Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite


bet sie zum Aether hinan, verachtend den niedri-
gen Haufen und seinen niedrigen Wohnsitz*).

Wer so die Tugend erblickt, wie sie einst
dem Herkules erschien,
"Jhr Reiz war angebohrne Würde;
Natürlich, ungeschmückt gefiel sie mehr.
Gesundheit gab den reinen Blicken Glanz;
Weiß, wie der hellste Schnee, war ihr Gewand,
Erhaben ihr Gang, bescheiden stolz,
Jhr Auge himmlisch heiter, doch ihr Blick
Warf Götterstrahlen von sich. -- Näher kam
Sie nun, und wurde näher immer schöner.
Die hohe Grazie in ihren Zügen
War süßer Ernst und sanfte Majestät
**).

und wer sie so reden hört, wie sie zu ihm sprach:
"Die Freuden der Natur
Schmeckt rein und unvergällt der Weise nur;
Er der sie sparsam im Vorübergehn genießt,
So wie ein Wanderer die Rose

Auf
*)
Virtus, recludens immeritis mori
Caelum, negata tentst iter via:
Coetusque volgares et udam
Spernat humum fugiente penna.
Horaz Od. B. 3. Od. 2.
**) Die Wahl des Herkules. Nach dem Englischen ei-
nes Ungenannten von Bertuch. Deutsch. Merkur.
1773. Aug. 158.


bet ſie zum Aether hinan, verachtend den niedri-
gen Haufen und ſeinen niedrigen Wohnſitz*).

Wer ſo die Tugend erblickt, wie ſie einſt
dem Herkules erſchien,
„Jhr Reiz war angebohrne Wuͤrde;
Natuͤrlich, ungeſchmuͤckt gefiel ſie mehr.
Geſundheit gab den reinen Blicken Glanz;
Weiß, wie der hellſte Schnee, war ihr Gewand,
Erhaben ihr Gang, beſcheiden ſtolz,
Jhr Auge himmliſch heiter, doch ihr Blick
Warf Goͤtterſtrahlen von ſich. — Naͤher kam
Sie nun, und wurde naͤher immer ſchoͤner.
Die hohe Grazie in ihren Zuͤgen
War ſuͤßer Ernſt und ſanfte Majeſtaͤt
**).

und wer ſie ſo reden hoͤrt, wie ſie zu ihm ſprach:
„Die Freuden der Natur
Schmeckt rein und unvergaͤllt der Weiſe nur;
Er der ſie ſparſam im Voruͤbergehn genießt,
So wie ein Wanderer die Roſe

Auf
*)
Virtus, recludens immeritis mori
Caelum, negata tentst iter via:
Coetusque volgares et udam
Spernat humum fugiente penna.
Horaz Od. B. 3. Od. 2.
**) Die Wahl des Herkules. Nach dem Engliſchen ei-
nes Ungenannten von Bertuch. Deutſch. Merkur.
1773. Aug. 158.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0311" n="287"/><lb/>
bet &#x017F;ie zum Aether hinan, verachtend den niedri-<lb/>
gen Haufen und &#x017F;einen niedrigen Wohn&#x017F;itz<note place="foot" n="*)"><lg type="poem"><l><hi rendition="#aq">Virtus, recludens immeritis mori</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">Caelum, negata tentst iter via:</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">Coetusque volgares et udam</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">Spernat humum fugiente penna.</hi></l></lg><lb/><hi rendition="#et">Horaz Od. B. 3. Od. 2.</hi></note>.</p><lb/>
            <p>Wer &#x017F;o die Tugend erblickt, wie &#x017F;ie ein&#x017F;t<lb/>
dem Herkules er&#x017F;chien,<lb/><cit><quote><hi rendition="#et">&#x201E;Jhr Reiz war angebohrne Wu&#x0364;rde;<lb/>
Natu&#x0364;rlich, unge&#x017F;chmu&#x0364;ckt gefiel &#x017F;ie mehr.<lb/>
Ge&#x017F;undheit gab den reinen Blicken Glanz;<lb/>
Weiß, wie der hell&#x017F;te Schnee, war ihr Gewand,<lb/>
Erhaben ihr Gang, be&#x017F;cheiden &#x017F;tolz,<lb/>
Jhr Auge himmli&#x017F;ch heiter, doch ihr Blick<lb/>
Warf Go&#x0364;tter&#x017F;trahlen von &#x017F;ich. &#x2014; Na&#x0364;her kam<lb/>
Sie nun, und wurde na&#x0364;her immer &#x017F;cho&#x0364;ner.<lb/>
Die hohe Grazie in ihren Zu&#x0364;gen<lb/>
War &#x017F;u&#x0364;ßer Ern&#x017F;t und &#x017F;anfte Maje&#x017F;ta&#x0364;t</hi><note place="foot" n="**)">Die Wahl des Herkules. Nach dem Engli&#x017F;chen ei-<lb/>
nes Ungenannten von Bertuch. Deut&#x017F;ch. Merkur.<lb/>
1773. Aug. 158.</note>.</quote></cit><lb/>
und wer &#x017F;ie &#x017F;o reden ho&#x0364;rt, wie &#x017F;ie zu ihm &#x017F;prach:<lb/><cit><quote><hi rendition="#et">&#x201E;Die Freuden der Natur<lb/>
Schmeckt rein und unverga&#x0364;llt der <hi rendition="#b">Wei&#x017F;e</hi> nur;<lb/>
Er der &#x017F;ie &#x017F;par&#x017F;am im Voru&#x0364;bergehn genießt,<lb/>
So wie ein Wanderer die Ro&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Auf</fw><lb/></hi></quote></cit></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0311] bet ſie zum Aether hinan, verachtend den niedri- gen Haufen und ſeinen niedrigen Wohnſitz *). Wer ſo die Tugend erblickt, wie ſie einſt dem Herkules erſchien, „Jhr Reiz war angebohrne Wuͤrde; Natuͤrlich, ungeſchmuͤckt gefiel ſie mehr. Geſundheit gab den reinen Blicken Glanz; Weiß, wie der hellſte Schnee, war ihr Gewand, Erhaben ihr Gang, beſcheiden ſtolz, Jhr Auge himmliſch heiter, doch ihr Blick Warf Goͤtterſtrahlen von ſich. — Naͤher kam Sie nun, und wurde naͤher immer ſchoͤner. Die hohe Grazie in ihren Zuͤgen War ſuͤßer Ernſt und ſanfte Majeſtaͤt **). und wer ſie ſo reden hoͤrt, wie ſie zu ihm ſprach: „Die Freuden der Natur Schmeckt rein und unvergaͤllt der Weiſe nur; Er der ſie ſparſam im Voruͤbergehn genießt, So wie ein Wanderer die Roſe Auf *) Virtus, recludens immeritis mori Caelum, negata tentst iter via: Coetusque volgares et udam Spernat humum fugiente penna. Horaz Od. B. 3. Od. 2. **) Die Wahl des Herkules. Nach dem Engliſchen ei- nes Ungenannten von Bertuch. Deutſch. Merkur. 1773. Aug. 158.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/311
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/311>, abgerufen am 25.11.2024.