen mögen, ſie
ſelber hatte ja den Keim zu Allem gelegt was jetzt aufgewachſen
war — aber jetzt war Aergerniß gegeben, das heiſchte Strafe. Scheu
vor böſen Zungen hat ſchon manch' Ding gewendet.
Der Abt hatte ihr das Schreiben von Sanct Gallen zuſtellen
laſſen. Benedict's Regel, ſo ſtand geſchrieben, verlange nicht nur den
äußeren Schein mönchiſchen Lebens, ſondern ein Mönchthum mit Leib
und Seele: Ekkehard ſei heim gerufen. Aus Gunzo's Schrift war
Etliches wider ihn angeführt.
Es war ihr gleichgiltig. Was ihm in den Händen ſeiner Gegner
bevorſtehe, wußte ſie. Sie war entſchloſſen, Nichts für ihn zu thun.
Praxedis klopfte zum zweitenmal an. Es ward nicht aufgethan. O
du armer Nachtfalter! ſprach ſie traurig.
Ekkehard lag in ſeiner Kerkerhaft wie Einer, der einen wirren
Traum geträumt hat. Vier kahle Wände waren um ihn, von oben
ein ſchwacher Lichtſchimmer. Oft zitterte er noch, als ſchüttle ihn
Froſt. Allmälig legte ſich ein wehmüthig Lächeln der Entſagung um
die Lippen; es blieb ſich nicht gleich — mitunter ballte er die Fauſt
in heftiger Zorneserregung.
Es iſt mit des Menſchen Gemüth wie mit dem Meere. Hat der
Sturm auch ausgetobt, ſo wogt und brandet es noch lange ſtärker
als ſonſt und untereinsmal ſchäumt wieder ein nachzügelnder Wellen-
ſturz gewaltig auf und jagt die Möwen vom Fels.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/334>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.