Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.in Gefahr und Unglück, Krankheit und Tod konnten kaum eine andere Gestalt, als diejenige der hergebrachten Gilden annehmen und wurden erst allmählig als reine und ganz beschränkte Handwerksgenossenschaften, als die Zünfte mit den städtischen Verfassungen ausgebildet. Vielleicht dürfte der Gegensatz der Gilden und der spätern eigentlichen Zünfte darin gefunden werden, dass jene allgemeine Volksgenossenschaften diese Genossenschaften der städtischen Handwerker gewesen seien. Die gemeinsamen Mahlzeiten und Gelage, das Minnetrinken, waren aber beiden Genossenschaften gemeinsam; die Gildebrüder sowohl im Holsteinischen, als in Schwaben wurden auch Minnebrüder genannt, wie später auch manche Gilden Minnen hiessen. In dem Capitulare vom Jahr 779 (bei Pertz, I. 37) heisst es: "De sacramentis per gildonia invicem conjurantibus, ut nemo facere praesumat. Alio vero modo de eorum elemosinis, aut de incendio, aut de naufragio, quamvis convenientiam faciant, nemo in hoc jurare praesumat." Die alten und ursprünglichen Gilden hingen auch wohl mit der Gemeinde- und Gerichtsverfassung, selbst mit dem Heerbanne zusammen, oder waren Gemeinds-, Gerichts- und Heerverbände, gerade wie später die Zünfte mit der städtischen Gemeindeverfassung und dem städtischen Heerwesen in Verbindung traten, mehr oder weniger die bestimmende Unterlage derselben wurden, - die Zunftmeister zugleich Rathsmitglieder, Gerichtsmitglieder und Heerführer waren. Je weniger noch eine centrale Staats- und Stadtgewalt sich entwickelt hatte, je weniger von dieser Schutz und Hülfe zu erwarten stand, um so mächtiger, thätiger und einflussreicher mussten jene sein; Selbsthülfe durch Genossenschaften ist ein Grundzug des germanischen Mittelalters und musste die noch fehlende centrale Staatsgewalt ersetzen, weshalb auch bei dem spätern Hervortreten dieser in demselben Verhältniss jene zurücktritt und machtlos wird. Gerade aus dem Capitulare von 779 ist zu ersehen, dass die Gilden auch Verbrüderungen gegen Schaden durch Brand und Schiffbruch waren, und noch mehr mussten dieselben bei der dermaligen Rechtsunsicherheit gegen Verbrechen, besonders gegen Mord und Diebstahl, ihre Glieder schützen; eine gemeinschaftliche in Gefahr und Unglück, Krankheit und Tod konnten kaum eine andere Gestalt, als diejenige der hergebrachten Gilden annehmen und wurden erst allmählig als reine und ganz beschränkte Handwerksgenossenschaften, als die Zünfte mit den städtischen Verfassungen ausgebildet. Vielleicht dürfte der Gegensatz der Gilden und der spätern eigentlichen Zünfte darin gefunden werden, dass jene allgemeine Volksgenossenschaften diese Genossenschaften der städtischen Handwerker gewesen seien. Die gemeinsamen Mahlzeiten und Gelage, das Minnetrinken, waren aber beiden Genossenschaften gemeinsam; die Gildebrüder sowohl im Holsteinischen, als in Schwaben wurden auch Minnebrüder genannt, wie später auch manche Gilden Minnen hiessen. In dem Capitulare vom Jahr 779 (bei Pertz, I. 37) heisst es: „Dè sacramentis per gildonia invicem conjurantibus, ut nemo facere praesumat. Alio vero modo de eorum elemosinis, aut de incendio, aut de naufragio, quamvis convenientiam faciant, nemo in hoc jurare praesumat.“ Die alten und ursprünglichen Gilden hingen auch wohl mit der Gemeinde- und Gerichtsverfassung, selbst mit dem Heerbanne zusammen, oder waren Gemeinds-, Gerichts- und Heerverbände, gerade wie später die Zünfte mit der städtischen Gemeindeverfassung und dem städtischen Heerwesen in Verbindung traten, mehr oder weniger die bestimmende Unterlage derselben wurden, – die Zunftmeister zugleich Rathsmitglieder, Gerichtsmitglieder und Heerführer waren. Je weniger noch eine centrale Staats- und Stadtgewalt sich entwickelt hatte, je weniger von dieser Schutz und Hülfe zu erwarten stand, um so mächtiger, thätiger und einflussreicher mussten jene sein; Selbsthülfe durch Genossenschaften ist ein Grundzug des germanischen Mittelalters und musste die noch fehlende centrale Staatsgewalt ersetzen, weshalb auch bei dem spätern Hervortreten dieser in demselben Verhältniss jene zurücktritt und machtlos wird. Gerade aus dem Capitulare von 779 ist zu ersehen, dass die Gilden auch Verbrüderungen gegen Schaden durch Brand und Schiffbruch waren, und noch mehr