Das Glück? sprach Frau Hadwig, das Glück kommt von ohnge- fähr wohl über neunzig Stunden her, heißt's im Sprichwort. Fehlt's Euch?
Es wäre möglich, sprach der Mönch und schaute in's Moos hin- ab. Erneute Musik und Jauchzen der Tanzenden tönte herüber.
Die dort das Erdreich stampfen, fuhr er fort, und mit den Füßen auszusprechen wissen was ihnen das Herz bewegt, sind glücklich; es gehört wohl wenig dazu, um's zu sein, vor Allem -- er deutete nach den schimmernden Häuptern der Alpen -- keine Fernsicht auf Höhen, die unser Fuß niemals erreichen darf.
Ich versteh' Euch nicht, sagte die Herzogin trocken. Ihr Herz dachte anders als ihre Zunge. Wie geht es Eurem Virgilius, sprach sie, die Rede ablenkend; es hat sich wohl Staub und Spinnweb über ihn gesetzt in der Noth der vergangenen Tage?
In meinem Herzen ist er wohl geborgen, sprach Ekkehard; wenn das Pergament auch modert. Erst vorhin sind mir seine Verse zum Lob des Landbau's durch die Gedanken gezogen: dort das waldum- schattete Häuslein, am Bergeshang der Felder schwarzfettes Erdreich, ein neu vermählt Paar mit Hacke und Pflug, der Mutter Erde den Unterhalt abzwingend -- neidig mußt ich des Virgilius Bild vor mir sehen
"-- ein truglos gleitendes Leben, Reich an mancherlei Gut. Und Muße bei räumigen Feldern, Grotten und lebende Teich', ein Kühlung athmendes Tempe, Rindergebrüll und unter dem Baum sanft winkender Schlummer."
Ihr wißt sinnig zu erklären, sprach Frau Hadwig. Des Cappan Lehenspflicht, ringsum den Maulwurf zu fahen und die nagende Feldmaus, hat Euer Neid wohl übersehen. Und die Winterfreuden! wenn der Schnee mauergleich bis an das Strohdach sich thürmt, daß der helle Tag sich verlegen umschaut, durch welchen Spalt er ins Haus schlüpfen soll ..
Auch in solche Noth wüßte ich mich zu finden, sprach Ekkehard. Virgilius weiß es auch:
"Mancher verbleibet dann lang beim späten Geflimmer des Feuers Wach im Winter und schnitzt sich Fackeln mit schneidendem Eisen Während sein Weib mit Gesang sich der Arbeit Weile verkürzend Rasch des Geweb's Aufzug durchschießt mit sausendem Kamme."
Das Glück? ſprach Frau Hadwig, das Glück kommt von ohnge- fähr wohl über neunzig Stunden her, heißt's im Sprichwort. Fehlt's Euch?
Es wäre möglich, ſprach der Mönch und ſchaute in's Moos hin- ab. Erneute Muſik und Jauchzen der Tanzenden tönte herüber.
Die dort das Erdreich ſtampfen, fuhr er fort, und mit den Füßen auszuſprechen wiſſen was ihnen das Herz bewegt, ſind glücklich; es gehört wohl wenig dazu, um's zu ſein, vor Allem — er deutete nach den ſchimmernden Häuptern der Alpen — keine Fernſicht auf Höhen, die unſer Fuß niemals erreichen darf.
Ich verſteh' Euch nicht, ſagte die Herzogin trocken. Ihr Herz dachte anders als ihre Zunge. Wie geht es Eurem Virgilius, ſprach ſie, die Rede ablenkend; es hat ſich wohl Staub und Spinnweb über ihn geſetzt in der Noth der vergangenen Tage?
