nisch, eines Mannes Heimath solle der Rücken des Rosses sein und für Weib und Kind genüge ein fellumhangener Wagen, aber wenn's regnete oder die Abendkühle kam, schien ihm das Heerdfeuer und die vier Wände nicht zu verachten, ein Trunk Wein besser als Stuten- milch und ein wollener Wamms weicher als ein Wolfspelz. So schwand die Sehnsucht des Fliehens; vor Heimweh war er geschützt, weil ihm ein Vaterland fremd.
In Hof und Garten schaltete dazumal eine Maid, die hieß Fri- derun und war hoch wie ein Gebäu von mehreren Stockwerken, drauf ein spitzes Dach sitzt, denn ihr Haupt hatte die Gestalt einer Birne, und glänzte nicht mehr im Schimmer erster Jugend; wenn der breite Mund sich zu Wort oder Gelächter aufthat, ragte ein Stockzahn her- für, als Markstein gesetzten Alters. Die bösen Zungen raunten sich zu, sie sei einst Herrn Spazzo's Freundin gewesen, aber das war schon lange her; seit Jahren war ihre Huld einem Knecht zugewandt, den hatten in den Reihen des Heerbannes die Hunnen erschossen -- itzt stand ihr Herz verwaist.
Große Menschen sind gutmüthig und leiden nicht unter den Ver- heerungen allzu scharfen Denkens. Da lenkte sie ihre Augen auf den Hunnen, der sich einsam im Schloßhof umtrieb, und ihr Ge- müth blieb mitleidig an ihm haften, wie der funkelnde Thautropfen am Fliegenschwamm. Sie suchte ihn heranzubilden zu den Künsten, die ihr selber geläufig, und wenn sie im Garten gejätet und gehackt, geschah es, daß sie ihre Hacke dem Cappan übergab; der that, wie er's von seiner Meisterin gesehen. Auch im Abschneiden von Bohnen und Kräutern folgte er ihrem Beispiel, -- und nach wenig Tagen, wenn Wasser vom Brunnen beigeschafft werden sollte, brauchte die schlanke Friderun nur auf den hölzernen Kübel zu deuten, so hatte ihn Cappan auf's Haupt gehoben und schritt damit zum plätschernden Brunnen im Hofe.
Nur in der Küche ward am gelehrigen Schüler keine Freude erlebt, denn wie ihm einsmal ein Stück Wildpret zugewiesen war, daß er's mit hölzernem Schlegel mürb schlage, kamen alte Erinnerungen über ihn und er zehrte ein Stück davon roh auf, sammt Zwiebeln und Lauch, die zu des Bratens Würze bereit standen.
niſch, eines Mannes Heimath ſolle der Rücken des Roſſes ſein und für Weib und Kind genüge ein fellumhangener Wagen, aber wenn's regnete oder die Abendkühle kam, ſchien ihm das Heerdfeuer und die vier Wände nicht zu verachten, ein Trunk Wein beſſer als Stuten- milch und ein wollener Wamms weicher als ein Wolfspelz. So ſchwand die Sehnſucht des Fliehens; vor Heimweh war er geſchützt, weil ihm ein Vaterland fremd.
In Hof und Garten ſchaltete dazumal eine Maid, die hieß Fri- derun und war hoch wie ein Gebäu von mehreren Stockwerken, drauf ein ſpitzes Dach ſitzt, denn ihr Haupt hatte die Geſtalt einer Birne, und glänzte nicht mehr im Schimmer erſter Jugend; wenn der breite Mund ſich zu Wort oder Gelächter aufthat, ragte ein Stockzahn her- für, als Markſtein geſetzten Alters. Die böſen Zungen raunten ſich zu, ſie ſei einſt Herrn Spazzo's Freundin geweſen, aber das war ſchon lange her; ſeit Jahren war ihre Huld einem Knecht zugewandt, den hatten in den Reihen des Heerbannes die Hunnen erſchoſſen — itzt ſtand ihr Herz verwaist.
