Gerichtsstand derselben, so wie das örtliche Recht erkennen nach welchem sie zu beurtheilen ist.
Die Beantwortung dieser Frage ist gerade bei den Obli- gationen aus folgenden Gründen, mehr als anderwärts, schwierig und zweifelhaft.
Erstlich hat die Obligation einen Gegenstand von un- sichtbarer Natur, in Vergleichung mit dem dinglichen Recht, welches an einem sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand, einer Sache, haftet. Wir müssen uns also jenes Unsichtbare in der Obligation erst zu verkörpern suchen.
Ferner bezieht sich jede Obligation wesentlich auf zwei verschiedene Personen; in der einen erscheint sie als erweiterte Freiheit, als Herrschaft über einen fremden Willen: in der anderen als beschränkte Freiheit, als Abhängigkeit von einem fremden Willen (a). Nach welchem dieser beiden, zwar eng verbundenen, dennoch verschiedenen, Verhältnisse sollen wir nun den Sitz der Obligation bestimmen? -- Ohne Zweifel nach dem Verhältniß des Schuldners, da die in der Person des Schuldners vorhandene Nothwendigkeit einer Handlung das eigentliche Wesen der Obligation aus- macht. Diese Annahme wird bestätigt durch den unbestrit- tenen großen Einfluß des Orts der Erfüllung auf den Gerichtsstand, indem die Erfüllung vorzugsweise in einer Thätigkeit des Schuldners besteht, neben welcher eine Thä- tigkeit des Glaubigers entweder gar nicht, oder doch nur
(a) S. o. B. 1 § 56.
§. 369. III. Obligationenrecht. Einleitung.
Gerichtsſtand derſelben, ſo wie das örtliche Recht erkennen nach welchem ſie zu beurtheilen iſt.
Die Beantwortung dieſer Frage iſt gerade bei den Obli- gationen aus folgenden Gründen, mehr als anderwärts, ſchwierig und zweifelhaft.
Erſtlich hat die Obligation einen Gegenſtand von un- ſichtbarer Natur, in Vergleichung mit dem dinglichen Recht, welches an einem ſinnlich wahrnehmbaren Gegenſtand, einer Sache, haftet. Wir müſſen uns alſo jenes Unſichtbare in der Obligation erſt zu verkörpern ſuchen.
Ferner bezieht ſich jede Obligation weſentlich auf zwei verſchiedene Perſonen; in der einen erſcheint ſie als erweiterte Freiheit, als Herrſchaft über einen fremden Willen: in der anderen als beſchränkte Freiheit, als Abhängigkeit von einem fremden Willen (a). Nach welchem dieſer beiden, zwar eng verbundenen, dennoch verſchiedenen, Verhältniſſe ſollen wir nun den Sitz der Obligation beſtimmen? — Ohne Zweifel nach dem Verhältniß des Schuldners, da die in der Perſon des Schuldners vorhandene Nothwendigkeit einer Handlung das eigentliche Weſen der Obligation aus- macht. Dieſe Annahme wird beſtätigt durch den unbeſtrit- tenen großen Einfluß des Orts der Erfüllung auf den Gerichtsſtand, indem die Erfüllung vorzugsweiſe in einer Thätigkeit des Schuldners beſteht, neben welcher eine Thä- tigkeit des Glaubigers entweder gar nicht, oder doch nur
(a) S. o. B. 1 § 56.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0223"n="201"/><fwplace="top"type="header">§. 369. <hirendition="#aq">III.</hi> Obligationenrecht. Einleitung.</fw><lb/>
Gerichtsſtand derſelben, ſo wie das örtliche Recht erkennen<lb/>
nach welchem ſie zu beurtheilen iſt.</p><lb/><p>Die Beantwortung dieſer Frage iſt gerade bei den Obli-<lb/>
gationen aus folgenden Gründen, mehr als anderwärts,<lb/>ſchwierig und zweifelhaft.</p><lb/><p>Erſtlich hat die Obligation einen Gegenſtand von un-<lb/>ſichtbarer Natur, in Vergleichung mit dem dinglichen Recht,<lb/>
welches an einem ſinnlich wahrnehmbaren Gegenſtand, einer<lb/>
Sache, haftet. Wir müſſen uns alſo jenes Unſichtbare in<lb/>
der Obligation erſt zu verkörpern ſuchen.</p><lb/><p>Ferner bezieht ſich jede Obligation weſentlich auf zwei<lb/>
verſchiedene Perſonen; in der einen erſcheint ſie als erweiterte<lb/>
Freiheit, als Herrſchaft über einen fremden Willen: in der<lb/>
anderen als beſchränkte Freiheit, als Abhängigkeit von<lb/>
einem fremden Willen <noteplace="foot"n="(a)">S. o. B. 1 § 56.</note>. Nach welchem dieſer beiden,<lb/>
zwar eng verbundenen, dennoch verſchiedenen, Verhältniſſe<lb/>ſollen wir nun den Sitz der Obligation beſtimmen? — Ohne<lb/>
Zweifel nach dem Verhältniß des Schuldners, da die in<lb/>
der Perſon des Schuldners vorhandene Nothwendigkeit<lb/>
einer Handlung das eigentliche Weſen der Obligation aus-<lb/>
macht. Dieſe Annahme wird beſtätigt durch den unbeſtrit-<lb/>
tenen großen Einfluß des Orts der Erfüllung auf den<lb/>
Gerichtsſtand, indem die Erfüllung vorzugsweiſe in einer<lb/>
Thätigkeit des Schuldners beſteht, neben welcher eine Thä-<lb/>
tigkeit des Glaubigers entweder gar nicht, oder doch nur<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[201/0223]
§. 369. III. Obligationenrecht. Einleitung.
Gerichtsſtand derſelben, ſo wie das örtliche Recht erkennen
nach welchem ſie zu beurtheilen iſt.
Die Beantwortung dieſer Frage iſt gerade bei den Obli-
gationen aus folgenden Gründen, mehr als anderwärts,
ſchwierig und zweifelhaft.
Erſtlich hat die Obligation einen Gegenſtand von un-
ſichtbarer Natur, in Vergleichung mit dem dinglichen Recht,
welches an einem ſinnlich wahrnehmbaren Gegenſtand, einer
Sache, haftet. Wir müſſen uns alſo jenes Unſichtbare in
der Obligation erſt zu verkörpern ſuchen.
Ferner bezieht ſich jede Obligation weſentlich auf zwei
verſchiedene Perſonen; in der einen erſcheint ſie als erweiterte
Freiheit, als Herrſchaft über einen fremden Willen: in der
anderen als beſchränkte Freiheit, als Abhängigkeit von
einem fremden Willen (a). Nach welchem dieſer beiden,
zwar eng verbundenen, dennoch verſchiedenen, Verhältniſſe
ſollen wir nun den Sitz der Obligation beſtimmen? — Ohne
Zweifel nach dem Verhältniß des Schuldners, da die in
der Perſon des Schuldners vorhandene Nothwendigkeit
einer Handlung das eigentliche Weſen der Obligation aus-
macht. Dieſe Annahme wird beſtätigt durch den unbeſtrit-
tenen großen Einfluß des Orts der Erfüllung auf den
Gerichtsſtand, indem die Erfüllung vorzugsweiſe in einer
Thätigkeit des Schuldners beſteht, neben welcher eine Thä-
tigkeit des Glaubigers entweder gar nicht, oder doch nur
(a) S. o. B. 1 § 56.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/223>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.