Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

zwischen der geöfneten Thür und den Pfosten,
ragte eine die Finger ängstlich gierig bewegende,
wie vom Aussatz gebleichte Hand hervor, und
hinter derselben lugte das niedrigste Auge. Gott!
wie entsetzte ich mich! wie angenehm war's mir,
als der Zuchtmeister diese abscheuliche Hand zu-
rückschlug, und dieses abscheuliche Auge zurück-
wies.

Die Männer hatten meistens graue Kittel
an -- der Uebelgeruch hier viel stärker, als in
den vorigen Zimmern.

Wir kamen nun in eine andre zur Seiten
liegende Stube, welche eben so stark, als die vo-
rige besetzt war. Hier zog meine besondre Auf-
merksamkeit ein Mann auf sich, der unaufhörlich
mit dem Hinterkopf an die Wand stieß, als woll-
te er die noch übrigen Fragmente von Vorstellun-
gen zusammenschütteln, oder sich gar aller Vor-
stellungen entladen. Hier waren einige scheusli-
che Physiognomien, und fast auf allen Gesichtern
schien sich das Brandmal der unnatürlichen Wol-
lust zu entdecken. -- Jch wollte noch länger
hier stehen und sehn; aber ich konnte nicht. --

Man öfnete uns itzt eine Thür, welche in ei-
nen engen Gang führte, dessen eine Seite von
der Wand, die andre von einer Reihe Zimmer
begrenzt wird, die von solchen Personen bewohnt
werden, welche für ihren Aufenthalt und War-

tung

zwiſchen der geoͤfneten Thuͤr und den Pfoſten,
ragte eine die Finger aͤngſtlich gierig bewegende,
wie vom Ausſatz gebleichte Hand hervor, und
hinter derſelben lugte das niedrigſte Auge. Gott!
wie entſetzte ich mich! wie angenehm war's mir,
als der Zuchtmeiſter dieſe abſcheuliche Hand zu-
ruͤckſchlug, und dieſes abſcheuliche Auge zuruͤck-
wies.

Die Maͤnner hatten meiſtens graue Kittel
an — der Uebelgeruch hier viel ſtaͤrker, als in
den vorigen Zimmern.

Wir kamen nun in eine andre zur Seiten
liegende Stube, welche eben ſo ſtark, als die vo-
rige beſetzt war. Hier zog meine beſondre Auf-
merkſamkeit ein Mann auf ſich, der unaufhoͤrlich
mit dem Hinterkopf an die Wand ſtieß, als woll-
te er die noch uͤbrigen Fragmente von Vorſtellun-
gen zuſammenſchuͤtteln, oder ſich gar aller Vor-
ſtellungen entladen. Hier waren einige ſcheusli-
che Phyſiognomien, und faſt auf allen Geſichtern
ſchien ſich das Brandmal der unnatuͤrlichen Wol-
luſt zu entdecken. — Jch wollte noch laͤnger
hier ſtehen und ſehn; aber ich konnte nicht. —

Man oͤfnete uns itzt eine Thuͤr, welche in ei-
nen engen Gang fuͤhrte, deſſen eine Seite von
der Wand, die andre von einer Reihe Zimmer
begrenzt wird, die von ſolchen Perſonen bewohnt
werden, welche fuͤr ihren Aufenthalt und War-

