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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

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Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
nehmen, daß der Verfasser des Schreibens den ihm geläu-
figen Sprachgebrauch vor Augen gehabt haben wird.

Wenn ferner ein mündlicher oder schriftlicher Vertrag
im Wohnsitz beider Parteien geschlossen wird, so ist unstrei-
tig der Sprachgebrauch dieses Ortes anwendbar. Dagegen
läßt sich Dieses nicht unbedingt behaupten, wenn der Ver-
trag an einem Orte geschlossen wird, der für eine der Par-
teien oder für beide nicht der eigene Wohnsitz ist. Hier
muß in jedem einzelnen Fall erwogen werden, ob anzuneh-
men ist, daß der Fremde, der an dem Vertrage Theil nahm,
diesen örtlichen Sprachgebrauch kannte, und sich ihn wahr-
scheinlich aneignen wollte (e).

Aus denselben Gründen können wir auch nicht den
Sprachgebrauch des verabredeten Erfüllungsortes unbedingt
zum Grunde legen bei der Auslegung eines Vertrages,

in ihren gedruckten Bedingungen
den Fall einer Zerstörung durch
Aufruhr ausgenommen. Bei einer
auswärts vorgekommenen Feuers-
brunst entstand nun die Frage, ob
dabei der juristische Begriff des Auf-
ruhrs anwendbar sey, indem die Ge-
setze verschiedener Länder diesen
Begriff nicht gleichmäßig bestimmen.
Wächter entscheidet ganz richtig,
es müsse auf den Sprachgebrauch
des Sächsischen Gesetzes gesehen
werden, weil in dem Bereich dessel-
ben die Bedingungen abgefaßt
waren, auf deren Grund die Ver-
sicherungen ausgestellt und ange-
nommen wurden.
(e) Man könnte diese Be-
hauptung widerlegen wollen durch
L. 34 de R. J. (50. 17) "id
sequamur, quod in regione,
in qua actum est, frequenta-
tur."
Allein diese Stelle will ge-
wiß keine willkürliche Vorschrift
geben, muß also unter der natür-
lichen Voraussetzung verstanden
werden, daß die verhandelnden
Personen an diesem Orte ein-
heimisch sind; ganz eben so wie
die L. 6 de evict. (21. 2), s. o.
§. 372. i.

Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
nehmen, daß der Verfaſſer des Schreibens den ihm geläu-
figen Sprachgebrauch vor Augen gehabt haben wird.

Wenn ferner ein mündlicher oder ſchriftlicher Vertrag
im Wohnſitz beider Parteien geſchloſſen wird, ſo iſt unſtrei-
tig der Sprachgebrauch dieſes Ortes anwendbar. Dagegen
läßt ſich Dieſes nicht unbedingt behaupten, wenn der Ver-
trag an einem Orte geſchloſſen wird, der für eine der Par-
teien oder für beide nicht der eigene Wohnſitz iſt. Hier
muß in jedem einzelnen Fall erwogen werden, ob anzuneh-
men iſt, daß der Fremde, der an dem Vertrage Theil nahm,
dieſen örtlichen Sprachgebrauch kannte, und ſich ihn wahr-
ſcheinlich aneignen wollte (e).

Aus denſelben Gründen können wir auch nicht den
Sprachgebrauch des verabredeten Erfüllungsortes unbedingt
zum Grunde legen bei der Auslegung eines Vertrages,

in ihren gedruckten Bedingungen
den Fall einer Zerſtörung durch
Aufruhr ausgenommen. Bei einer
auswärts vorgekommenen Feuers-
brunſt entſtand nun die Frage, ob
dabei der juriſtiſche Begriff des Auf-
ruhrs anwendbar ſey, indem die Ge-
ſetze verſchiedener Länder dieſen
Begriff nicht gleichmäßig beſtimmen.
Wächter entſcheidet ganz richtig,
es müſſe auf den Sprachgebrauch
des Sächſiſchen Geſetzes geſehen
werden, weil in dem Bereich deſſel-
ben die Bedingungen abgefaßt
waren, auf deren Grund die Ver-
ſicherungen ausgeſtellt und ange-
nommen wurden.
(e) Man könnte dieſe Be-
hauptung widerlegen wollen durch
L. 34 de R. J. (50. 17) „id
sequamur, quod in regione,
in qua actum est, frequenta-
tur.“
Allein dieſe Stelle will ge-
wiß keine willkürliche Vorſchrift
geben, muß alſo unter der natür-
lichen Vorausſetzung verſtanden
werden, daß die verhandelnden
Perſonen an dieſem Orte ein-
heimiſch ſind; ganz eben ſo wie
die L. 6 de evict. (21. 2), ſ. o.
§. 372. i.
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[266/0288] Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. nehmen, daß der Verfaſſer des Schreibens den ihm geläu- figen Sprachgebrauch vor Augen gehabt haben wird. Wenn ferner ein mündlicher oder ſchriftlicher Vertrag im Wohnſitz beider Parteien geſchloſſen wird, ſo iſt unſtrei- tig der Sprachgebrauch dieſes Ortes anwendbar. Dagegen läßt ſich Dieſes nicht unbedingt behaupten, wenn der Ver- trag an einem Orte geſchloſſen wird, der für eine der Par- teien oder für beide nicht der eigene Wohnſitz iſt. Hier muß in jedem einzelnen Fall erwogen werden, ob anzuneh- men iſt, daß der Fremde, der an dem Vertrage Theil nahm, dieſen örtlichen Sprachgebrauch kannte, und ſich ihn wahr- ſcheinlich aneignen wollte (e). Aus denſelben Gründen können wir auch nicht den Sprachgebrauch des verabredeten Erfüllungsortes unbedingt zum Grunde legen bei der Auslegung eines Vertrages, (d) (e) Man könnte dieſe Be- hauptung widerlegen wollen durch L. 34 de R. J. (50. 17) „id sequamur, quod in regione, in qua actum est, frequenta- tur.“ Allein dieſe Stelle will ge- wiß keine willkürliche Vorſchrift geben, muß alſo unter der natür- lichen Vorausſetzung verſtanden werden, daß die verhandelnden Perſonen an dieſem Orte ein- heimiſch ſind; ganz eben ſo wie die L. 6 de evict. (21. 2), ſ. o. §. 372. i. (d) in ihren gedruckten Bedingungen den Fall einer Zerſtörung durch Aufruhr ausgenommen. Bei einer auswärts vorgekommenen Feuers- brunſt entſtand nun die Frage, ob dabei der juriſtiſche Begriff des Auf- ruhrs anwendbar ſey, indem die Ge- ſetze verſchiedener Länder dieſen Begriff nicht gleichmäßig beſtimmen. Wächter entſcheidet ganz richtig, es müſſe auf den Sprachgebrauch des Sächſiſchen Geſetzes geſehen werden, weil in dem Bereich deſſel- ben die Bedingungen abgefaßt waren, auf deren Grund die Ver- ſicherungen ausgeſtellt und ange- nommen wurden.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/288>, abgerufen am 26.11.2024.