In meinem Herzen iſt er wohl geborgen, ſprach Ekkehard; wenn das Pergament auch modert. Erſt vorhin ſind mir ſeine Verſe zum Lob des Landbau's durch die Gedanken gezogen: dort das waldum- ſchattete Häuslein, am Bergeshang der Felder ſchwarzfettes Erdreich, ein neu vermählt Paar mit Hacke und Pflug, der Mutter Erde den Unterhalt abzwingend — neidig mußt ich des Virgilius Bild vor mir ſehen
„— ein truglos gleitendes Leben, Reich an mancherlei Gut. Und Muße bei räumigen Feldern, Grotten und lebende Teich', ein Kühlung athmendes Tempe, Rindergebrüll und unter dem Baum ſanft winkender Schlummer.“
Ihr wißt ſinnig zu erklären, ſprach Frau Hadwig. Des Cappan Lehenspflicht, ringsum den Maulwurf zu fahen und die nagende Feldmaus, hat Euer Neid wohl überſehen. Und die Winterfreuden! wenn der Schnee mauergleich bis an das Strohdach ſich thürmt, daß der helle Tag ſich verlegen umſchaut, durch welchen Spalt er ins Haus ſchlüpfen ſoll ..
Auch in ſolche Noth wüßte ich mich zu finden, ſprach Ekkehard. Virgilius weiß es auch:
„Mancher verbleibet dann lang beim ſpäten Geflimmer des Feuers Wach im Winter und ſchnitzt ſich Fackeln mit ſchneidendem Eiſen Während ſein Weib mit Geſang ſich der Arbeit Weile verkürzend Raſch des Geweb's Aufzug durchſchießt mit ſauſendem Kamme.“
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0248"n="226"/><p>Das Glück? ſprach Frau Hadwig, das Glück kommt von ohnge-<lb/>
fähr wohl über neunzig Stunden her, heißt's im Sprichwort. Fehlt's Euch?</p><lb/><p>Es wäre möglich, ſprach der Mönch und ſchaute in's Moos hin-<lb/>
ab. Erneute Muſik und Jauchzen der Tanzenden tönte herüber.</p><lb/><p>Die dort das Erdreich ſtampfen, fuhr er fort, und mit den Füßen<lb/>
auszuſprechen wiſſen was ihnen das Herz bewegt, ſind glücklich; es<lb/>
gehört wohl wenig dazu, um's zu ſein, vor Allem — er deutete nach<lb/>
den ſchimmernden Häuptern der Alpen — keine Fernſicht auf Höhen,<lb/>
die unſer Fuß niemals erreichen darf.</p><lb/><p>Ich verſteh' Euch nicht, ſagte die Herzogin trocken. Ihr Herz<lb/>
dachte anders als ihre Zunge. Wie geht es Eurem Virgilius, ſprach<lb/>ſie, die Rede ablenkend; es hat ſich wohl Staub und Spinnweb über<lb/>
ihn geſetzt in der Noth der vergangenen Tage?</p><lb/><p>In meinem Herzen iſt er wohl geborgen, ſprach Ekkehard; wenn<lb/>
das Pergament auch modert. Erſt vorhin ſind mir ſeine Verſe zum<lb/>
Lob des Landbau's durch die Gedanken gezogen: dort das waldum-<lb/>ſchattete Häuslein, am Bergeshang der Felder ſchwarzfettes Erdreich,<lb/>
ein neu vermählt Paar mit Hacke und Pflug, der Mutter Erde den<lb/>
Unterhalt abzwingend — neidig mußt ich des Virgilius Bild vor<lb/>
mir ſehen</p><lb/><lgtype="poem"><l>„— ein truglos gleitendes Leben,</l><lb/><l>Reich an mancherlei Gut. Und Muße bei räumigen Feldern,</l><lb/><l>Grotten und lebende Teich', ein Kühlung athmendes Tempe,</l><lb/><l>Rindergebrüll und unter dem Baum ſanft winkender Schlummer.“</l></lg><lb/><p>Ihr wißt ſinnig zu erklären, ſprach Frau Hadwig. Des Cappan<lb/>
