Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 369. III. Obligationenrecht. Einleitung.
Gerichtsstand derselben, so wie das örtliche Recht erkennen
nach welchem sie zu beurtheilen ist.

Die Beantwortung dieser Frage ist gerade bei den Obli-
gationen aus folgenden Gründen, mehr als anderwärts,
schwierig und zweifelhaft.

Erstlich hat die Obligation einen Gegenstand von un-
sichtbarer Natur, in Vergleichung mit dem dinglichen Recht,
welches an einem sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand, einer
Sache, haftet. Wir müssen uns also jenes Unsichtbare in
der Obligation erst zu verkörpern suchen.

Ferner bezieht sich jede Obligation wesentlich auf zwei
verschiedene Personen; in der einen erscheint sie als erweiterte
Freiheit, als Herrschaft über einen fremden Willen: in der
anderen als beschränkte Freiheit, als Abhängigkeit von
einem fremden Willen (a). Nach welchem dieser beiden,
zwar eng verbundenen, dennoch verschiedenen, Verhältnisse
sollen wir nun den Sitz der Obligation bestimmen? -- Ohne
Zweifel nach dem Verhältniß des Schuldners, da die in
der Person des Schuldners vorhandene Nothwendigkeit
einer Handlung das eigentliche Wesen der Obligation aus-
macht. Diese Annahme wird bestätigt durch den unbestrit-
tenen großen Einfluß des Orts der Erfüllung auf den
Gerichtsstand, indem die Erfüllung vorzugsweise in einer
Thätigkeit des Schuldners besteht, neben welcher eine Thä-
tigkeit des Glaubigers entweder gar nicht, oder doch nur

(a) S. o. B. 1 § 56.

§. 369. III. Obligationenrecht. Einleitung.
Gerichtsſtand derſelben, ſo wie das örtliche Recht erkennen
nach welchem ſie zu beurtheilen iſt.

Die Beantwortung dieſer Frage iſt gerade bei den Obli-
gationen aus folgenden Gründen, mehr als anderwärts,
ſchwierig und zweifelhaft.

Erſtlich hat die Obligation einen Gegenſtand von un-
ſichtbarer Natur, in Vergleichung mit dem dinglichen Recht,
welches an einem ſinnlich wahrnehmbaren Gegenſtand, einer
Sache, haftet. Wir müſſen uns alſo jenes Unſichtbare in
der Obligation erſt zu verkörpern ſuchen.

Ferner bezieht ſich jede Obligation weſentlich auf zwei
verſchiedene Perſonen; in der einen erſcheint ſie als erweiterte
Freiheit, als Herrſchaft über einen fremden Willen: in der
anderen als beſchränkte Freiheit, als Abhängigkeit von
einem fremden Willen (a). Nach welchem dieſer beiden,
zwar eng verbundenen, dennoch verſchiedenen, Verhältniſſe
ſollen wir nun den Sitz der Obligation beſtimmen? — Ohne
Zweifel nach dem Verhältniß des Schuldners, da die in
der Perſon des Schuldners vorhandene Nothwendigkeit
einer Handlung das eigentliche Weſen der Obligation aus-
macht. Dieſe Annahme wird beſtätigt durch den unbeſtrit-
tenen großen Einfluß des Orts der Erfüllung auf den
Gerichtsſtand, indem die Erfüllung vorzugsweiſe in einer
Thätigkeit des Schuldners beſteht, neben welcher eine Thä-
tigkeit des Glaubigers entweder gar nicht, oder doch nur

