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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Mein Denken geht nicht so hoch, sprach die Griechin. Mir kam
Alles so natürlich vor, drum war mir's lieb. Und am besten hat
mir gefallen, wie die Frau Juno ihrer Nymphe den Aeolus zum
Ehegemahl verschafft; wenn er auch ein wenig alt ist, so ist er doch
ein König der Winde, und sie ist gewißlich gut bei ihm versorgt
gewesen ...

Gewiß! -- sprach Frau Hadwig und winkte ihr, zu schweigen.
Nun wissen wir doch auch, wie Kammerfrauen den Virgilius lesen.

Ekkehard war durch der Herzogin Widerspruch zu größerem Eifer
gereizt. Mit Begeisterung las er am Abend des Weiteren, wie der
fromme Aeneas auf Erspähung des lybischen Landes auszog und ihm
seine Mutter Venus entgegentritt, in Gewand und Waffen einer
Sparterjungfrau, den leichten Bogen um die Schulter, den wallenden
Busen kaum in des aufgeschürzten Gewandes Knüpfung verborgen --
und wie sie des Sohnes Schritt der tyrischen Fürstin entgegenlenkt.
Und weiter las er, wie Aeneas zu spät die göttliche Mutter erkannte --
vergebens ruft er ihr nach, sie aber hüllt ihn in Nebel, daß er uner-
kannt zur neuen Stadt gelange ... wo die Tyrerin zu Juno's Ehren
den mächtigen Tempel gründet, steht er und schaut, von Künstlerhand
gemalt, die Schlachten vor Troia; am leeren Abbild vergangener
Kampfarbeit weidet sich seine Seele.

Jetzt naht sie selber, Dido, die Herrin des Landes, antreibend
das Werk und die künftige Herrschaft.

Und an der Pforte der Göttin, bedeckt vom Gewölbe des Tempels,
Saß sie, mit Waffen umschaart, auf des Throns hochragendem Sessel,
Urtheil sprach sie den Männern und Recht, und die Mühen der Arbeit
Theilte sie Jeglichem gleich nach Billigkeit ...

Leset mir das nochmals, sprach die Herzogin. Ekkehard wieder-
holte es.

Steht's so geschrieben? frug sie. Ich hätte nichts eingewendet,
wenn Ihr's selber so eingeschaltet hättet. Glaubt' ich doch schier ein
Abbild eigener Herrschaftführung zu hören ... Mit den Menschen
Eures Dichter's bin ich wohl zufrieden.

Es wird wohl leichter sein, sie abzuzeichnen, als die Götter, sprach
Ekkehard. Es gibt so viel Menschen auf der Welt ...

Mein Denken geht nicht ſo hoch, ſprach die Griechin. Mir kam
Alles ſo natürlich vor, drum war mir's lieb. Und am beſten hat
mir gefallen, wie die Frau Juno ihrer Nymphe den Aeolus zum
Ehegemahl verſchafft; wenn er auch ein wenig alt iſt, ſo iſt er doch
ein König der Winde, und ſie iſt gewißlich gut bei ihm verſorgt
geweſen ...

Gewiß! — ſprach Frau Hadwig und winkte ihr, zu ſchweigen.
Nun wiſſen wir doch auch, wie Kammerfrauen den Virgilius leſen.

Ekkehard war durch der Herzogin Widerſpruch zu größerem Eifer
gereizt. Mit Begeiſterung las er am Abend des Weiteren, wie der
fromme Aeneas auf Erſpähung des lybiſchen Landes auszog und ihm
ſeine Mutter Venus entgegentritt, in Gewand und Waffen einer
Sparterjungfrau, den leichten Bogen um die Schulter, den wallenden
Buſen kaum in des aufgeſchürzten Gewandes Knüpfung verborgen —
und wie ſie des Sohnes Schritt der tyriſchen Fürſtin entgegenlenkt.
Und weiter las er, wie Aeneas zu ſpät die göttliche Mutter erkannte —
vergebens ruft er ihr nach, ſie aber hüllt ihn in Nebel, daß er uner-
kannt zur neuen Stadt gelange ... wo die Tyrerin zu Juno's Ehren
den mächtigen Tempel gründet, ſteht er und ſchaut, von Künſtlerhand
gemalt, die Schlachten vor Troia; am leeren Abbild vergangener
Kampfarbeit weidet ſich ſeine Seele.

