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Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.

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in dem Glauben zu erkennen, der Mensch müsse so lange (versteht sich als Mensch auf Erden) wandern und pilgern, büssen und sich reinigen, bis er wirklich gereinigt und befähigt sei, wieder in den Himmel und das Licht einzuziehen; alles Weitere, die Thier- und Pflanzenwanderungen, sind späterer Zusatz, Missverstand und übertreibende Ausschmückung des phantastischen und brütenden Inders. Die schwierigste historische Frage ist aber hierbei diejenige, woher haben die Aegypter ihre fast in allen Theilen mit der indischen vollkommen übereinstimmende Seelenwanderungslehre, ist es eine rein ägyptische oder eine von den Indern entlehnte? Obwohl die ägyptische Bildung als solche weit älter ist als die indische und daher Jene, die ältere, unmöglich von dieser, der jüngern, abstammen, abgeleitet werden kann, wäre es dennoch möglich, dass in der spätern geschichtlichen Zeit, also etwa in dem Zeitraume von 1800 vor Chr. bis auf das Jahr 525 vor Chr., in welchem Aegypten durch Kambyses erobert wurde, und ein nationales Reich zu sein aufhörte, und in dem allerdings Berührungen und Verkehr zwischen Indien und Aegypten, besonders aber zwischen Indien und den Phönikern stattgefunden hat und leicht in einem grössern Masse stattgefunden haben könnte, als wir jetzt darüber unterrichtet sind, - die ägyptischen Priester von der indischen Seelenwanderungslehre Kunde erhalten und dieselbe bei sich eingeführt haben. Kann nicht einmal auch ein wissbegieriger Brahmane lange vor dem 6. Jahrhundert oder vor Pythagoras nach Aegypten gekommen und dort in die Mysterien eingeweiht worden sein, wie der Grieche Pythagoras kam und eingeweiht wurde? Oder ist es unmöglich, dass ein ägyptischer Priester nach Indien gezogen und dort von den Brahmanen unterrichtet worden sei? Die entstellte Seelenwanderungslehre ist auch in offenbarem Widerspruch mit der nach dem Zeugnisse der Pyramiden und der Gräberstätten in den Felsen bei Memphis und Theben uralten Sorgfalt der Aegypter, den Leichnam des Verstorbenen unversehrt oder als Mumie zu erhalten; denn wozu hätte man den Körper des Verstorbenen erhalten und aufbewahren sollen, wenn seine Seele einen ganz andern Körper erhielt und den bisherigen gar nicht mehr

in dem Glauben zu erkennen, der Mensch müsse so lange (versteht sich als Mensch auf Erden) wandern und pilgern, büssen und sich reinigen, bis er wirklich gereinigt und befähigt sei, wieder in den Himmel und das Licht einzuziehen; alles Weitere, die Thier- und Pflanzenwanderungen, sind späterer Zusatz, Missverstand und übertreibende Ausschmückung des phantastischen und brütenden Inders. Die schwierigste historische Frage ist aber hierbei diejenige, woher haben die Aegypter ihre fast in allen Theilen mit der indischen vollkommen übereinstimmende Seelenwanderungslehre, ist es eine rein ägyptische oder eine von den Indern entlehnte? Obwohl die ägyptische Bildung als solche weit älter ist als die indische und daher Jene, die ältere, unmöglich von dieser, der jüngern, abstammen, abgeleitet werden kann, wäre es dennoch möglich, dass in der spätern geschichtlichen Zeit, also etwa in dem Zeitraume von 1800 vor Chr. bis auf das Jahr 525 vor Chr., in welchem Aegypten durch Kambyses erobert wurde, und ein nationales Reich zu sein aufhörte, und in dem allerdings Berührungen und Verkehr zwischen Indien und Aegypten, besonders aber zwischen Indien und den Phönikern stattgefunden hat und leicht in einem grössern Masse stattgefunden haben könnte, als wir jetzt darüber unterrichtet sind, – die ägyptischen Priester von der indischen Seelenwanderungslehre Kunde erhalten und dieselbe bei sich eingeführt haben. Kann nicht einmal auch ein wissbegieriger Brahmane lange vor dem 6. Jahrhundert oder vor Pythagoras nach Aegypten gekommen und dort in die Mysterien eingeweiht worden sein, wie der Grieche Pythagoras kam und eingeweiht wurde? Oder ist es unmöglich, dass ein ägyptischer Priester nach Indien gezogen und dort von den Brahmanen unterrichtet worden sei? Die entstellte Seelenwanderungslehre ist auch in offenbarem Widerspruch mit der nach dem Zeugnisse der Pyramiden und der Gräberstätten in den Felsen bei Memphis und Theben uralten Sorgfalt der Aegypter, den Leichnam des Verstorbenen unversehrt oder als Mumie zu erhalten; denn wozu hätte man den Körper des Verstorbenen erhalten und aufbewahren sollen, wenn seine Seele einen ganz andern Körper erhielt und den bisherigen gar nicht mehr

