Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

re Vorhersehung, noch ihre Vorsorge. Blind-
lings folgen sie dem Antriebe des Appetits, den
sie fühlen; bekümmern sich aber im geringsten
nicht um ferne Folgen, oder auch nur um diejeni-
gen, die im geringsten Grade entfernt sind, und
nicht unmittelbar in die Sinne fallen. Dinge,
die sie sogleich und augenblicklich gebrauchen oder
benutzen, schätzen sie sehr hoch. Diejenigen hin-
gegen, die sie nicht den Augenblick bedürfen, ach-
ten sie gar nicht. Wenn bey herannahendem
Abend ein Caraibe sich zur Ruhe niederlegen
will, läßt er sich durch nichts zum Verkauf seines
Hängbetts bewegen. Wenn er aber des Mor-
gens auf Geschäfte oder Zeitvertreibe ausgeht,
giebt er es für den elendesten Tand hin, an dem
er Geschmack findet. Zu Ende des Winters, da
ihm der Eindruck der Noth, die er von der stren-
gen Witterung ausgestanden hat, noch frisch in
den Gedanken schwebt, fängt der Nordamerika-
ner
eifrig an, die Materialien zur Erbauung ei-
ner warmen Hütte auf den nächsten Winter zu-
zurüsten. So bald aber das Wetter gelinder
wird, vergißt er alles Vergangne, läßt seine Ar-
beit liegen, und denkt nicht eher wieder daran,
als wenn die Rückkehr der Kälte ihn nöthigt, sie,
da es zu spät ist, aufs neue wieder vorzunehmen*).

Der
*) Gesch. v. Amerika, 1. Th. S. 355. Wie wenig
Gewalt der Gedanke an die Zukunft über mehrere
wilde

re Vorherſehung, noch ihre Vorſorge. Blind-
lings folgen ſie dem Antriebe des Appetits, den
ſie fuͤhlen; bekuͤmmern ſich aber im geringſten
nicht um ferne Folgen, oder auch nur um diejeni-
gen, die im geringſten Grade entfernt ſind, und
nicht unmittelbar in die Sinne fallen. Dinge,
die ſie ſogleich und augenblicklich gebrauchen oder
benutzen, ſchaͤtzen ſie ſehr hoch. Diejenigen hin-
gegen, die ſie nicht den Augenblick beduͤrfen, ach-
ten ſie gar nicht. Wenn bey herannahendem
Abend ein Caraibe ſich zur Ruhe niederlegen
will, laͤßt er ſich durch nichts zum Verkauf ſeines
Haͤngbetts bewegen. Wenn er aber des Mor-
gens auf Geſchaͤfte oder Zeitvertreibe ausgeht,
giebt er es fuͤr den elendeſten Tand hin, an dem
er Geſchmack findet. Zu Ende des Winters, da
ihm der Eindruck der Noth, die er von der ſtren-
gen Witterung ausgeſtanden hat, noch friſch in
den Gedanken ſchwebt, faͤngt der Nordamerika-
ner
eifrig an, die Materialien zur Erbauung ei-
ner warmen Huͤtte auf den naͤchſten Winter zu-
zuruͤſten. So bald aber das Wetter gelinder
wird, vergißt er alles Vergangne, laͤßt ſeine Ar-
beit liegen, und denkt nicht eher wieder daran,
als wenn die Ruͤckkehr der Kaͤlte ihn noͤthigt, ſie,
da es zu ſpaͤt iſt, aufs neue wieder vorzunehmen*).

