Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Ideen zu einer Kriminalpsychologie. Halle, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

der Untersucher seine ganze Aufmerksamkeit
zu fixiren.

Die Erforschung des Characters eines
Menschen ist nicht das Werk von Wochen und
Monaten, und überall nur da möglich, wo
der Beobachtete nach seiner eigenthümlichen
Denkungs- und Sinnes-Art sich äussern kann
und will. Der gewissenhafte Richter wird
daher seine eignen Erfahrungen, die er bin-
nen der Zeit der Inquisition über den Cha-
racter des Inquisiten machte, nicht für hin-
reichend halten, sondern in das vorhergehen-
de Leben desselben, so weit er kann, zurück-
gehen, und sich von allen Umständen und
Verhältnissen, wo und wie genau es nur mög-
lich ist, unterrichten. Indess, das Auge, wenn
es von andern geleitet wird, oder von dem
Gegenstande sehr fern ist, kann leicht ge-
täuscht werden, und manches zwar kleine
aber wesentliche Merkmal übersehen; des-
wegen wird der Richter, der seine Pflicht

erfül-

der Unterſucher ſeine ganze Aufmerkſamkeit
zu fixiren.

Die Erforſchung des Characters eines
Menſchen iſt nicht das Werk von Wochen und
Monaten, und überall nur da möglich, wo
der Beobachtete nach ſeiner eigenthümlichen
Denkungs- und Sinnes-Art ſich äuſsern kann
und will. Der gewiſſenhafte Richter wird
daher ſeine eignen Erfahrungen, die er bin-
nen der Zeit der Inquiſition über den Cha-
racter des Inquiſiten machte, nicht für hin-
reichend halten, ſondern in das vorhergehen-
de Leben deſſelben, ſo weit er kann, zurück-
gehen, und ſich von allen Umſtänden und
Verhältniſſen, wo und wie genau es nur mög-
lich iſt, unterrichten. Indeſs, das Auge, wenn
es von andern geleitet wird, oder von dem
Gegenſtande ſehr fern iſt, kann leicht ge-
täuſcht werden, und manches zwar kleine
aber weſentliche Merkmal überſehen; des-
wegen wird der Richter, der ſeine Pflicht

erfül-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0020" n="18"/>
der Unter&#x017F;ucher &#x017F;eine ganze Aufmerk&#x017F;amkeit<lb/>
zu fixiren.</p><lb/>
          <p>Die Erfor&#x017F;chung des Characters eines<lb/>
Men&#x017F;chen i&#x017F;t nicht das Werk von Wochen und<lb/>
Monaten, und überall nur da möglich, wo<lb/>
der Beobachtete nach &#x017F;einer eigenthümlichen<lb/>
Denkungs- und Sinnes-Art &#x017F;ich äu&#x017F;sern kann<lb/>
und will. Der gewi&#x017F;&#x017F;enhafte Richter wird<lb/>
daher &#x017F;eine eignen Erfahrungen, die er bin-<lb/>
nen der Zeit der Inqui&#x017F;ition über den Cha-<lb/>
racter des Inqui&#x017F;iten machte, nicht für hin-<lb/>
reichend halten, &#x017F;ondern in das vorhergehen-<lb/>
de Leben de&#x017F;&#x017F;elben, &#x017F;o weit er kann, zurück-<lb/>
gehen, und &#x017F;ich von allen Um&#x017F;tänden und<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;en, wo und wie genau es nur mög-<lb/>
lich i&#x017F;t, unterrichten. Inde&#x017F;s, das Auge, wenn<lb/>
es von andern geleitet wird, oder von dem<lb/>
Gegen&#x017F;tande &#x017F;ehr fern i&#x017F;t, kann leicht ge-<lb/>
täu&#x017F;cht werden, und manches zwar kleine<lb/>
aber we&#x017F;entliche Merkmal über&#x017F;ehen; des-<lb/>
wegen wird der Richter, der &#x017F;eine Pflicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">erfül-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0020] der Unterſucher ſeine ganze Aufmerkſamkeit zu fixiren. Die Erforſchung des Characters eines Menſchen iſt nicht das Werk von Wochen und Monaten, und überall nur da möglich, wo der Beobachtete nach ſeiner eigenthümlichen Denkungs- und Sinnes-Art ſich äuſsern kann und will. Der gewiſſenhafte Richter wird daher ſeine eignen Erfahrungen, die er bin- nen der Zeit der Inquiſition über den Cha- racter des Inquiſiten machte, nicht für hin- reichend halten, ſondern in das vorhergehen- de Leben deſſelben, ſo weit er kann, zurück- gehen, und ſich von allen Umſtänden und Verhältniſſen, wo und wie genau es nur mög- lich iſt, unterrichten. Indeſs, das Auge, wenn es von andern geleitet wird, oder von dem Gegenſtande ſehr fern iſt, kann leicht ge- täuſcht werden, und manches zwar kleine aber weſentliche Merkmal überſehen; des- wegen wird der Richter, der ſeine Pflicht erfül-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_crimipsyche_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_crimipsyche_1792/20
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Ideen zu einer Kriminalpsychologie. Halle, 1792, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_crimipsyche_1792/20>, abgerufen am 21.11.2024.