Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

tergrund stellt sehr kennbar die Stadt vor. Jm
Vorgrunde stehen einige Benediktinermönche mit
Weihwasserwedeln, die dieses heilige Wasser sehr
eifrig in die Luft sprengen. Jn der Luft reitet
Doctor Luther im Gallop auf einem Schweine da-
von, hält unter dem Arm die Bibel, in einer
Hand ein volles Glas, und in der andern eine
Bratwurst."*) Wer kennt nicht die zur ewi-
gen Warnung in der Geschichte aufbewahrten
schrecklichen Scenen, in welchen der Fanatismus
die Hauptrolle spielte. Die Parisische Bluthoch-
zeit, die Kreuzzüge, und hundert andre Begeben-
heiten, in welche Menschen gegen Menschen auf
das grausamste wütheten und einander mordeten,
zu Ehren eines Gottes, welchen ihre Schwärme-
rey sich erdachte.

Religiöse Schwärmer wollen sich dem über-
sinnlichen Wesen auf eine sinnliche Art nähern:
daher die häufig vorkommenden Ausdrücke von
geistlicher Liebe, geistlicher Verlöbniß und geist-
licher Hochzeit. Eine Nonne aus dem siebzehnten
Jahrhundert, Margaretha Alacoque, bildete sich
ein, die Lieblingsgemahlin Christi geworden zu
seyn. Er erschien ihr im Kloster, und bat sie,
ihm ihr Herz zu schenken, worin sie gern willigte.
Drauf nahm er ihr Herz, und legte es in das
seinige, welches sie durch seine Seitenwunde, und

zwar
*) Ueber die Einsamkeit. 4. 474.

tergrund ſtellt ſehr kennbar die Stadt vor. Jm
Vorgrunde ſtehen einige Benediktinermoͤnche mit
Weihwaſſerwedeln, die dieſes heilige Waſſer ſehr
eifrig in die Luft ſprengen. Jn der Luft reitet
Doctor Luther im Gallop auf einem Schweine da-
von, haͤlt unter dem Arm die Bibel, in einer
Hand ein volles Glas, und in der andern eine
Bratwurſt.„*) Wer kennt nicht die zur ewi-
gen Warnung in der Geſchichte aufbewahrten
ſchrecklichen Scenen, in welchen der Fanatiſmus
die Hauptrolle ſpielte. Die Pariſiſche Bluthoch-
zeit, die Kreuzzuͤge, und hundert andre Begeben-
heiten, in welche Menſchen gegen Menſchen auf
das grauſamſte wuͤtheten und einander mordeten,
zu Ehren eines Gottes, welchen ihre Schwaͤrme-
rey ſich erdachte.

Religioͤſe Schwaͤrmer wollen ſich dem uͤber-
ſinnlichen Weſen auf eine ſinnliche Art naͤhern:
daher die haͤufig vorkommenden Ausdruͤcke von
geiſtlicher Liebe, geiſtlicher Verloͤbniß und geiſt-
licher Hochzeit. Eine Nonne aus dem ſiebzehnten
Jahrhundert, Margaretha Alacoque, bildete ſich
ein, die Lieblingsgemahlin Chriſti geworden zu
ſeyn. Er erſchien ihr im Kloſter, und bat ſie,
ihm ihr Herz zu ſchenken, worin ſie gern willigte.
Drauf nahm er ihr Herz, und legte es in das
ſeinige, welches ſie durch ſeine Seitenwunde, und