Der
*) Geſch. v. Amerika, 1. Th. S. 355. Wie wenig
Gewalt der Gedanke an die Zukunft uͤber mehrere
wilde
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0084" n="368"/>
re Vorher&#x017F;ehung, noch ihre Vor&#x017F;orge. Blind-<lb/>
lings folgen &#x017F;ie dem Antriebe des Appetits, den<lb/>
&#x017F;ie fu&#x0364;hlen; beku&#x0364;mmern &#x017F;ich aber im gering&#x017F;ten<lb/>
nicht um ferne Folgen, oder auch nur um diejeni-<lb/>
gen, die im gering&#x017F;ten Grade entfernt &#x017F;ind, und<lb/>
nicht unmittelbar in die Sinne fallen. Dinge,<lb/>
die &#x017F;ie &#x017F;ogleich und augenblicklich gebrauchen oder<lb/>
benutzen, &#x017F;cha&#x0364;tzen &#x017F;ie &#x017F;ehr hoch. Diejenigen hin-<lb/>
gegen, die &#x017F;ie nicht den Augenblick bedu&#x0364;rfen, ach-<lb/>
ten &#x017F;ie gar nicht. Wenn bey herannahendem<lb/>
Abend ein <hi rendition="#b">Caraibe</hi> &#x017F;ich zur Ruhe niederlegen<lb/>
will, la&#x0364;ßt er &#x017F;ich durch nichts zum Verkauf &#x017F;eines<lb/><hi rendition="#b">Ha&#x0364;ngbetts</hi> bewegen. Wenn er aber des Mor-<lb/>
gens auf Ge&#x017F;cha&#x0364;fte oder Zeitvertreibe ausgeht,<lb/>
giebt er es fu&#x0364;r den elende&#x017F;ten Tand hin, an dem<lb/>
er Ge&#x017F;chmack findet. Zu Ende des Winters, da<lb/>
ihm der Eindruck der Noth, die er von der &#x017F;tren-<lb/>
gen Witterung ausge&#x017F;tanden hat, noch fri&#x017F;ch in<lb/>
den Gedanken &#x017F;chwebt, fa&#x0364;ngt der <hi rendition="#b">Nordamerika-<lb/>
ner</hi> eifrig an, die Materialien zur Erbauung ei-<lb/>
ner warmen Hu&#x0364;tte auf den na&#x0364;ch&#x017F;ten Winter zu-<lb/>
zuru&#x0364;&#x017F;ten. So bald aber das Wetter gelinder<lb/>
wird, vergißt er alles Vergangne, la&#x0364;ßt &#x017F;eine Ar-<lb/>
beit liegen, und denkt nicht eher wieder daran,<lb/>
als wenn die Ru&#x0364;ckkehr der Ka&#x0364;lte ihn no&#x0364;thigt, &#x017F;ie,<lb/>
da es zu &#x017F;pa&#x0364;t i&#x017F;t, aufs neue wieder vorzunehmen<note xml:id="seg2pn_6_1" next="#seg2pn_6_2" place="foot" n="*)">Ge&#x017F;ch. v. Amerika, 1. Th. S. 355. Wie wenig<lb/>
Gewalt der Gedanke an die Zukunft u&#x0364;ber mehrere<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wilde</fw></note>.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[368/0084] re Vorherſehung, noch ihre Vorſorge. Blind- lings folgen ſie dem Antriebe des Appetits, den ſie fuͤhlen; bekuͤmmern ſich aber im geringſten nicht um ferne Folgen, oder auch nur um diejeni- gen, die im geringſten Grade entfernt ſind, und nicht unmittelbar in die Sinne fallen. Dinge, die ſie ſogleich und augenblicklich gebrauchen oder benutzen, ſchaͤtzen ſie ſehr hoch. Diejenigen hin- gegen, die ſie nicht den Augenblick beduͤrfen, ach- ten ſie gar nicht. Wenn bey herannahendem Abend ein Caraibe ſich zur Ruhe niederlegen will, laͤßt er ſich durch nichts zum Verkauf ſeines Haͤngbetts bewegen. Wenn er aber des Mor- gens auf Geſchaͤfte oder Zeitvertreibe ausgeht, giebt er es fuͤr den elendeſten Tand hin, an dem er Geſchmack findet. Zu Ende des Winters, da ihm der Eindruck der Noth, die er von der ſtren- gen Witterung ausgeſtanden hat, noch friſch in den Gedanken ſchwebt, faͤngt der Nordamerika- ner eifrig an, die Materialien zur Erbauung ei- ner warmen Huͤtte auf den naͤchſten Winter zu- zuruͤſten. So bald aber das Wetter gelinder wird, vergißt er alles Vergangne, laͤßt ſeine Ar- beit liegen, und denkt nicht eher wieder daran, als wenn die Ruͤckkehr der Kaͤlte ihn noͤthigt, ſie, da es zu ſpaͤt iſt, aufs neue wieder vorzunehmen *). Der *) Geſch. v. Amerika, 1. Th. S. 355. Wie wenig Gewalt der Gedanke an die Zukunft uͤber mehrere wilde

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/84
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/84>, abgerufen am 23.11.2024.