Bey keinem Seelenvermögen ist der Einfluß des Gehirns auf die Seelenäußerungen bemerk- barer, als bey diesem. Verletzungen des Ge- hirns, Ausschweifungen in der Wollust, Trun- kenheit, Schwindel und alle Krankheiten, wel- che das Gehirn vorzüglich angreifen, sind auch dem Gedächtnisse schädlich. -- Doch muß man sich auch hier hüten, alles aus körperlichen Ur- sachen zu erklären, was sich eben so gut aus psy- chologischen Gründen begreifen läßt. Daß z. B. das junge Kind und der Greis nicht so gut das, was sie wahrgenommen haben, behalten, als der erwachsene Jüngling und der Mann, liegt nicht blos in dem zu weichem oder zu hartem Gehirne je- ner; sondern vornehmlich auch mit darin, daß das zarte Kind so wenig, als der schwache Greis des zur Festhaltung der Gedanken nothwendigen Grades von Aufmerksamkeit fähig ist.
Sowohl in der Fertigkeit zu behalten, als auch in dem, was behalten wird, findet eine gro- ße Verschiedenheit unter den Gedächtnissen statt. Jenes giebt das gute oder schlechte -- dieses das sogenannte Zeichen- oder Sachgedächtniß.
Einige nemlich behalten die Zeichen der Vor- stellungen (den Buchstaben) leichter, und diesen schreibt man jene Art des Gedächtnisses zu: an- deren prägt sich mehr der Jnhalt (der Geist) der- selben ein, diese haben ein Sachgedächtniß.
Jene
Bey keinem Seelenvermoͤgen iſt der Einfluß des Gehirns auf die Seelenaͤußerungen bemerk- barer, als bey dieſem. Verletzungen des Ge- hirns, Ausſchweifungen in der Wolluſt, Trun- kenheit, Schwindel und alle Krankheiten, wel- che das Gehirn vorzuͤglich angreifen, ſind auch dem Gedaͤchtniſſe ſchaͤdlich. — Doch muß man ſich auch hier huͤten, alles aus koͤrperlichen Ur- ſachen zu erklaͤren, was ſich eben ſo gut aus pſy- chologiſchen Gruͤnden begreifen laͤßt. Daß z. B. das junge Kind und der Greis nicht ſo gut das, was ſie wahrgenommen haben, behalten, als der erwachſene Juͤngling und der Mann, liegt nicht blos in dem zu weichem oder zu hartem Gehirne je- ner; ſondern vornehmlich auch mit darin, daß das zarte Kind ſo wenig, als der ſchwache Greis des zur Feſthaltung der Gedanken nothwendigen Grades von Aufmerkſamkeit faͤhig iſt.
Sowohl in der Fertigkeit zu behalten, als auch in dem, was behalten wird, findet eine gro- ße Verſchiedenheit unter den Gedaͤchtniſſen ſtatt. Jenes giebt das gute oder ſchlechte — dieſes das ſogenannte Zeichen- oder Sachgedaͤchtniß.
Einige nemlich behalten die Zeichen der Vor- ſtellungen (den Buchſtaben) leichter, und dieſen ſchreibt man jene Art des Gedaͤchtniſſes zu: an- deren praͤgt ſich mehr der Jnhalt (der Geiſt) der- ſelben ein, dieſe haben ein Sachgedaͤchtniß.
Jene
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Bey keinem Seelenvermoͤgen iſt der Einfluß
des Gehirns auf die Seelenaͤußerungen bemerk-
barer, als bey dieſem. Verletzungen des Ge-
hirns, Ausſchweifungen in der Wolluſt, Trun-
kenheit, Schwindel und alle Krankheiten, wel-
che das Gehirn vorzuͤglich angreifen, ſind auch
dem Gedaͤchtniſſe ſchaͤdlich. — Doch muß man
ſich auch hier huͤten, alles aus koͤrperlichen Ur-
ſachen zu erklaͤren, was ſich eben ſo gut aus pſy-
chologiſchen Gruͤnden begreifen laͤßt. Daß z. B.
das junge Kind und der Greis nicht ſo gut das,
was ſie wahrgenommen haben, behalten, als der
erwachſene Juͤngling und der Mann, liegt nicht
blos in dem zu weichem oder zu hartem Gehirne je-
ner; ſondern vornehmlich auch mit darin, daß
das zarte Kind ſo wenig, als der ſchwache Greis
des zur Feſthaltung der Gedanken nothwendigen
Grades von Aufmerkſamkeit faͤhig iſt.
Sowohl in der Fertigkeit zu behalten, als
auch in dem, was behalten wird, findet eine gro-
ße Verſchiedenheit unter den Gedaͤchtniſſen ſtatt.
Jenes giebt das gute oder ſchlechte — dieſes das
ſogenannte Zeichen- oder Sachgedaͤchtniß.
Einige nemlich behalten die Zeichen der Vor-
ſtellungen (den Buchſtaben) leichter, und dieſen
ſchreibt man jene Art des Gedaͤchtniſſes zu: an-
deren praͤgt ſich mehr der Jnhalt (der Geiſt) der-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/154>, abgerufen am 16.02.2025.
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