summte und schwirrte es, als streiche ein Flug Wildenten drin herum. Er mied Frau Hadwig's Anblick und sehnte sich doch in jeder Minute da er fern, in ihre Nähe. Die alte frohe Unbefangenheit war ver- flogen, sein Wesen zerstreut und fahrig geworden; jene Zeit, die noch keinem Sterblichen erspart ward, die der brave Gottfried von Straß- burg hernachmals ein "stätes Leid bei stätiglicher Seligkeit" geheißen, brach über ihn herein.
Vor sinkender Nacht hatte ein Gewitter getobt. Er hatte sein Fensterlein geöffnet und sich der Blitze erfreut, wenn sie das Dunkel durchzuckten, daß ein greller Schein die Ufer des Sees hell heraushob, und hatte gelacht, wenn's wieder finster ward und der Donner schüt- ternd über die Berggipfel rollte.
Jetzt war sonniger Morgen. Auf dem Gras perlten thauige Tropfen, zwischen drein im Schatten auch dann und wann ein unge- schmolzenes Eiskorn. Schweigend lag Berg und Thal, aber die ge- bräunte Frucht der Felder ließ ihre Halme geknickt zu Boden hangen, Hagelschlag hatte in der hochstrebenden Ernte gewüthet. Aus den Felsen des Berges rieselten trübfarbige Bächlein thalabwärts.
Noch regte sich's nicht auf der Flur: es war kaum nach dem ersten Hahnenschrei. Nur fern über das Hügelland, das im Rücken des hohen Twiel sich wellenförmig ausdehnt, kam ein Mann geschritten. Das war der Hunn Cappan. Er trug Weidengerten und allerhand Schlingen und ging an seine Arbeit den Feldmäusen nachzustellen. Fröhlich pfiff er auf einem Lindenblatt, -- das Bild eines glücklichen Neuvermählten, ihm war in der langen Friderun Armen ein neues Leben aufgegangen.
Wie geht's? fragte ihn Ekkehard mild, als er an ihm vorüber- schritt und ihn demüthig grüßte. Der Hunn deutete in die blaue Luft hinauf: wie im Himmel! sagte er und drehte sich vergnügt auf seinem Holzschuh. Ekkehard wandte sich. Noch lang tönte des Scheer- mausfängers Pfeifen durch die Morgenstille, er aber schritt zum Ab- hang der Felsen. Dort lag ein verwitterter Stein; ein Fliederbusch wölbte sich drüber mit üppig weißen Blüthen. Ekkehard setzte sich. Lang schaute er in die Ferne, dann zog er ein von zierlicher Decke umfaßtes Büchlein aus seiner Kutte und hub an zu lesen. Es war kein Brevier und kein Psalterium. Das hohe Lied Salomonis! hieß
ſummte und ſchwirrte es, als ſtreiche ein Flug Wildenten drin herum. Er mied Frau Hadwig's Anblick und ſehnte ſich doch in jeder Minute da er fern, in ihre Nähe. Die alte frohe Unbefangenheit war ver- flogen, ſein Weſen zerſtreut und fahrig geworden; jene Zeit, die noch keinem Sterblichen erſpart ward, die der brave Gottfried von Straß- burg hernachmals ein „ſtätes Leid bei ſtätiglicher Seligkeit“ geheißen, brach über ihn herein.
Vor ſinkender Nacht hatte ein Gewitter getobt. Er hatte ſein Fenſterlein geöffnet und ſich der Blitze erfreut, wenn ſie das Dunkel durchzuckten, daß ein greller Schein die Ufer des Sees hell heraushob, und hatte gelacht, wenn's wieder finſter ward und der Donner ſchüt- ternd über die Berggipfel rollte.
Jetzt war ſonniger Morgen. Auf dem Gras perlten thauige Tropfen, zwiſchen drein im Schatten auch dann und wann ein unge- ſchmolzenes Eiskorn. Schweigend lag Berg und Thal, aber die ge- bräunte Frucht der Felder ließ ihre Halme geknickt zu Boden hangen, Hagelſchlag hatte in der hochſtrebenden Ernte gewüthet. Aus den Felſen des Berges rieſelten trübfarbige Bächlein thalabwärts.