Lehenspflicht, ringsum den Maulwurf zu fahen und die nagende<lb/>
Feldmaus, hat Euer Neid wohl überſehen. Und die Winterfreuden!<lb/>
wenn der Schnee mauergleich bis an das Strohdach ſich thürmt, daß<lb/>
der helle Tag ſich verlegen umſchaut, durch welchen Spalt er ins<lb/>
Haus ſchlüpfen ſoll ..</p><lb/><p>Auch in ſolche Noth wüßte ich mich zu finden, ſprach Ekkehard.<lb/>
Virgilius weiß es auch:</p><lb/><lgtype="poem"><l>„Mancher verbleibet dann lang beim ſpäten Geflimmer des Feuers</l><lb/><l>Wach im Winter und ſchnitzt ſich Fackeln mit ſchneidendem Eiſen</l><lb/><l>Während ſein Weib mit Geſang ſich der Arbeit Weile verkürzend</l><lb/><l>Raſch des Geweb's Aufzug durchſchießt mit ſauſendem Kamme.“</l></lg><lb/></div></body></text></TEI>
[226/0248]
Das Glück? ſprach Frau Hadwig, das Glück kommt von ohnge-
fähr wohl über neunzig Stunden her, heißt's im Sprichwort. Fehlt's Euch?
Es wäre möglich, ſprach der Mönch und ſchaute in's Moos hin-
ab. Erneute Muſik und Jauchzen der Tanzenden tönte herüber.
Die dort das Erdreich ſtampfen, fuhr er fort, und mit den Füßen
auszuſprechen wiſſen was ihnen das Herz bewegt, ſind glücklich; es
gehört wohl wenig dazu, um's zu ſein, vor Allem — er deutete nach
den ſchimmernden Häuptern der Alpen — keine Fernſicht auf Höhen,
die unſer Fuß niemals erreichen darf.
Ich verſteh' Euch nicht, ſagte die Herzogin trocken. Ihr Herz
dachte anders als ihre Zunge. Wie geht es Eurem Virgilius, ſprach
ſie, die Rede ablenkend; es hat ſich wohl Staub und Spinnweb über
ihn geſetzt in der Noth der vergangenen Tage?
In meinem Herzen iſt er wohl geborgen, ſprach Ekkehard; wenn
das Pergament auch modert. Erſt vorhin ſind mir ſeine Verſe zum
Lob des Landbau's durch die Gedanken gezogen: dort das waldum-
ſchattete Häuslein, am Bergeshang der Felder ſchwarzfettes Erdreich,
ein neu vermählt Paar mit Hacke und Pflug, der Mutter Erde den
Unterhalt abzwingend — neidig mußt ich des Virgilius Bild vor
mir ſehen
„— ein truglos gleitendes Leben,
Reich an mancherlei Gut. Und Muße bei räumigen Feldern,
Grotten und lebende Teich', ein Kühlung athmendes Tempe,
Rindergebrüll und unter dem Baum ſanft winkender Schlummer.“
Ihr wißt ſinnig zu erklären, ſprach Frau Hadwig. Des Cappan
Lehenspflicht, ringsum den Maulwurf zu fahen und die nagende
Feldmaus, hat Euer Neid wohl überſehen. Und die Winterfreuden!
wenn der Schnee mauergleich bis an das Strohdach ſich thürmt, daß
der helle Tag ſich verlegen umſchaut, durch welchen Spalt er ins
Haus ſchlüpfen ſoll ..
Auch in ſolche Noth wüßte ich mich zu finden, ſprach Ekkehard.
Virgilius weiß es auch:
„Mancher verbleibet dann lang beim ſpäten Geflimmer des Feuers
Wach im Winter und ſchnitzt ſich Fackeln mit ſchneidendem Eiſen
Während ſein Weib mit Geſang ſich der Arbeit Weile verkürzend
Raſch des Geweb's Aufzug durchſchießt mit ſauſendem Kamme.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/248>, abgerufen am 24.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.