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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Die Ganshirtin, sprach der Knabe schluchzend.

Du redest Thorheit, geh' deiner Wege ...

Aber Audifax ging nicht.

Ihr sollt mir's nicht umsonst geben, sagte er, ich will Euch was
Schönes zeigen. Es müssen viel Schätze im Berg sein, ich weiß einen,
der ist aber nicht der rechte. Ich möcht' den rechten finden.

Ekkehard ward aufmerksam: Zeig' mir was du weißt? Audifax
deutete bergabwärts. Da ging Ekkehard mit ihm zum Burghof hinaus
und die Stufen des Burgwegs hinunter; auf des Berges Rückseite, wo
der Blick zu des hohen Stoffeln tannigem Haupt hinüberstreift und zum
hohen Höwen, bog Audifax vom Weg ab, sie gingen durchs Gebüsch,
kahl in verwittertem Grau strebte die Felswand vor ihnen zur Himmels-
bläue empor.

Audifax bog einen Strauch zurück und riß das Moos auf; in
dem grauen Klingstein, der des Berges Kern ist, ward eine gelbe
Ader sichtbar; in eines Fingers Breite zog sie durch's Gestein. --
Audifax löste ein Stück ab, versteinten Tropfen gleich saß der einge-
sprengte Stoff in der Spalte, strahlend, rundlich, goldgelb, und in
weißröthlicher Druse hafteten Opalkrystalle.

Prüfend sah Ekkehard auf das abgelöste Stück. Der Stein war
ihm fremd. Edelstein war's nicht; die gelehrten Männer haben ihn
später Natrolith getauft.

Seht Ihr, daß ich Etwas weiß, sprach Audifax.

Was soll ich damit? fragte Ekkehard.

Das wißt Ihr besser als ich, Ihr könnt's schleifen lassen und
Eure großen Bücher damit verzieren -- gebt Ihr mir jetzt den Zauber?

Ekkehard mußte des Knaben lachen. Du sollst Bergknappe werden,
sprach er und wollte gehen.

Aber Audifax hielt ihn am Gewand.

Ihr müßt mich jetzt aus Eurem Buch lehren!

Was?

Den stärksten Spruch ..

Eine Anwandlung des Scherzes kam über Ekkehard's ernstes Antlitz.
Komm mit mir, sprach er, du sollst ihn haben, den stärksten Spruch.

Frohlockend ging Audifax mit ihm. Da sagte ihm Ekkehard lachend
den virgilianischen Vers:

Die Ganshirtin, ſprach der Knabe ſchluchzend.

Du redeſt Thorheit, geh' deiner Wege ...

Aber Audifax ging nicht.

Ihr ſollt mir's nicht umſonſt geben, ſagte er, ich will Euch was
Schönes zeigen. Es müſſen viel Schätze im Berg ſein, ich weiß einen,
der iſt aber nicht der rechte. Ich möcht' den rechten finden.

Ekkehard ward aufmerkſam: Zeig' mir was du weißt? Audifax
deutete bergabwärts. Da ging Ekkehard mit ihm zum Burghof hinaus
und die Stufen des Burgwegs hinunter; auf des Berges Rückſeite, wo
der Blick zu des hohen Stoffeln tannigem Haupt hinüberſtreift und zum
hohen Höwen, bog Audifax vom Weg ab, ſie gingen durchs Gebüſch,
kahl in verwittertem Grau ſtrebte die Felswand vor ihnen zur Himmels-
bläue empor.

Audifax bog einen Strauch zurück und riß das Moos auf; in
dem grauen Klingſtein, der des Berges Kern iſt, ward eine gelbe
Ader ſichtbar; in eines Fingers Breite zog ſie durch's Geſtein. —
Audifax löste ein Stück ab, verſteinten Tropfen gleich ſaß der einge-
ſprengte Stoff in der Spalte, ſtrahlend, rundlich, goldgelb, und in
weißröthlicher Druſe hafteten Opalkryſtalle.

Prüfend ſah Ekkehard auf das abgelöste Stück. Der Stein war
ihm fremd. Edelſtein war's nicht; die gelehrten Männer haben ihn
ſpäter Natrolith getauft.

Seht Ihr, daß ich Etwas weiß, ſprach Audifax.

Was ſoll ich damit? fragte Ekkehard.

Das wißt Ihr beſſer als ich, Ihr könnt's ſchleifen laſſen und
Eure großen Bücher damit verzieren — gebt Ihr mir jetzt den Zauber?

Ekkehard mußte des Knaben lachen. Du ſollſt Bergknappe werden,
ſprach er und wollte gehen.

Aber Audifax hielt ihn am Gewand.

Ihr müßt mich jetzt aus Eurem Buch lehren!

Was?

Den ſtärkſten Spruch ..

Eine Anwandlung des Scherzes kam über Ekkehard's ernſtes Antlitz.
Komm mit mir, ſprach er, du ſollſt ihn haben, den ſtärkſten Spruch.

Frohlockend ging Audifax mit ihm. Da ſagte ihm Ekkehard lachend
den virgilianiſchen Vers:

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[95/0117] Die Ganshirtin, ſprach der Knabe ſchluchzend. Du redeſt Thorheit, geh' deiner Wege ... Aber Audifax ging nicht. Ihr ſollt mir's nicht umſonſt geben, ſagte er, ich will Euch was Schönes zeigen. Es müſſen viel Schätze im Berg ſein, ich weiß einen, der iſt aber nicht der rechte. Ich möcht' den rechten finden. Ekkehard ward aufmerkſam: Zeig' mir was du weißt? Audifax deutete bergabwärts. Da ging Ekkehard mit ihm zum Burghof hinaus und die Stufen des Burgwegs hinunter; auf des Berges Rückſeite, wo der Blick zu des hohen Stoffeln tannigem Haupt hinüberſtreift und zum hohen Höwen, bog Audifax vom Weg ab, ſie gingen durchs Gebüſch, kahl in verwittertem Grau ſtrebte die Felswand vor ihnen zur Himmels- bläue empor. Audifax bog einen Strauch zurück und riß das Moos auf; in dem grauen Klingſtein, der des Berges Kern iſt, ward eine gelbe Ader ſichtbar; in eines Fingers Breite zog ſie durch's Geſtein. — Audifax löste ein Stück ab, verſteinten Tropfen gleich ſaß der einge- ſprengte Stoff in der Spalte, ſtrahlend, rundlich, goldgelb, und in weißröthlicher Druſe hafteten Opalkryſtalle. Prüfend ſah Ekkehard auf das abgelöste Stück. Der Stein war ihm fremd. Edelſtein war's nicht; die gelehrten Männer haben ihn ſpäter Natrolith getauft. Seht Ihr, daß ich Etwas weiß, ſprach Audifax. Was ſoll ich damit? fragte Ekkehard. Das wißt Ihr beſſer als ich, Ihr könnt's ſchleifen laſſen und Eure großen Bücher damit verzieren — gebt Ihr mir jetzt den Zauber? Ekkehard mußte des Knaben lachen. Du ſollſt Bergknappe werden, ſprach er und wollte gehen. Aber Audifax hielt ihn am Gewand. Ihr müßt mich jetzt aus Eurem Buch lehren! Was? Den ſtärkſten Spruch .. Eine Anwandlung des Scherzes kam über Ekkehard's ernſtes Antlitz. Komm mit mir, ſprach er, du ſollſt ihn haben, den ſtärkſten Spruch. Frohlockend ging Audifax mit ihm. Da ſagte ihm Ekkehard lachend den virgilianiſchen Vers:

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/117>, abgerufen am 25.11.2024.