Jetzt naht ſie ſelber, Dido, die Herrin des Landes, antreibend
das Werk und die künftige Herrſchaft.

Und an der Pforte der Göttin, bedeckt vom Gewölbe des Tempels,
Saß ſie, mit Waffen umſchaart, auf des Throns hochragendem Seſſel,
Urtheil ſprach ſie den Männern und Recht, und die Mühen der Arbeit
Theilte ſie Jeglichem gleich nach Billigkeit ...

Leſet mir das nochmals, ſprach die Herzogin. Ekkehard wieder-
holte es.

Steht's ſo geſchrieben? frug ſie. Ich hätte nichts eingewendet,
wenn Ihr's ſelber ſo eingeſchaltet hättet. Glaubt' ich doch ſchier ein
Abbild eigener Herrſchaftführung zu hören ... Mit den Menſchen
Eures Dichter's bin ich wohl zufrieden.

Es wird wohl leichter ſein, ſie abzuzeichnen, als die Götter, ſprach
Ekkehard. Es gibt ſo viel Menſchen auf der Welt ...

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[87/0109] Mein Denken geht nicht ſo hoch, ſprach die Griechin. Mir kam Alles ſo natürlich vor, drum war mir's lieb. Und am beſten hat mir gefallen, wie die Frau Juno ihrer Nymphe den Aeolus zum Ehegemahl verſchafft; wenn er auch ein wenig alt iſt, ſo iſt er doch ein König der Winde, und ſie iſt gewißlich gut bei ihm verſorgt geweſen ... Gewiß! — ſprach Frau Hadwig und winkte ihr, zu ſchweigen. Nun wiſſen wir doch auch, wie Kammerfrauen den Virgilius leſen. Ekkehard war durch der Herzogin Widerſpruch zu größerem Eifer gereizt. Mit Begeiſterung las er am Abend des Weiteren, wie der fromme Aeneas auf Erſpähung des lybiſchen Landes auszog und ihm ſeine Mutter Venus entgegentritt, in Gewand und Waffen einer Sparterjungfrau, den leichten Bogen um die Schulter, den wallenden Buſen kaum in des aufgeſchürzten Gewandes Knüpfung verborgen — und wie ſie des Sohnes Schritt der tyriſchen Fürſtin entgegenlenkt. Und weiter las er, wie Aeneas zu ſpät die göttliche Mutter erkannte — vergebens ruft er ihr nach, ſie aber hüllt ihn in Nebel, daß er uner- kannt zur neuen Stadt gelange ... wo die Tyrerin zu Juno's Ehren den mächtigen Tempel gründet, ſteht er und ſchaut, von Künſtlerhand gemalt, die Schlachten vor Troia; am leeren Abbild vergangener Kampfarbeit weidet ſich ſeine Seele. Jetzt naht ſie ſelber, Dido, die Herrin des Landes, antreibend das Werk und die künftige Herrſchaft. Und an der Pforte der Göttin, bedeckt vom Gewölbe des Tempels, Saß ſie, mit Waffen umſchaart, auf des Throns hochragendem Seſſel, Urtheil ſprach ſie den Männern und Recht, und die Mühen der Arbeit Theilte ſie Jeglichem gleich nach Billigkeit ... Leſet mir das nochmals, ſprach die Herzogin. Ekkehard wieder- holte es. Steht's ſo geſchrieben? frug ſie. Ich hätte nichts eingewendet, wenn Ihr's ſelber ſo eingeſchaltet hättet. Glaubt' ich doch ſchier ein Abbild eigener Herrſchaftführung zu hören ... Mit den Menſchen Eures Dichter's bin ich wohl zufrieden. Es wird wohl leichter ſein, ſie abzuzeichnen, als die Götter, ſprach Ekkehard. Es gibt ſo viel Menſchen auf der Welt ...

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/109>, abgerufen am 24.11.2024.