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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Aechtheit des Inhalts setzt, der wird ersucht, sich in die Noten
nicht weiter zu vertiefen, sie sind Nebensache und wären über-
flüssig, wenn das Ganze nicht als Roman in die Welt ginge,
der die Vermuthung leichtsinnigen Spiels mit den Thatsachen
wider sich zu haben pflegt.

Den Vorwürfen der Kritik wird mit Gemüthsruhe entgegen-
gesehen. "Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert?" wer-
den sie rufen, "wer reitet so spät durch Nacht und Wind?"
Und steht's nicht im neusten Handbuch der Nationalliteratur, im
Capitel vom vaterländischen Roman gedruckt zu lesen: "Fragen
wir, welche Zeiten vorzugsweise geeignet sein dürften, in der
deutschen Geschichte das Locale mit dem Nationalinteresse zu
versöhnen, so werden wir wohl zunächst das eigentliche Mittel-
alter ausschließen müssen. Selbst die Hohenstaufenzeit läßt sich
nur noch lyrisch anwenden, ihre Zeichnung fällt immer düssel-
dorfisch aus."

Auf all die Einwände und Bedenken derer, die ein scharfes
Benagen harmlosem Genießen vorziehen und den deutschen Geist
mit vollen Segeln in ein alexandrinisches oder byzantinisches
Zeitalter hineinzurudern sich abmühen, hat bereits eine literarische
Dame des zehnten Jahrhunderts, die ehrwürdige Nonne Hroswitha
von Gandersheim im fröhlichen Selbstgefühl eigenen Schaffens die
richtige Antwort gegeben. Sie sagt in der Vorrede zu ihren an-
muthigen Komödien: Si enim alicui placet mea devotio,
gaudebo. Si autem pro mei abiectione vel pro viciosi
sermonis rusticitate nulli placet: memet ipsam tamen
juvat quod feci
.
Zu deutsch: "Wofern nun jemand an mei-

Aechtheit des Inhalts ſetzt, der wird erſucht, ſich in die Noten
nicht weiter zu vertiefen, ſie ſind Nebenſache und wären über-
flüſſig, wenn das Ganze nicht als Roman in die Welt ginge,
der die Vermuthung leichtſinnigen Spiels mit den Thatſachen
wider ſich zu haben pflegt.

Den Vorwürfen der Kritik wird mit Gemüthsruhe entgegen-
geſehen. „Eine Geſchichte aus dem zehnten Jahrhundert?“ wer-
den ſie rufen, „wer reitet ſo ſpät durch Nacht und Wind?“
Und ſteht's nicht im neuſten Handbuch der Nationalliteratur, im
Capitel vom vaterländiſchen Roman gedruckt zu leſen: „Fragen
wir, welche Zeiten vorzugsweiſe geeignet ſein dürften, in der
deutſchen Geſchichte das Locale mit dem Nationalintereſſe zu
verſöhnen, ſo werden wir wohl zunächſt das eigentliche Mittel-
alter ausſchließen müſſen. Selbſt die Hohenſtaufenzeit läßt ſich
nur noch lyriſch anwenden, ihre Zeichnung fällt immer düſſel-
dorfiſch aus.“

Auf all die Einwände und Bedenken derer, die ein ſcharfes
Benagen harmloſem Genießen vorziehen und den deutſchen Geiſt
mit vollen Segeln in ein alexandriniſches oder byzantiniſches
Zeitalter hineinzurudern ſich abmühen, hat bereits eine literariſche
Dame des zehnten Jahrhunderts, die ehrwürdige Nonne Hroswitha
von Gandersheim im fröhlichen Selbſtgefühl eigenen Schaffens die
richtige Antwort gegeben. Sie ſagt in der Vorrede zu ihren an-
muthigen Komödien: Si enim alicui placet mea devotio,
gaudebo. Si autem pro mei abiectione vel pro viciosi
sermonis rusticitate nulli placet: memet ipsam tamen
juvat quod feci
.
Zu deutſch: „Wofern nun jemand an mei-

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[X/0020] Aechtheit des Inhalts ſetzt, der wird erſucht, ſich in die Noten nicht weiter zu vertiefen, ſie ſind Nebenſache und wären über- flüſſig, wenn das Ganze nicht als Roman in die Welt ginge, der die Vermuthung leichtſinnigen Spiels mit den Thatſachen wider ſich zu haben pflegt. Den Vorwürfen der Kritik wird mit Gemüthsruhe entgegen- geſehen. „Eine Geſchichte aus dem zehnten Jahrhundert?“ wer- den ſie rufen, „wer reitet ſo ſpät durch Nacht und Wind?“ Und ſteht's nicht im neuſten Handbuch der Nationalliteratur, im Capitel vom vaterländiſchen Roman gedruckt zu leſen: „Fragen wir, welche Zeiten vorzugsweiſe geeignet ſein dürften, in der deutſchen Geſchichte das Locale mit dem Nationalintereſſe zu verſöhnen, ſo werden wir wohl zunächſt das eigentliche Mittel- alter ausſchließen müſſen. Selbſt die Hohenſtaufenzeit läßt ſich nur noch lyriſch anwenden, ihre Zeichnung fällt immer düſſel- dorfiſch aus.“ Auf all die Einwände und Bedenken derer, die ein ſcharfes Benagen harmloſem Genießen vorziehen und den deutſchen Geiſt mit vollen Segeln in ein alexandriniſches oder byzantiniſches Zeitalter hineinzurudern ſich abmühen, hat bereits eine literariſche Dame des zehnten Jahrhunderts, die ehrwürdige Nonne Hroswitha von Gandersheim im fröhlichen Selbſtgefühl eigenen Schaffens die richtige Antwort gegeben. Sie ſagt in der Vorrede zu ihren an- muthigen Komödien: Si enim alicui placet mea devotio, gaudebo. Si autem pro mei abiectione vel pro viciosi sermonis rusticitate nulli placet: memet ipsam tamen juvat quod feci. Zu deutſch: „Wofern nun jemand an mei-

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/20>, abgerufen am 23.11.2024.