Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

und einen flammenden Affekt für Gegenstände,
welche entweder selbst, oder deren Werth nirgends
zu finden ist, als in der Phantasie des Schwär-
mers. Denn wo ein wirklicher Gegenstand von
wahrer Güte, Größe und Erhabenheit das Herz
interessirt, und der Thätigkeit des Menschen ei-
nen außerordentlichen Schwung giebt; da finden
wir nicht Schwärmerey, sondern Enthusias-
mus
. Jene ist da, wo die Phantasie das Herz
in solche Gegenden hinzieht, die nicht für den
Menschen gemacht sind, wo sie, der Zucht der
Vernunft sich entreißend, über die Gränzen des
den Menschen bekannten Landes ausschweift, und
außer demselben auf einem gränzen- und bodenlo-
sen Ocean herumschwärmt. Wenn Gustav, der
Held, im Streit für sein Vaterland vom edlen
Affekt bewegt, alle seine Kräfte versammlet, um
sein Land vor dem Anfall des Feindes zu schützen;
wenn er in alle Gefahren zuerst geht, und sein
Heldenmuth stärker leuchtet, als die Flamme der
von dem Feinde verbrannten Flotte; wenn er nicht
anders, als Sieger leben und das Schlachtfeld
verlassen will; so sehen wir in ihm einen König,
voll patriotischem Enthusiasmus für sein Volk
und sein Land. Aber wenn die orientalischen
Mönche zur Vertheidigung der Bilderorthodoxie
in der Hauptstadt des Kaisers Tumult erregen,
die Majestät beschimpfen, und das ganze Reich

in

und einen flammenden Affekt fuͤr Gegenſtaͤnde,
welche entweder ſelbſt, oder deren Werth nirgends
zu finden iſt, als in der Phantaſie des Schwaͤr-
mers. Denn wo ein wirklicher Gegenſtand von
wahrer Guͤte, Groͤße und Erhabenheit das Herz
intereſſirt, und der Thaͤtigkeit des Menſchen ei-
nen außerordentlichen Schwung giebt; da finden
wir nicht Schwaͤrmerey, ſondern Enthuſias-
mus
. Jene iſt da, wo die Phantaſie das Herz
in ſolche Gegenden hinzieht, die nicht fuͤr den
Menſchen gemacht ſind, wo ſie, der Zucht der
Vernunft ſich entreißend, uͤber die Graͤnzen des
den Menſchen bekannten Landes ausſchweift, und
außer demſelben auf einem graͤnzen- und bodenlo-
ſen Ocean herumſchwaͤrmt. Wenn Guſtav, der
Held, im Streit fuͤr ſein Vaterland vom edlen
Affekt bewegt, alle ſeine Kraͤfte verſammlet, um
ſein Land vor dem Anfall des Feindes zu ſchuͤtzen;
wenn er in alle Gefahren zuerſt geht, und ſein
Heldenmuth ſtaͤrker leuchtet, als die Flamme der
von dem Feinde verbrannten Flotte; wenn er nicht
anders, als Sieger leben und das Schlachtfeld
verlaſſen will; ſo ſehen wir in ihm einen Koͤnig,
voll patriotiſchem Enthuſiasmus fuͤr ſein Volk
und ſein Land. Aber wenn die orientaliſchen
Moͤnche zur Vertheidigung der Bilderorthodoxie
in der Hauptſtadt des Kaiſers Tumult erregen,
die Majeſtaͤt beſchimpfen, und das ganze Reich