zwar
*) Ueber die Einſamkeit. 4. 474.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0279" n="255"/>
tergrund &#x017F;tellt &#x017F;ehr kennbar die Stadt vor. Jm<lb/>
Vorgrunde &#x017F;tehen einige Benediktinermo&#x0364;nche mit<lb/>
Weihwa&#x017F;&#x017F;erwedeln, die die&#x017F;es heilige Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ehr<lb/>
eifrig in die Luft &#x017F;prengen. Jn der Luft reitet<lb/>
Doctor Luther im Gallop auf einem Schweine da-<lb/>
von, ha&#x0364;lt unter dem Arm die Bibel, in einer<lb/>
Hand ein volles Glas, und in der andern eine<lb/>
Bratwur&#x017F;t.&#x201E;<note place="foot" n="*)">Ueber die Ein&#x017F;amkeit. 4. 474.</note> Wer kennt nicht die zur ewi-<lb/>
gen Warnung in der Ge&#x017F;chichte aufbewahrten<lb/>
&#x017F;chrecklichen Scenen, in welchen der Fanati&#x017F;mus<lb/>
die Hauptrolle &#x017F;pielte. Die Pari&#x017F;i&#x017F;che Bluthoch-<lb/>
zeit, die Kreuzzu&#x0364;ge, und hundert andre Begeben-<lb/>
heiten, in welche Men&#x017F;chen gegen Men&#x017F;chen auf<lb/>
das grau&#x017F;am&#x017F;te wu&#x0364;theten und einander mordeten,<lb/>
zu Ehren eines Gottes, welchen ihre Schwa&#x0364;rme-<lb/>
rey &#x017F;ich erdachte.</p><lb/>
          <p>Religio&#x0364;&#x017F;e Schwa&#x0364;rmer wollen &#x017F;ich dem u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;innlichen We&#x017F;en auf eine &#x017F;innliche Art na&#x0364;hern:<lb/>
daher die ha&#x0364;ufig vorkommenden Ausdru&#x0364;cke von<lb/>
gei&#x017F;tlicher Liebe, gei&#x017F;tlicher Verlo&#x0364;bniß und gei&#x017F;t-<lb/>
licher Hochzeit. Eine Nonne aus dem &#x017F;iebzehnten<lb/>
Jahrhundert, Margaretha Alacoque, bildete &#x017F;ich<lb/>
ein, die Lieblingsgemahlin Chri&#x017F;ti geworden zu<lb/>
&#x017F;eyn. Er er&#x017F;chien ihr im Klo&#x017F;ter, und bat &#x017F;ie,<lb/>
ihm ihr Herz zu &#x017F;chenken, worin &#x017F;ie gern willigte.<lb/>
Drauf nahm er ihr Herz, und legte es in das<lb/>
&#x017F;einige, welches &#x017F;ie durch &#x017F;eine Seitenwunde, und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zwar</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0279] tergrund ſtellt ſehr kennbar die Stadt vor. Jm Vorgrunde ſtehen einige Benediktinermoͤnche mit Weihwaſſerwedeln, die dieſes heilige Waſſer ſehr eifrig in die Luft ſprengen. Jn der Luft reitet Doctor Luther im Gallop auf einem Schweine da- von, haͤlt unter dem Arm die Bibel, in einer Hand ein volles Glas, und in der andern eine Bratwurſt.„ *) Wer kennt nicht die zur ewi- gen Warnung in der Geſchichte aufbewahrten ſchrecklichen Scenen, in welchen der Fanatiſmus die Hauptrolle ſpielte. Die Pariſiſche Bluthoch- zeit, die Kreuzzuͤge, und hundert andre Begeben- heiten, in welche Menſchen gegen Menſchen auf das grauſamſte wuͤtheten und einander mordeten, zu Ehren eines Gottes, welchen ihre Schwaͤrme- rey ſich erdachte. Religioͤſe Schwaͤrmer wollen ſich dem uͤber- ſinnlichen Weſen auf eine ſinnliche Art naͤhern: daher die haͤufig vorkommenden Ausdruͤcke von geiſtlicher Liebe, geiſtlicher Verloͤbniß und geiſt- licher Hochzeit. Eine Nonne aus dem ſiebzehnten Jahrhundert, Margaretha Alacoque, bildete ſich ein, die Lieblingsgemahlin Chriſti geworden zu ſeyn. Er erſchien ihr im Kloſter, und bat ſie, ihm ihr Herz zu ſchenken, worin ſie gern willigte. Drauf nahm er ihr Herz, und legte es in das ſeinige, welches ſie durch ſeine Seitenwunde, und zwar *) Ueber die Einſamkeit. 4. 474.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/279
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/279>, abgerufen am 02.05.2024.