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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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der Vesperandacht stieg der Accusativus vor ihm auf und heischte sein
Sühnopfer.

Von allen unfrohen Lebenstagen prägen sich die am tiefsten der
Seele ein, wo durch eigen Verschulden eine Beschämung veranlaßt
ward; statt mit sich selber drüber zu grollen, wird allen, die unfrei-
willige Zeugen waren, eine bittere Verstimmung zugewendet, das liebe
Menschenherz gesteht sich so schwer, so schwer die eigene Schwäche, und
Manchem, der ruhig an Kampf und Todschlag zurückdenkt, schießt alles
Blut zu Haupte beim Gedanken an ein thörigt Wort, das ihm an
einer Stelle entfuhr, wo er gern mit einem verständigen geglänzt.

Darum nahm Gunzo seine Rache an Ekkehard. Und er führte
eine scharfe tapfere Feder und hatte vieler Monde Frist auf sein Werk
verwandt, daß es in seiner Art ein Meisterstück ward, eine schwarze
Suppe von viel hundert gelahrten Brocken, reichlich gewürzt mit Pfeffer
und Wermuth und all den Bitterkeiten, die den Streitschriften geist-
licher Herren vor denen Anderer so lieblichen Schmack verleihen.

Und ging ein wohlthuender Zug von Grobheit durch's Ganze,
also daß dem Leser zu Muthe werden kann, als höre er, wie in naher
Scheune ein Mensch mit Flegeln der Drescher gedroschen werde --
was von der feinen Art neuerer Zeit, wo das Gift in vergüldeten
Pillen gereicht wird und die Streiter den Hut voreinand abziehen, eh'
sie anheben sich die Rippen einzuschlagen, rühmlich absticht.

Es waren aber zwei Theile, der erste dem Ekkehard zum Nachweis,
daß nur ein roher und unwissender Mensch sich an Verwechslung eines
Casus stoßen könne, der zweite, der Welt zur Ueberzeugung, daß der
Verfasser Gunzo der gelahrteste, weiseste und frömmste der Zeit-
genossen.

Und darum hatte er im Schweiß seines Angesichtes die Classiker
gelesen und die heiligen Schriften, daß er alle Stellen verzeichnen
möge, in denen gleichfalls dichterische Laune oder Nachlässigkeit einen
fälschlichen Accusativus gebraucht. Brachte auch der Beispiele aus
Virgilius zwei, aus Homer eines, aus Terentius eines, aus Priscianus
eines, ferner aus Persius eines, wo ein Vocativ statt eines Nominativ,
und aus Sallustius eines, wo ein Ablativ statt des Genitiv gesetzt
ward -- deßgleichen aus den Büchern Moses und den Psalmen. "Und
wenn solches sogar in den Reihen heiliger Schriften zu finden, wer

der Vesperandacht ſtieg der Accuſativus vor ihm auf und heiſchte ſein
Sühnopfer.

Von allen unfrohen Lebenstagen prägen ſich die am tiefſten der
Seele ein, wo durch eigen Verſchulden eine Beſchämung veranlaßt
ward; ſtatt mit ſich ſelber drüber zu grollen, wird allen, die unfrei-
willige Zeugen waren, eine bittere Verſtimmung zugewendet, das liebe
Menſchenherz geſteht ſich ſo ſchwer, ſo ſchwer die eigene Schwäche, und
Manchem, der ruhig an Kampf und Todſchlag zurückdenkt, ſchießt alles
Blut zu Haupte beim Gedanken an ein thörigt Wort, das ihm an
einer Stelle entfuhr, wo er gern mit einem verſtändigen geglänzt.

Darum nahm Gunzo ſeine Rache an Ekkehard. Und er führte
eine ſcharfe tapfere Feder und hatte vieler Monde Friſt auf ſein Werk
verwandt, daß es in ſeiner Art ein Meiſterſtück ward, eine ſchwarze
Suppe von viel hundert gelahrten Brocken, reichlich gewürzt mit Pfeffer
und Wermuth und all den Bitterkeiten, die den Streitſchriften geiſt-
licher Herren vor denen Anderer ſo lieblichen Schmack verleihen.