Große Menſchen ſind gutmüthig und leiden nicht unter den Ver- heerungen allzu ſcharfen Denkens. Da lenkte ſie ihre Augen auf den Hunnen, der ſich einſam im Schloßhof umtrieb, und ihr Ge- müth blieb mitleidig an ihm haften, wie der funkelnde Thautropfen am Fliegenſchwamm. Sie ſuchte ihn heranzubilden zu den Künſten, die ihr ſelber geläufig, und wenn ſie im Garten gejätet und gehackt, geſchah es, daß ſie ihre Hacke dem Cappan übergab; der that, wie er's von ſeiner Meiſterin geſehen. Auch im Abſchneiden von Bohnen und Kräutern folgte er ihrem Beiſpiel, — und nach wenig Tagen, wenn Waſſer vom Brunnen beigeſchafft werden ſollte, brauchte die ſchlanke Friderun nur auf den hölzernen Kübel zu deuten, ſo hatte ihn Cappan auf's Haupt gehoben und ſchritt damit zum plätſchernden Brunnen im Hofe.
Nur in der Küche ward am gelehrigen Schüler keine Freude erlebt, denn wie ihm einsmal ein Stück Wildpret zugewieſen war, daß er's mit hölzernem Schlegel mürb ſchlage, kamen alte Erinnerungen über ihn und er zehrte ein Stück davon roh auf, ſammt Zwiebeln und Lauch, die zu des Bratens Würze bereit ſtanden.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0238"n="216"/>
niſch, eines Mannes Heimath ſolle der Rücken des Roſſes ſein und<lb/>
für Weib und Kind genüge ein fellumhangener Wagen, aber wenn's<lb/>
regnete oder die Abendkühle kam, ſchien ihm das Heerdfeuer und die<lb/>
vier Wände nicht zu verachten, ein Trunk Wein beſſer als Stuten-<lb/>
milch und ein wollener Wamms weicher als ein Wolfspelz. So<lb/>ſchwand die Sehnſucht des Fliehens; vor Heimweh war er geſchützt,<lb/>
weil ihm ein Vaterland fremd.</p><lb/><p>In Hof und Garten ſchaltete dazumal eine Maid, die hieß Fri-<lb/>
derun und war hoch wie ein Gebäu von mehreren Stockwerken, drauf<lb/>
ein ſpitzes Dach ſitzt, denn ihr Haupt hatte die Geſtalt einer Birne,<lb/>
und glänzte nicht mehr im Schimmer erſter Jugend; wenn der breite<lb/>
Mund ſich zu Wort oder Gelächter aufthat, ragte ein Stockzahn her-<lb/>
für, als Markſtein geſetzten Alters. Die böſen Zungen raunten ſich<lb/>
zu, ſie ſei einſt Herrn Spazzo's Freundin geweſen, aber das war<lb/>ſchon lange her; ſeit Jahren war ihre Huld einem Knecht zugewandt,<lb/>
den hatten in den Reihen des Heerbannes die Hunnen erſchoſſen —<lb/>
itzt ſtand ihr Herz verwaist.</p><lb/><p>Große Menſchen ſind gutmüthig und leiden nicht unter den Ver-<lb/>
heerungen allzu ſcharfen Denkens. Da lenkte ſie ihre Augen auf<lb/>
den Hunnen, der ſich einſam im Schloßhof umtrieb, und ihr Ge-<lb/>
müth blieb mitleidig an ihm haften, wie der funkelnde Thautropfen<lb/>
am Fliegenſchwamm. Sie ſuchte ihn heranzubilden zu den Künſten,<lb/>
die ihr ſelber geläufig, und wenn ſie im Garten gejätet und gehackt,<lb/>
geſchah es, daß ſie ihre Hacke dem Cappan übergab; der that, wie er's<lb/>
von ſeiner Meiſterin geſehen. Auch im Abſchneiden von Bohnen und<lb/>
Kräutern folgte er ihrem Beiſpiel, — und nach wenig Tagen, wenn<lb/>
