von einer Wahrheit erklärt habe, an welche meine schwache Tugend sich so oft, so oft gehalten hat. -- Jch lenke nun auf meinen vorgesetzten Weg. --
Wir denken, wollen und empfinden; den Grund der Möglichkeit hievon setzen wir in die Seele, den vorzüglichsten Theil der Menschennatur: aber doch mit dem andern Theile derselben, dem Körper, in der innigsten Verbindung. -- Der Körper uns sichtbar, die Seele unsern Augen verborgen, und wie es uns vorkommt, von dem Körper umgeben -- und in dem Körper wirk- sam. -- Wo ist denn ihre Werkstatt? welches ist der Theil des Körpers, den sie zu ihrem Sitz erwählte, oder hat sie ganz zu ihrer Wohnung ihn genommen? -- Für das eine so gut als für das andere sind Beweise da, beyde gleich bün- dig und überzeugend: das sicherste Merkmal, daß sich über den Ort der Seele nichts bestimmen läßt, wenn gleich vom Kopfe bis zu den Zehen am Fuß fast kein Fleck des Körpers ist, der nicht von dem einen oder dem andern, ältern oder neuern Phi- losophen für das Haus der Seele angenommen wäre.*)
Ort
*) Die Meinungen über den Ort der Seele sind vom Anfang an sehr verschieden gewesen, und diese Verschiedenheit hieng theils von der Vorstellung ab, welche man sich von der Natur und den Eigenschaften
der
von einer Wahrheit erklaͤrt habe, an welche meine ſchwache Tugend ſich ſo oft, ſo oft gehalten hat. — Jch lenke nun auf meinen vorgeſetzten Weg. —
Wir denken, wollen und empfinden; den Grund der Moͤglichkeit hievon ſetzen wir in die Seele, den vorzuͤglichſten Theil der Menſchennatur: aber doch mit dem andern Theile derſelben, dem Koͤrper, in der innigſten Verbindung. — Der Koͤrper uns ſichtbar, die Seele unſern Augen verborgen, und wie es uns vorkommt, von dem Koͤrper umgeben — und in dem Koͤrper wirk- ſam. — Wo iſt denn ihre Werkſtatt? welches iſt der Theil des Koͤrpers, den ſie zu ihrem Sitz erwaͤhlte, oder hat ſie ganz zu ihrer Wohnung ihn genommen? — Fuͤr das eine ſo gut als fuͤr das andere ſind Beweiſe da, beyde gleich buͤn- dig und uͤberzeugend: das ſicherſte Merkmal, daß ſich uͤber den Ort der Seele nichts beſtimmen laͤßt, wenn gleich vom Kopfe bis zu den Zehen am Fuß faſt kein Fleck des Koͤrpers iſt, der nicht von dem einen oder dem andern, aͤltern oder neuern Phi- loſophen fuͤr das Haus der Seele angenommen waͤre.*)
Ort
*) Die Meinungen uͤber den Ort der Seele ſind vom Anfang an ſehr verſchieden geweſen, und dieſe Verſchiedenheit hieng theils von der Vorſtellung ab, welche man ſich von der Natur und den Eigenſchaften
der
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von einer Wahrheit erklaͤrt habe, an welche meine
ſchwache Tugend ſich ſo oft, ſo oft gehalten hat. —
Jch lenke nun auf meinen vorgeſetzten Weg. —
Wir denken, wollen und empfinden; den Grund
der Moͤglichkeit hievon ſetzen wir in die Seele,
den vorzuͤglichſten Theil der Menſchennatur:
aber doch mit dem andern Theile derſelben, dem
Koͤrper, in der innigſten Verbindung. — Der
Koͤrper uns ſichtbar, die Seele unſern Augen
verborgen, und wie es uns vorkommt, von dem
Koͤrper umgeben — und in dem Koͤrper wirk-
ſam. — Wo iſt denn ihre Werkſtatt? welches
iſt der Theil des Koͤrpers, den ſie zu ihrem Sitz
erwaͤhlte, oder hat ſie ganz zu ihrer Wohnung
ihn genommen? — Fuͤr das eine ſo gut als
fuͤr das andere ſind Beweiſe da, beyde gleich buͤn-
dig und uͤberzeugend: das ſicherſte Merkmal, daß
ſich uͤber den Ort der Seele nichts beſtimmen laͤßt,
wenn gleich vom Kopfe bis zu den Zehen am Fuß
faſt kein Fleck des Koͤrpers iſt, der nicht von dem
einen oder dem andern, aͤltern oder neuern Phi-
loſophen fuͤr das Haus der Seele angenommen
waͤre. *)
Ort
*) Die Meinungen uͤber den Ort der Seele ſind
vom Anfang an ſehr verſchieden geweſen, und dieſe
Verſchiedenheit hieng theils von der Vorſtellung ab,
welche man ſich von der Natur und den Eigenſchaften
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/30>, abgerufen am 17.02.2025.
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