mussten dieselben bei der dermaligen Rechtsunsicherheit gegen Verbrechen, besonders gegen Mord und Diebstahl, ihre Glieder schützen; eine gemeinschaftliche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0659" n="643"/> in Gefahr und Unglück, Krankheit und Tod konnten kaum eine andere Gestalt, als diejenige der hergebrachten Gilden annehmen und wurden erst allmählig als reine und ganz beschränkte Handwerksgenossenschaften, als die Zünfte mit den städtischen Verfassungen ausgebildet. Vielleicht dürfte der Gegensatz der Gilden und der spätern eigentlichen Zünfte darin gefunden werden, dass jene allgemeine Volksgenossenschaften diese Genossenschaften der städtischen Handwerker gewesen seien. Die gemeinsamen Mahlzeiten und Gelage, das Minnetrinken, waren aber beiden Genossenschaften gemeinsam; die Gildebrüder sowohl im Holsteinischen, als in Schwaben wurden auch Minnebrüder genannt, wie später auch manche Gilden Minnen hiessen. In dem Capitulare vom Jahr 779 (bei Pertz, I. 37) heisst es: „Dè sacramentis per gildonia invicem conjurantibus, ut nemo facere praesumat. 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Je weniger noch eine centrale Staats- und Stadtgewalt sich entwickelt hatte, je weniger von dieser Schutz und Hülfe zu erwarten stand, um so mächtiger, thätiger und einflussreicher mussten jene sein; Selbsthülfe durch Genossenschaften ist ein Grundzug des germanischen Mittelalters und musste die noch fehlende centrale Staatsgewalt ersetzen, weshalb auch bei dem spätern Hervortreten dieser in demselben Verhältniss jene zurücktritt und machtlos wird. Gerade aus dem Capitulare von 779 ist zu ersehen, dass die Gilden auch Verbrüderungen gegen Schaden durch Brand und Schiffbruch waren, und noch mehr mussten dieselben bei der dermaligen Rechtsunsicherheit gegen Verbrechen, besonders gegen Mord und Diebstahl, ihre Glieder schützen; eine gemeinschaftliche </p> </div> </body> </text> </TEI> [643/0659]
in Gefahr und Unglück, Krankheit und Tod konnten kaum eine andere Gestalt, als diejenige der hergebrachten Gilden annehmen und wurden erst allmählig als reine und ganz beschränkte Handwerksgenossenschaften, als die Zünfte mit den städtischen Verfassungen ausgebildet. Vielleicht dürfte der Gegensatz der Gilden und der spätern eigentlichen Zünfte darin gefunden werden, dass jene allgemeine Volksgenossenschaften diese Genossenschaften der städtischen Handwerker gewesen seien. Die gemeinsamen Mahlzeiten und Gelage, das Minnetrinken, waren aber beiden Genossenschaften gemeinsam; die Gildebrüder sowohl im Holsteinischen, als in Schwaben wurden auch Minnebrüder genannt, wie später auch manche Gilden Minnen hiessen. In dem Capitulare vom Jahr 779 (bei Pertz, I. 37) heisst es: „Dè sacramentis per gildonia invicem conjurantibus, ut nemo facere praesumat. Alio vero modo de eorum elemosinis, aut de incendio, aut de naufragio, quamvis convenientiam faciant, nemo in hoc jurare praesumat.“ Die alten und ursprünglichen Gilden hingen auch wohl mit der Gemeinde- und Gerichtsverfassung, selbst mit dem Heerbanne zusammen, oder waren Gemeinds-, Gerichts- und Heerverbände, gerade wie später die Zünfte mit der städtischen Gemeindeverfassung und dem städtischen Heerwesen in Verbindung traten, mehr oder weniger die bestimmende Unterlage derselben wurden, – die Zunftmeister zugleich Rathsmitglieder, Gerichtsmitglieder und Heerführer waren. Je weniger noch eine centrale Staats- und Stadtgewalt sich entwickelt hatte, je weniger von dieser Schutz und Hülfe zu erwarten stand, um so mächtiger, thätiger und einflussreicher mussten jene sein; Selbsthülfe durch Genossenschaften ist ein Grundzug des germanischen Mittelalters und musste die noch fehlende centrale Staatsgewalt ersetzen, weshalb auch bei dem spätern Hervortreten dieser in demselben Verhältniss jene zurücktritt und machtlos wird. Gerade aus dem Capitulare von 779 ist zu ersehen, dass die Gilden auch Verbrüderungen gegen Schaden durch Brand und Schiffbruch waren, und noch mehr mussten dieselben bei der dermaligen Rechtsunsicherheit gegen Verbrechen, besonders gegen Mord und Diebstahl, ihre Glieder schützen; eine gemeinschaftliche
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Zitationshilfe: | Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/659>, abgerufen am 16.02.2025. |