tung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <div type="letter">
                <p><pb facs="#f0243" n="219"/>
zwi&#x017F;chen der geo&#x0364;fneten Thu&#x0364;r und den Pfo&#x017F;ten,<lb/>
ragte eine die Finger a&#x0364;ng&#x017F;tlich gierig bewegende,<lb/>
wie vom Aus&#x017F;atz gebleichte Hand hervor, und<lb/>
hinter der&#x017F;elben lugte das niedrig&#x017F;te Auge. Gott!<lb/>
wie ent&#x017F;etzte ich mich! wie angenehm war's mir,<lb/>
als der Zuchtmei&#x017F;ter die&#x017F;e ab&#x017F;cheuliche Hand zu-<lb/>
ru&#x0364;ck&#x017F;chlug, und die&#x017F;es ab&#x017F;cheuliche Auge zuru&#x0364;ck-<lb/>
wies.</p><lb/>
                <p>Die Ma&#x0364;nner hatten mei&#x017F;tens graue Kittel<lb/>
an &#x2014; der Uebelgeruch hier viel &#x017F;ta&#x0364;rker, als in<lb/>
den vorigen Zimmern.</p><lb/>
                <p>Wir kamen nun in eine andre zur Seiten<lb/>
liegende Stube, welche eben &#x017F;o &#x017F;tark, als die vo-<lb/>
rige be&#x017F;etzt war. Hier zog meine be&#x017F;ondre Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit ein Mann auf &#x017F;ich, der unaufho&#x0364;rlich<lb/>
mit dem Hinterkopf an die Wand &#x017F;tieß, als woll-<lb/>
te er die noch u&#x0364;brigen Fragmente von Vor&#x017F;tellun-<lb/>
gen zu&#x017F;ammen&#x017F;chu&#x0364;tteln, oder &#x017F;ich gar aller Vor-<lb/>
&#x017F;tellungen entladen. Hier waren einige &#x017F;cheusli-<lb/>
che Phy&#x017F;iognomien, und fa&#x017F;t auf allen Ge&#x017F;ichtern<lb/>
&#x017F;chien &#x017F;ich das Brandmal der unnatu&#x0364;rlichen Wol-<lb/>
lu&#x017F;t zu entdecken. &#x2014; Jch <hi rendition="#b">wollte</hi> noch la&#x0364;nger<lb/>
hier &#x017F;tehen und &#x017F;ehn; aber ich <hi rendition="#b">konnte</hi> nicht. &#x2014;</p><lb/>
                <p>Man o&#x0364;fnete uns itzt eine Thu&#x0364;r, welche in ei-<lb/>
nen engen Gang fu&#x0364;hrte, de&#x017F;&#x017F;en eine Seite von<lb/>
der Wand, die andre von einer Reihe Zimmer<lb/>
begrenzt wird, die von &#x017F;olchen Per&#x017F;onen bewohnt<lb/>
werden, welche fu&#x0364;r ihren Aufenthalt und War-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tung</fw><lb/></p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0243] zwiſchen der geoͤfneten Thuͤr und den Pfoſten, ragte eine die Finger aͤngſtlich gierig bewegende, wie vom Ausſatz gebleichte Hand hervor, und hinter derſelben lugte das niedrigſte Auge. Gott! wie entſetzte ich mich! wie angenehm war's mir, als der Zuchtmeiſter dieſe abſcheuliche Hand zu- ruͤckſchlug, und dieſes abſcheuliche Auge zuruͤck- wies. Die Maͤnner hatten meiſtens graue Kittel an — der Uebelgeruch hier viel ſtaͤrker, als in den vorigen Zimmern. Wir kamen nun in eine andre zur Seiten liegende Stube, welche eben ſo ſtark, als die vo- rige beſetzt war. Hier zog meine beſondre Auf- merkſamkeit ein Mann auf ſich, der unaufhoͤrlich mit dem Hinterkopf an die Wand ſtieß, als woll- te er die noch uͤbrigen Fragmente von Vorſtellun- gen zuſammenſchuͤtteln, oder ſich gar aller Vor- ſtellungen entladen. Hier waren einige ſcheusli- che Phyſiognomien, und faſt auf allen Geſichtern ſchien ſich das Brandmal der unnatuͤrlichen Wol- luſt zu entdecken. — Jch wollte noch laͤnger hier ſtehen und ſehn; aber ich konnte nicht. — Man oͤfnete uns itzt eine Thuͤr, welche in ei- nen engen Gang fuͤhrte, deſſen eine Seite von der Wand, die andre von einer Reihe Zimmer begrenzt wird, die von ſolchen Perſonen bewohnt werden, welche fuͤr ihren Aufenthalt und War- tung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/243
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/243>, abgerufen am 23.11.2024.