in
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0259" n="235"/>
und einen flammenden Affekt fu&#x0364;r Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde,<lb/>
welche entweder &#x017F;elb&#x017F;t, oder deren Werth nirgends<lb/>
zu finden i&#x017F;t, als in der Phanta&#x017F;ie des Schwa&#x0364;r-<lb/>
mers. Denn wo ein <hi rendition="#b">wirklicher</hi> Gegen&#x017F;tand von<lb/>
wahrer Gu&#x0364;te, Gro&#x0364;ße und Erhabenheit das Herz<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;irt, und der Tha&#x0364;tigkeit des Men&#x017F;chen ei-<lb/>
nen außerordentlichen Schwung giebt; da finden<lb/>
wir nicht Schwa&#x0364;rmerey, &#x017F;ondern <hi rendition="#b">Enthu&#x017F;ias-<lb/>
mus</hi>. Jene i&#x017F;t da, wo die Phanta&#x017F;ie das Herz<lb/>
in &#x017F;olche Gegenden hinzieht, die nicht fu&#x0364;r den<lb/>
Men&#x017F;chen gemacht &#x017F;ind, wo &#x017F;ie, der Zucht der<lb/>
Vernunft &#x017F;ich entreißend, u&#x0364;ber die Gra&#x0364;nzen des<lb/><hi rendition="#b">den Men&#x017F;chen</hi> bekannten Landes aus&#x017F;chweift, und<lb/>
außer dem&#x017F;elben auf einem gra&#x0364;nzen- und bodenlo-<lb/>
&#x017F;en Ocean herum&#x017F;chwa&#x0364;rmt. Wenn Gu&#x017F;tav, der<lb/>
Held, im Streit fu&#x0364;r &#x017F;ein Vaterland vom edlen<lb/>
Affekt bewegt, alle &#x017F;eine Kra&#x0364;fte ver&#x017F;ammlet, um<lb/>
&#x017F;ein Land vor dem Anfall des Feindes zu &#x017F;chu&#x0364;tzen;<lb/>
wenn er in alle Gefahren zuer&#x017F;t geht, und &#x017F;ein<lb/>
Heldenmuth &#x017F;ta&#x0364;rker leuchtet, als die Flamme der<lb/>
von dem Feinde verbrannten Flotte; wenn er nicht<lb/>
anders, als Sieger leben und das Schlachtfeld<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en will; &#x017F;o &#x017F;ehen wir in ihm einen Ko&#x0364;nig,<lb/>
voll patrioti&#x017F;chem Enthu&#x017F;iasmus fu&#x0364;r &#x017F;ein Volk<lb/>
und &#x017F;ein Land. Aber wenn die orientali&#x017F;chen<lb/>
Mo&#x0364;nche zur Vertheidigung der Bilderorthodoxie<lb/>
in der Haupt&#x017F;tadt des Kai&#x017F;ers Tumult erregen,<lb/>
die Maje&#x017F;ta&#x0364;t be&#x017F;chimpfen, und das ganze Reich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">in</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0259] und einen flammenden Affekt fuͤr Gegenſtaͤnde, welche entweder ſelbſt, oder deren Werth nirgends zu finden iſt, als in der Phantaſie des Schwaͤr- mers. Denn wo ein wirklicher Gegenſtand von wahrer Guͤte, Groͤße und Erhabenheit das Herz intereſſirt, und der Thaͤtigkeit des Menſchen ei- nen außerordentlichen Schwung giebt; da finden wir nicht Schwaͤrmerey, ſondern Enthuſias- mus. Jene iſt da, wo die Phantaſie das Herz in ſolche Gegenden hinzieht, die nicht fuͤr den Menſchen gemacht ſind, wo ſie, der Zucht der Vernunft ſich entreißend, uͤber die Graͤnzen des den Menſchen bekannten Landes ausſchweift, und außer demſelben auf einem graͤnzen- und bodenlo- ſen Ocean herumſchwaͤrmt. Wenn Guſtav, der Held, im Streit fuͤr ſein Vaterland vom edlen Affekt bewegt, alle ſeine Kraͤfte verſammlet, um ſein Land vor dem Anfall des Feindes zu ſchuͤtzen; wenn er in alle Gefahren zuerſt geht, und ſein Heldenmuth ſtaͤrker leuchtet, als die Flamme der von dem Feinde verbrannten Flotte; wenn er nicht anders, als Sieger leben und das Schlachtfeld verlaſſen will; ſo ſehen wir in ihm einen Koͤnig, voll patriotiſchem Enthuſiasmus fuͤr ſein Volk und ſein Land. Aber wenn die orientaliſchen Moͤnche zur Vertheidigung der Bilderorthodoxie in der Hauptſtadt des Kaiſers Tumult erregen, die Majeſtaͤt beſchimpfen, und das ganze Reich in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/259
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/259>, abgerufen am 22.11.2024.