(a) S. o. B. 1 § 56.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0223" n="201"/><fw place="top" type="header">§. 369. <hi rendition="#aq">III.</hi> Obligationenrecht. Einleitung.</fw><lb/>
Gerichts&#x017F;tand der&#x017F;elben, &#x017F;o wie das örtliche Recht erkennen<lb/>
nach welchem &#x017F;ie zu beurtheilen i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Die Beantwortung die&#x017F;er Frage i&#x017F;t gerade bei den Obli-<lb/>
gationen aus folgenden Gründen, mehr als anderwärts,<lb/>
&#x017F;chwierig und zweifelhaft.</p><lb/>
            <p>Er&#x017F;tlich hat die Obligation einen Gegen&#x017F;tand von un-<lb/>
&#x017F;ichtbarer Natur, in Vergleichung mit dem dinglichen Recht,<lb/>
welches an einem &#x017F;innlich wahrnehmbaren Gegen&#x017F;tand, einer<lb/>
Sache, haftet. Wir mü&#x017F;&#x017F;en uns al&#x017F;o jenes Un&#x017F;ichtbare in<lb/>
der Obligation er&#x017F;t zu verkörpern &#x017F;uchen.</p><lb/>
            <p>Ferner bezieht &#x017F;ich jede Obligation we&#x017F;entlich auf zwei<lb/>
ver&#x017F;chiedene Per&#x017F;onen; in der einen er&#x017F;cheint &#x017F;ie als erweiterte<lb/>
Freiheit, als Herr&#x017F;chaft über einen fremden Willen: in der<lb/>
anderen als be&#x017F;chränkte Freiheit, als Abhängigkeit von<lb/>
einem fremden Willen <note place="foot" n="(a)">S. o. B. 1 § 56.</note>. Nach welchem die&#x017F;er beiden,<lb/>
zwar eng verbundenen, dennoch ver&#x017F;chiedenen, Verhältni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ollen wir nun den Sitz der Obligation be&#x017F;timmen? &#x2014; Ohne<lb/>
Zweifel nach dem Verhältniß des Schuldners, da die in<lb/>
der Per&#x017F;on des Schuldners vorhandene Nothwendigkeit<lb/>
einer Handlung das eigentliche We&#x017F;en der Obligation aus-<lb/>
macht. Die&#x017F;e Annahme wird be&#x017F;tätigt durch den unbe&#x017F;trit-<lb/>
tenen großen Einfluß des Orts der Erfüllung auf den<lb/>
Gerichts&#x017F;tand, indem die Erfüllung vorzugswei&#x017F;e in einer<lb/>
Thätigkeit des Schuldners be&#x017F;teht, neben welcher eine Thä-<lb/>
tigkeit des Glaubigers entweder gar nicht, oder doch nur<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0223] §. 369. III. Obligationenrecht. Einleitung. Gerichtsſtand derſelben, ſo wie das örtliche Recht erkennen nach welchem ſie zu beurtheilen iſt. Die Beantwortung dieſer Frage iſt gerade bei den Obli- gationen aus folgenden Gründen, mehr als anderwärts, ſchwierig und zweifelhaft. Erſtlich hat die Obligation einen Gegenſtand von un- ſichtbarer Natur, in Vergleichung mit dem dinglichen Recht, welches an einem ſinnlich wahrnehmbaren Gegenſtand, einer Sache, haftet. Wir müſſen uns alſo jenes Unſichtbare in der Obligation erſt zu verkörpern ſuchen. Ferner bezieht ſich jede Obligation weſentlich auf zwei verſchiedene Perſonen; in der einen erſcheint ſie als erweiterte Freiheit, als Herrſchaft über einen fremden Willen: in der anderen als beſchränkte Freiheit, als Abhängigkeit von einem fremden Willen (a). Nach welchem dieſer beiden, zwar eng verbundenen, dennoch verſchiedenen, Verhältniſſe ſollen wir nun den Sitz der Obligation beſtimmen? — Ohne Zweifel nach dem Verhältniß des Schuldners, da die in der Perſon des Schuldners vorhandene Nothwendigkeit einer Handlung das eigentliche Weſen der Obligation aus- macht. Dieſe Annahme wird beſtätigt durch den unbeſtrit- tenen großen Einfluß des Orts der Erfüllung auf den Gerichtsſtand, indem die Erfüllung vorzugsweiſe in einer Thätigkeit des Schuldners beſteht, neben welcher eine Thä- tigkeit des Glaubigers entweder gar nicht, oder doch nur (a) S. o. B. 1 § 56.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/223
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/223>, abgerufen am 22.11.2024.