Ich will's Euch morgen sagen, sprach sie. Sie hätte es auch schon heute sagen können, denn fest und bestimmt stand der Eindruck des Gelesenen ihrem Gemüthe eingeprägt, sie that's aber nicht, um ihn nicht zu kränken. Lasset Euch was Gutes träumen, rief sie dem Weggehenden nach.
Ekkehard aber ging noch hinauf in des Vincentius Thurmstube. Die war sauber hergerichtet, die letzte Spur vom Nisten der Tauben getilgt; er wollte sich sammeln zu stiller Betrachtung, wie ehmals im Kloster, aber sein Haupt war heiß, vor seiner Seele stand die hohe Gestalt der Herzogin, und wenn er sie recht in's Auge faßte, so schaute auch Praxedis schwarzäugig Köpflein über ihrer Herrin Schul- tern zu ihm herüber -- was aus All dem noch werden soll? Er trat an's Fenster, eine kühle Herbstluft wehte ihm entgegen, ein dunk- ler, eherner unendlicher Himmel spannte sich über das schweigende Land, die Sterne funkelten, nah, fern, licht, matt; so groß hatte er das Himmelsgewölbe noch niemals erschaut -- auf Bergesgipfeln än- dert sich das Maaß der Dinge -- lang stand er so, da ward's ihm unheimlich, als wollten ihn die Gestirne hinaufziehen zu sich, als sollt' er leicht und geflügelt der Stube entschweben ... er schloß das Fenster, bekreuzte sich und ging schlafen.
Des andern Tages kam Frau Hadwig mit Praxedis, der Gram- matik zu pflegen. Sie hatte Wörter gelernt und Declinationen und wußte ihre Aufgabe. Aber sie schien zerstreut.
Habt Ihr Etwas geträumt? frug sie den Lehrer, wie die Stunde abgelaufen war.
Nein.
Gestern auch nicht?
Nein.
Ist Schade. Es soll eine Vorbedeutung in dem liegen, was Einer in den ersten Tagen am neuen Wohnort träumt ... Höret, fuhr sie nach einer Pause fort, seid Ihr nicht ein recht ungeschickter Mensch?
Ich? fuhr Ekkehard betroffen auf.
Ihr geht mit Dichtern um, warum habt Ihr nicht e[i]nen anmu- thigen Traum ersonnen und mir erzählt; Dichtung ist so viel wie Traum, es hätt' mir Freude gemacht.
Ich will's Euch morgen ſagen, ſprach ſie. Sie hätte es auch ſchon heute ſagen können, denn feſt und beſtimmt ſtand der Eindruck des Geleſenen ihrem Gemüthe eingeprägt, ſie that's aber nicht, um ihn nicht zu kränken. Laſſet Euch was Gutes träumen, rief ſie dem Weggehenden nach.
Ekkehard aber ging noch hinauf in des Vincentius Thurmſtube. Die war ſauber hergerichtet, die letzte Spur vom Niſten der Tauben getilgt; er wollte ſich ſammeln zu ſtiller Betrachtung, wie ehmals im Kloſter, aber ſein Haupt war heiß, vor ſeiner Seele ſtand die hohe Geſtalt der Herzogin, und wenn er ſie recht in's Auge faßte, ſo ſchaute auch Praxedis ſchwarzäugig Köpflein über ihrer Herrin Schul- tern zu ihm herüber — was aus All dem noch werden ſoll? Er trat an's Fenſter, eine kühle Herbſtluft wehte ihm entgegen, ein dunk- ler, eherner unendlicher Himmel ſpannte ſich über das ſchweigende Land, die Sterne funkelten, nah, fern, licht, matt; ſo groß hatte er das Himmelsgewölbe noch niemals erſchaut — auf Bergesgipfeln än- dert ſich das Maaß der Dinge — lang ſtand er ſo, da ward's ihm unheimlich, als wollten ihn die Geſtirne hinaufziehen zu ſich, als ſollt' er leicht und geflügelt der Stube entſchweben ... er ſchloß das Fenſter, bekreuzte ſich und ging ſchlafen.
Des andern Tages kam Frau Hadwig mit Praxedis, der Gram- matik zu pflegen. Sie hatte Wörter gelernt und Declinationen und wußte ihre Aufgabe. Aber ſie ſchien zerſtreut.
Habt Ihr Etwas geträumt? frug ſie den Lehrer, wie die Stunde abgelaufen war.
Nein.
Geſtern auch nicht?
Nein.
Iſt Schade. Es ſoll eine Vorbedeutung in dem liegen, was Einer in den erſten Tagen am neuen Wohnort träumt ... Höret, fuhr ſie nach einer Pauſe fort, ſeid Ihr nicht ein recht ungeſchickter Menſch?
Ich? fuhr Ekkehard betroffen auf.
Ihr geht mit Dichtern um, warum habt Ihr nicht e[i]nen anmu- thigen Traum erſonnen und mir erzählt; Dichtung iſt ſo viel wie Traum, es hätt' mir Freude gemacht.
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Ich will's Euch morgen ſagen, ſprach ſie. Sie hätte es auch
ſchon heute ſagen können, denn feſt und beſtimmt ſtand der Eindruck
des Geleſenen ihrem Gemüthe eingeprägt, ſie that's aber nicht, um
ihn nicht zu kränken. Laſſet Euch was Gutes träumen, rief ſie dem
Weggehenden nach.
Ekkehard aber ging noch hinauf in des Vincentius Thurmſtube.
Die war ſauber hergerichtet, die letzte Spur vom Niſten der Tauben
getilgt; er wollte ſich ſammeln zu ſtiller Betrachtung, wie ehmals im
Kloſter, aber ſein Haupt war heiß, vor ſeiner Seele ſtand die hohe
Geſtalt der Herzogin, und wenn er ſie recht in's Auge faßte, ſo
ſchaute auch Praxedis ſchwarzäugig Köpflein über ihrer Herrin Schul-
tern zu ihm herüber — was aus All dem noch werden ſoll? Er
trat an's Fenſter, eine kühle Herbſtluft wehte ihm entgegen, ein dunk-
ler, eherner unendlicher Himmel ſpannte ſich über das ſchweigende
Land, die Sterne funkelten, nah, fern, licht, matt; ſo groß hatte er
das Himmelsgewölbe noch niemals erſchaut — auf Bergesgipfeln än-
dert ſich das Maaß der Dinge — lang ſtand er ſo, da ward's ihm
unheimlich, als wollten ihn die Geſtirne hinaufziehen zu ſich, als ſollt'
er leicht und geflügelt der Stube entſchweben ... er ſchloß das Fenſter,
bekreuzte ſich und ging ſchlafen.
Des andern Tages kam Frau Hadwig mit Praxedis, der Gram-
matik zu pflegen. Sie hatte Wörter gelernt und Declinationen und
wußte ihre Aufgabe. Aber ſie ſchien zerſtreut.
Habt Ihr Etwas geträumt? frug ſie den Lehrer, wie die Stunde
abgelaufen war.
Nein.
Geſtern auch nicht?
Nein.
Iſt Schade. Es ſoll eine Vorbedeutung in dem liegen, was Einer
in den erſten Tagen am neuen Wohnort träumt ... Höret, fuhr ſie
nach einer Pauſe fort, ſeid Ihr nicht ein recht ungeſchickter Menſch?
Ich? fuhr Ekkehard betroffen auf.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/107>, abgerufen am 24.11.2024.
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