Waſſer vom Brunnen beigeſchafft werden ſollte, brauchte die ſchlanke<lb/>
Friderun nur auf den hölzernen Kübel zu deuten, ſo hatte ihn<lb/>
Cappan auf's Haupt gehoben und ſchritt damit zum plätſchernden<lb/>
Brunnen im Hofe.</p><lb/><p>Nur in der Küche ward am gelehrigen Schüler keine Freude erlebt,<lb/>
denn wie ihm einsmal ein Stück Wildpret zugewieſen war, daß er's<lb/>
mit hölzernem Schlegel mürb ſchlage, kamen alte Erinnerungen über<lb/>
ihn und er zehrte ein Stück davon roh auf, ſammt Zwiebeln und<lb/>
Lauch, die zu des Bratens Würze bereit ſtanden.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[216/0238]
niſch, eines Mannes Heimath ſolle der Rücken des Roſſes ſein und
für Weib und Kind genüge ein fellumhangener Wagen, aber wenn's
regnete oder die Abendkühle kam, ſchien ihm das Heerdfeuer und die
vier Wände nicht zu verachten, ein Trunk Wein beſſer als Stuten-
milch und ein wollener Wamms weicher als ein Wolfspelz. So
ſchwand die Sehnſucht des Fliehens; vor Heimweh war er geſchützt,
weil ihm ein Vaterland fremd.
In Hof und Garten ſchaltete dazumal eine Maid, die hieß Fri-
derun und war hoch wie ein Gebäu von mehreren Stockwerken, drauf
ein ſpitzes Dach ſitzt, denn ihr Haupt hatte die Geſtalt einer Birne,
und glänzte nicht mehr im Schimmer erſter Jugend; wenn der breite
Mund ſich zu Wort oder Gelächter aufthat, ragte ein Stockzahn her-
für, als Markſtein geſetzten Alters. Die böſen Zungen raunten ſich
zu, ſie ſei einſt Herrn Spazzo's Freundin geweſen, aber das war
ſchon lange her; ſeit Jahren war ihre Huld einem Knecht zugewandt,
den hatten in den Reihen des Heerbannes die Hunnen erſchoſſen —
itzt ſtand ihr Herz verwaist.
Große Menſchen ſind gutmüthig und leiden nicht unter den Ver-
heerungen allzu ſcharfen Denkens. Da lenkte ſie ihre Augen auf
den Hunnen, der ſich einſam im Schloßhof umtrieb, und ihr Ge-
müth blieb mitleidig an ihm haften, wie der funkelnde Thautropfen
am Fliegenſchwamm. Sie ſuchte ihn heranzubilden zu den Künſten,
die ihr ſelber geläufig, und wenn ſie im Garten gejätet und gehackt,
geſchah es, daß ſie ihre Hacke dem Cappan übergab; der that, wie er's
von ſeiner Meiſterin geſehen. Auch im Abſchneiden von Bohnen und
Kräutern folgte er ihrem Beiſpiel, — und nach wenig Tagen, wenn
Waſſer vom Brunnen beigeſchafft werden ſollte, brauchte die ſchlanke
Friderun nur auf den hölzernen Kübel zu deuten, ſo hatte ihn
Cappan auf's Haupt gehoben und ſchritt damit zum plätſchernden
Brunnen im Hofe.
Nur in der Küche ward am gelehrigen Schüler keine Freude erlebt,
denn wie ihm einsmal ein Stück Wildpret zugewieſen war, daß er's
mit hölzernem Schlegel mürb ſchlage, kamen alte Erinnerungen über
ihn und er zehrte ein Stück davon roh auf, ſammt Zwiebeln und
Lauch, die zu des Bratens Würze bereit ſtanden.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/238>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.