Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
würden sie folgende Bedeutung bekommen. Jede künftige Errichtung einer Leibeigenschaft (oder eines Zehentrechts) ist verboten, ungültig, wirkungslos. Jede künftige Er- richtung eines Zehentrechts soll stets die Befugniß einseitiger Ablösung des Zehenten mit sich führen. -- In dieser Be- deutung aber würden die erwähnten Gesetze völlig leer und überflüssig seyn, da seit sehr langer Zeit Niemand daran gedacht hat, eine Leibeigenschaft oder ein Zehentrecht neu zu begründen. Daraus folgt also, daß der Gesetzgeber diese. Bedeutung ganz gewiß nicht gemeint und gewollt hat, und daß also seine Absicht im vollständigen Gegensatz steht gegen die Absicht der den Erwerb der Rechte betreffenden Gesetze, indem diese nicht rückwärts, sondern nur auf künftige Rechtsgeschäfte einwirken, mithin erworbene Rechte erhalten wollen; allerdings mit Ausnahmen, die jedoch höchst un- bedeutend sind, und fast verschwinden in Vergleichung mit der wirklich beobachteten Regel.
Man kann nun allerdings den Zweifel erheben, ob nicht etwa alle Gesetze der erwähnten Art, eben weil sie erwor- bene Rechte zerstören oder umbilden, durchaus rechtswidrig und verwerflich seyn möchten. Ich will mich dieser Frage keinesweges entziehen, sie vielmehr einer selbstständigen Er- örterung unterwerfen. Nur wird es dem Gang unsrer Untersuchung förderlich seyn, diese ganz andere Frage vor- läufig auf sich beruhen zu lassen, und zunächst nur festzu- stellen, welches der Sinn und die Meinung der Gesetze ist, mit welchen wir uns gegenwärtig beschäftigen; die Recht-
Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
würden ſie folgende Bedeutung bekommen. Jede künftige Errichtung einer Leibeigenſchaft (oder eines Zehentrechts) iſt verboten, ungültig, wirkungslos. Jede künftige Er- richtung eines Zehentrechts ſoll ſtets die Befugniß einſeitiger Ablöſung des Zehenten mit ſich führen. — In dieſer Be- deutung aber würden die erwähnten Geſetze völlig leer und überflüſſig ſeyn, da ſeit ſehr langer Zeit Niemand daran gedacht hat, eine Leibeigenſchaft oder ein Zehentrecht neu zu begründen. Daraus folgt alſo, daß der Geſetzgeber dieſe. Bedeutung ganz gewiß nicht gemeint und gewollt hat, und daß alſo ſeine Abſicht im vollſtändigen Gegenſatz ſteht gegen die Abſicht der den Erwerb der Rechte betreffenden Geſetze, indem dieſe nicht rückwärts, ſondern nur auf künftige Rechtsgeſchäfte einwirken, mithin erworbene Rechte erhalten wollen; allerdings mit Ausnahmen, die jedoch höchſt un- bedeutend ſind, und faſt verſchwinden in Vergleichung mit der wirklich beobachteten Regel.
Man kann nun allerdings den Zweifel erheben, ob nicht etwa alle Geſetze der erwähnten Art, eben weil ſie erwor- bene Rechte zerſtören oder umbilden, durchaus rechtswidrig und verwerflich ſeyn möchten. Ich will mich dieſer Frage keinesweges entziehen, ſie vielmehr einer ſelbſtſtändigen Er- örterung unterwerfen. Nur wird es dem Gang unſrer Unterſuchung förderlich ſeyn, dieſe ganz andere Frage vor- läufig auf ſich beruhen zu laſſen, und zunächſt nur feſtzu- ſtellen, welches der Sinn und die Meinung der Geſetze iſt, mit welchen wir uns gegenwärtig beſchäftigen; die Recht-
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Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
würden ſie folgende Bedeutung bekommen. Jede künftige
Errichtung einer Leibeigenſchaft (oder eines Zehentrechts)
iſt verboten, ungültig, wirkungslos. Jede künftige Er-
richtung eines Zehentrechts ſoll ſtets die Befugniß einſeitiger
Ablöſung des Zehenten mit ſich führen. — In dieſer Be-
deutung aber würden die erwähnten Geſetze völlig leer und
überflüſſig ſeyn, da ſeit ſehr langer Zeit Niemand daran
gedacht hat, eine Leibeigenſchaft oder ein Zehentrecht neu
zu begründen. Daraus folgt alſo, daß der Geſetzgeber dieſe.
Bedeutung ganz gewiß nicht gemeint und gewollt hat, und
daß alſo ſeine Abſicht im vollſtändigen Gegenſatz ſteht gegen
die Abſicht der den Erwerb der Rechte betreffenden Geſetze,
indem dieſe nicht rückwärts, ſondern nur auf künftige
Rechtsgeſchäfte einwirken, mithin erworbene Rechte erhalten
wollen; allerdings mit Ausnahmen, die jedoch höchſt un-
bedeutend ſind, und faſt verſchwinden in Vergleichung mit
der wirklich beobachteten Regel.
Man kann nun allerdings den Zweifel erheben, ob nicht
etwa alle Geſetze der erwähnten Art, eben weil ſie erwor-
bene Rechte zerſtören oder umbilden, durchaus rechtswidrig
und verwerflich ſeyn möchten. Ich will mich dieſer Frage
keinesweges entziehen, ſie vielmehr einer ſelbſtſtändigen Er-
örterung unterwerfen. Nur wird es dem Gang unſrer
Unterſuchung förderlich ſeyn, dieſe ganz andere Frage vor-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/538>, abgerufen am 24.07.2024.
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