Und ging ein wohlthuender Zug von Grobheit durch's Ganze,
alſo daß dem Leſer zu Muthe werden kann, als höre er, wie in naher
Scheune ein Menſch mit Flegeln der Dreſcher gedroſchen werde —
was von der feinen Art neuerer Zeit, wo das Gift in vergüldeten
Pillen gereicht wird und die Streiter den Hut voreinand abziehen, eh'
ſie anheben ſich die Rippen einzuſchlagen, rühmlich abſticht.

Es waren aber zwei Theile, der erſte dem Ekkehard zum Nachweis,
daß nur ein roher und unwiſſender Menſch ſich an Verwechslung eines
Caſus ſtoßen könne, der zweite, der Welt zur Ueberzeugung, daß der
Verfaſſer Gunzo der gelahrteſte, weiſeſte und frömmſte der Zeit-
genoſſen.

Und darum hatte er im Schweiß ſeines Angeſichtes die Claſſiker
geleſen und die heiligen Schriften, daß er alle Stellen verzeichnen
möge, in denen gleichfalls dichteriſche Laune oder Nachläſſigkeit einen
fälſchlichen Accuſativus gebraucht. Brachte auch der Beiſpiele aus
Virgilius zwei, aus Homer eines, aus Terentius eines, aus Priscianus
eines, ferner aus Perſius eines, wo ein Vocativ ſtatt eines Nominativ,
und aus Salluſtius eines, wo ein Ablativ ſtatt des Genitiv geſetzt
ward — deßgleichen aus den Büchern Moſes und den Pſalmen. „Und
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[236/0258] der Vesperandacht ſtieg der Accuſativus vor ihm auf und heiſchte ſein Sühnopfer. Von allen unfrohen Lebenstagen prägen ſich die am tiefſten der Seele ein, wo durch eigen Verſchulden eine Beſchämung veranlaßt ward; ſtatt mit ſich ſelber drüber zu grollen, wird allen, die unfrei- willige Zeugen waren, eine bittere Verſtimmung zugewendet, das liebe Menſchenherz geſteht ſich ſo ſchwer, ſo ſchwer die eigene Schwäche, und Manchem, der ruhig an Kampf und Todſchlag zurückdenkt, ſchießt alles Blut zu Haupte beim Gedanken an ein thörigt Wort, das ihm an einer Stelle entfuhr, wo er gern mit einem verſtändigen geglänzt. Darum nahm Gunzo ſeine Rache an Ekkehard. Und er führte eine ſcharfe tapfere Feder und hatte vieler Monde Friſt auf ſein Werk verwandt, daß es in ſeiner Art ein Meiſterſtück ward, eine ſchwarze Suppe von viel hundert gelahrten Brocken, reichlich gewürzt mit Pfeffer und Wermuth und all den Bitterkeiten, die den Streitſchriften geiſt- licher Herren vor denen Anderer ſo lieblichen Schmack verleihen. Und ging ein wohlthuender Zug von Grobheit durch's Ganze, alſo daß dem Leſer zu Muthe werden kann, als höre er, wie in naher Scheune ein Menſch mit Flegeln der Dreſcher gedroſchen werde — was von der feinen Art neuerer Zeit, wo das Gift in vergüldeten Pillen gereicht wird und die Streiter den Hut voreinand abziehen, eh' ſie anheben ſich die Rippen einzuſchlagen, rühmlich abſticht. Es waren aber zwei Theile, der erſte dem Ekkehard zum Nachweis, daß nur ein roher und unwiſſender Menſch ſich an Verwechslung eines Caſus ſtoßen könne, der zweite, der Welt zur Ueberzeugung, daß der Verfaſſer Gunzo der gelahrteſte, weiſeſte und frömmſte der Zeit- genoſſen. Und darum hatte er im Schweiß ſeines Angeſichtes die Claſſiker geleſen und die heiligen Schriften, daß er alle Stellen verzeichnen möge, in denen gleichfalls dichteriſche Laune oder Nachläſſigkeit einen fälſchlichen Accuſativus gebraucht. Brachte auch der Beiſpiele aus Virgilius zwei, aus Homer eines, aus Terentius eines, aus Priscianus eines, ferner aus Perſius eines, wo ein Vocativ ſtatt eines Nominativ, und aus Salluſtius eines, wo ein Ablativ ſtatt des Genitiv geſetzt ward — deßgleichen aus den Büchern Moſes und den Pſalmen. „Und wenn ſolches ſogar in den Reihen heiliger Schriften zu finden, wer

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/258>, abgerufen am 23.12.2024.