Noch regte ſich's nicht auf der Flur: es war kaum nach dem erſten Hahnenſchrei. Nur fern über das Hügelland, das im Rücken des hohen Twiel ſich wellenförmig ausdehnt, kam ein Mann geſchritten. Das war der Hunn Cappan. Er trug Weidengerten und allerhand Schlingen und ging an ſeine Arbeit den Feldmäuſen nachzuſtellen. Fröhlich pfiff er auf einem Lindenblatt, — das Bild eines glücklichen Neuvermählten, ihm war in der langen Friderun Armen ein neues Leben aufgegangen.
Wie geht's? fragte ihn Ekkehard mild, als er an ihm vorüber- ſchritt und ihn demüthig grüßte. Der Hunn deutete in die blaue Luft hinauf: wie im Himmel! ſagte er und drehte ſich vergnügt auf ſeinem Holzſchuh. Ekkehard wandte ſich. Noch lang tönte des Scheer- mausfängers Pfeifen durch die Morgenſtille, er aber ſchritt zum Ab- hang der Felſen. Dort lag ein verwitterter Stein; ein Fliederbuſch wölbte ſich drüber mit üppig weißen Blüthen. Ekkehard ſetzte ſich. Lang ſchaute er in die Ferne, dann zog er ein von zierlicher Decke umfaßtes Büchlein aus ſeiner Kutte und hub an zu leſen. Es war kein Brevier und kein Pſalterium. Das hohe Lied Salomonis! hieß
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ſummte und ſchwirrte es, als ſtreiche ein Flug Wildenten drin herum.
Er mied Frau Hadwig's Anblick und ſehnte ſich doch in jeder Minute
da er fern, in ihre Nähe. Die alte frohe Unbefangenheit war ver-
flogen, ſein Weſen zerſtreut und fahrig geworden; jene Zeit, die noch
keinem Sterblichen erſpart ward, die der brave Gottfried von Straß-
burg hernachmals ein „ſtätes Leid bei ſtätiglicher Seligkeit“ geheißen,
brach über ihn herein.
Vor ſinkender Nacht hatte ein Gewitter getobt. Er hatte ſein
Fenſterlein geöffnet und ſich der Blitze erfreut, wenn ſie das Dunkel
durchzuckten, daß ein greller Schein die Ufer des Sees hell heraushob,
und hatte gelacht, wenn's wieder finſter ward und der Donner ſchüt-
ternd über die Berggipfel rollte.
Jetzt war ſonniger Morgen. Auf dem Gras perlten thauige
Tropfen, zwiſchen drein im Schatten auch dann und wann ein unge-
ſchmolzenes Eiskorn. Schweigend lag Berg und Thal, aber die ge-
bräunte Frucht der Felder ließ ihre Halme geknickt zu Boden hangen,
Hagelſchlag hatte in der hochſtrebenden Ernte gewüthet. Aus den
Felſen des Berges rieſelten trübfarbige Bächlein thalabwärts.
Noch regte ſich's nicht auf der Flur: es war kaum nach dem
erſten Hahnenſchrei. Nur fern über das Hügelland, das im Rücken
des hohen Twiel ſich wellenförmig ausdehnt, kam ein Mann geſchritten.
Das war der Hunn Cappan. Er trug Weidengerten und allerhand
Schlingen und ging an ſeine Arbeit den Feldmäuſen nachzuſtellen.
Fröhlich pfiff er auf einem Lindenblatt, — das Bild eines glücklichen
Neuvermählten, ihm war in der langen Friderun Armen ein neues
Leben aufgegangen.
Wie geht's? fragte ihn Ekkehard mild, als er an ihm vorüber-
ſchritt und ihn demüthig grüßte. Der Hunn deutete in die blaue
Luft hinauf: wie im Himmel! ſagte er und drehte ſich vergnügt auf
ſeinem Holzſchuh. Ekkehard wandte ſich. Noch lang tönte des Scheer-
mausfängers Pfeifen durch die Morgenſtille, er aber ſchritt zum Ab-
hang der Felſen. Dort lag ein verwitterter Stein; ein Fliederbuſch
wölbte ſich drüber mit üppig weißen Blüthen. Ekkehard ſetzte ſich.
Lang ſchaute er in die Ferne, dann zog er ein von zierlicher Decke
umfaßtes Büchlein aus ſeiner Kutte und hub an zu leſen. Es war
kein Brevier und kein Pſalterium. Das hohe Lied Salomonis! hieß
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/269>, abgerufen am 03.12.2024.
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