reitet sich das Blut und aus diesem die geistigen Säfte, welche das Gehirn und die Nerven durch- strömen. Kalte und trockne Speisen geben ein langsames und mattes Blut, welches die Einbil- dungskraft träge macht; daher man es den Dich- tern und überhaupt den Virtuosen in irgend einer schönen Kunst nicht verdenken darf, wenn sie gern an wohlbesetzten Tafeln erscheinen und mit den Musen zugleich den Gott des Weins verehren. Denn hitzige Getränke haben bekanntlich die vor- zügliche Kraft, die Phantasie anzuregen und mit lebhaften Bildern zu erfüllen. Saltat Milonius, sagt Horaz, der an Mäcenas Tafel mit den Wir- kungen des Weins sehr bekannt werden konnte, ut semel icto accessit furor capiti numerusque lucernis.
Die schwärmende Einbildungskraft bey vielen orientalischen Völkern ist vorzüglich von dem häu- figen Gebrauch des Opiums herzuleiten; ob ich gleich auch mit Herrn von Pauw einstimmig bin, welcher glaubt, daß die große Lebhaftigkeit und Unruhe der Phantasie in einigen Orientalern in dem kurzen Schlaf, zum Theil wenigstens, ihren Grund habe. Daß dies sehr wahrscheinlich sey, wird ein jeder gestehen, der auf sich acht gegeben hat, wie sonderbare Gesichter und monströse Ge- stalten in schlaflosen Nächten in seiner Jmagina- tion gesehen werden.
Wenn
reitet ſich das Blut und aus dieſem die geiſtigen Saͤfte, welche das Gehirn und die Nerven durch- ſtroͤmen. Kalte und trockne Speiſen geben ein langſames und mattes Blut, welches die Einbil- dungskraft traͤge macht; daher man es den Dich- tern und uͤberhaupt den Virtuoſen in irgend einer ſchoͤnen Kunſt nicht verdenken darf, wenn ſie gern an wohlbeſetzten Tafeln erſcheinen und mit den Muſen zugleich den Gott des Weins verehren. Denn hitzige Getraͤnke haben bekanntlich die vor- zuͤgliche Kraft, die Phantaſie anzuregen und mit lebhaften Bildern zu erfuͤllen. Saltat Milonius, ſagt Horaz, der an Maͤcenas Tafel mit den Wir- kungen des Weins ſehr bekannt werden konnte, ut ſemel icto acceſſit furor capiti numerusque lucernis.
Die ſchwaͤrmende Einbildungskraft bey vielen orientaliſchen Voͤlkern iſt vorzuͤglich von dem haͤu- figen Gebrauch des Opiums herzuleiten; ob ich gleich auch mit Herrn von Pauw einſtimmig bin, welcher glaubt, daß die große Lebhaftigkeit und Unruhe der Phantaſie in einigen Orientalern in dem kurzen Schlaf, zum Theil wenigſtens, ihren Grund habe. Daß dies ſehr wahrſcheinlich ſey, wird ein jeder geſtehen, der auf ſich acht gegeben hat, wie ſonderbare Geſichter und monſtroͤſe Ge- ſtalten in ſchlafloſen Naͤchten in ſeiner Jmagina- tion geſehen werden.
Wenn
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reitet ſich das Blut und aus dieſem die geiſtigen
Saͤfte, welche das Gehirn und die Nerven durch-
ſtroͤmen. Kalte und trockne Speiſen geben ein
langſames und mattes Blut, welches die Einbil-
dungskraft traͤge macht; daher man es den Dich-
tern und uͤberhaupt den Virtuoſen in irgend einer
ſchoͤnen Kunſt nicht verdenken darf, wenn ſie gern
an wohlbeſetzten Tafeln erſcheinen und mit den
Muſen zugleich den Gott des Weins verehren.
Denn hitzige Getraͤnke haben bekanntlich die vor-
zuͤgliche Kraft, die Phantaſie anzuregen und mit
lebhaften Bildern zu erfuͤllen. Saltat Milonius,
ſagt Horaz, der an Maͤcenas Tafel mit den Wir-
kungen des Weins ſehr bekannt werden konnte, ut
ſemel icto acceſſit furor capiti numerusque
lucernis.
Die ſchwaͤrmende Einbildungskraft bey vielen
orientaliſchen Voͤlkern iſt vorzuͤglich von dem haͤu-
figen Gebrauch des Opiums herzuleiten; ob ich
gleich auch mit Herrn von Pauw einſtimmig bin,
welcher glaubt, daß die große Lebhaftigkeit und
Unruhe der Phantaſie in einigen Orientalern in
dem kurzen Schlaf, zum Theil wenigſtens, ihren
Grund habe. Daß dies ſehr wahrſcheinlich ſey,
wird ein jeder geſtehen, der auf ſich acht gegeben
hat, wie ſonderbare Geſichter und monſtroͤſe Ge-
ſtalten in ſchlafloſen Naͤchten in ſeiner Jmagina-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/80>, abgerufen am 22.11.2024.
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