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 entlehnte? Obwohl die ägyptische Bildung als solche weit älter ist als die indische und daher Jene,
 die ältere, unmöglich von dieser, der jüngern, abstammen, abgeleitet werden kann, wäre es dennoch
 möglich, dass in der spätern geschichtlichen Zeit, also etwa in dem Zeitraume von 1800 vor Chr. bis
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 Pythagoras kam und eingeweiht wurde? Oder ist es unmöglich, dass ein ägyptischer Priester nach
 Indien gezogen und dort von den Brahmanen unterrichtet worden sei? Die entstellte
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[590/0606] in dem Glauben zu erkennen, der Mensch müsse so lange (versteht sich als Mensch auf Erden) wandern und pilgern, büssen und sich reinigen, bis er wirklich gereinigt und befähigt sei, wieder in den Himmel und das Licht einzuziehen; alles Weitere, die Thier- und Pflanzenwanderungen, sind späterer Zusatz, Missverstand und übertreibende Ausschmückung des phantastischen und brütenden Inders. Die schwierigste historische Frage ist aber hierbei diejenige, woher haben die Aegypter ihre fast in allen Theilen mit der indischen vollkommen übereinstimmende Seelenwanderungslehre, ist es eine rein ägyptische oder eine von den Indern entlehnte? Obwohl die ägyptische Bildung als solche weit älter ist als die indische und daher Jene, die ältere, unmöglich von dieser, der jüngern, abstammen, abgeleitet werden kann, wäre es dennoch möglich, dass in der spätern geschichtlichen Zeit, also etwa in dem Zeitraume von 1800 vor Chr. bis auf das Jahr 525 vor Chr., in welchem Aegypten durch Kambyses erobert wurde, und ein nationales Reich zu sein aufhörte, und in dem allerdings Berührungen und Verkehr zwischen Indien und Aegypten, besonders aber zwischen Indien und den Phönikern stattgefunden hat und leicht in einem grössern Masse stattgefunden haben könnte, als wir jetzt darüber unterrichtet sind, – die ägyptischen Priester von der indischen Seelenwanderungslehre Kunde erhalten und dieselbe bei sich eingeführt haben. Kann nicht einmal auch ein wissbegieriger Brahmane lange vor dem 6. Jahrhundert oder vor Pythagoras nach Aegypten gekommen und dort in die Mysterien eingeweiht worden sein, wie der Grieche Pythagoras kam und eingeweiht wurde? Oder ist es unmöglich, dass ein ägyptischer Priester nach Indien gezogen und dort von den Brahmanen unterrichtet worden sei? Die entstellte Seelenwanderungslehre ist auch in offenbarem Widerspruch mit der nach dem Zeugnisse der Pyramiden und der Gräberstätten in den Felsen bei Memphis und Theben uralten Sorgfalt der Aegypter, den Leichnam des Verstorbenen unversehrt oder als Mumie zu erhalten; denn wozu hätte man den Körper des Verstorbenen erhalten und aufbewahren sollen, wenn seine Seele einen ganz andern Körper erhielt und den bisherigen gar nicht mehr

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Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/606>, abgerufen am 18.05.2024.