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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

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Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
seyn, selbst für einen Vertrag, nämlich einen stillschweigen-
den, zu halten. Allein diese Auffassung würde nicht genau
richtig seyn. Zu jedem Vertrag wird vorausgesetzt ein
positives Wollen mit bestimmtem Bewußtseyn. Ein solches
ist bei der hier in Frage stehenden Unterwerfung keineswe-
ges immer vorhanden. Vielmehr wird hier nur das dem
inneren Bedürfniß Entsprechende als gewollt, in Kraft einer
allgemeinen Rechtsregel, vorsorglich angenommen, so lange
nicht ein bestimmt widersprechender Wille vorliegt. Von
dieser, allerdings etwas subtilen, Unterscheidung zwischen
der hier angenommenen Unterwerfung und dem Vertrage,
wird unten eine nicht unwichtige Anwendung gemacht
werden (§ 379 Num. 3), in welcher die Unterscheidung
selbst noch anschaulicher hervortreten wird.

Wenngleich nun in der Sache selbst große Ueberein-
stimmung herrscht über den großen Einfluß der freiwilligen
Unterwerfung unter ein bestimmtes örtliches Recht, so muß
ich doch Widerspruch einlegen gegen einen Sprachgebrauch,
der hierin neuerlich geltend gemacht worden ist. Die
neueren Schriftsteller pflegen nämlich diese sehr allgemeine
Einwirkung des freien Willens als Autonomie zu be-
zeichnen (a), da doch dieser Kunstausdruck von früherer Zeit
her vielmehr angewendet worden ist als Bezeichnung eines
sehr eigenthümlichen Verhältnisses in der Entwickelung des
deutschen Rechts, bestehend in der Befugniß des deutschen

(a) Wächter II. S. 35.
Eichhorn deutsches Recht § 34. 37.
Mittermaier deutsches Recht
§ 30. 31. Foelix p. 134.

Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
ſeyn, ſelbſt für einen Vertrag, nämlich einen ſtillſchweigen-
den, zu halten. Allein dieſe Auffaſſung würde nicht genau
richtig ſeyn. Zu jedem Vertrag wird vorausgeſetzt ein
poſitives Wollen mit beſtimmtem Bewußtſeyn. Ein ſolches
iſt bei der hier in Frage ſtehenden Unterwerfung keineswe-
ges immer vorhanden. Vielmehr wird hier nur das dem
inneren Bedürfniß Entſprechende als gewollt, in Kraft einer
allgemeinen Rechtsregel, vorſorglich angenommen, ſo lange
nicht ein beſtimmt widerſprechender Wille vorliegt. Von
dieſer, allerdings etwas ſubtilen, Unterſcheidung zwiſchen
der hier angenommenen Unterwerfung und dem Vertrage,
wird unten eine nicht unwichtige Anwendung gemacht
werden (§ 379 Num. 3), in welcher die Unterſcheidung
ſelbſt noch anſchaulicher hervortreten wird.

Wenngleich nun in der Sache ſelbſt große Ueberein-
ſtimmung herrſcht über den großen Einfluß der freiwilligen
Unterwerfung unter ein beſtimmtes örtliches Recht, ſo muß
ich doch Widerſpruch einlegen gegen einen Sprachgebrauch,
der hierin neuerlich geltend gemacht worden iſt. Die
neueren Schriftſteller pflegen nämlich dieſe ſehr allgemeine
Einwirkung des freien Willens als Autonomie zu be-
zeichnen (a), da doch dieſer Kunſtausdruck von früherer Zeit
her vielmehr angewendet worden iſt als Bezeichnung eines
ſehr eigenthümlichen Verhältniſſes in der Entwickelung des
deutſchen Rechts, beſtehend in der Befugniß des deutſchen

(a) Wächter II. S. 35.
Eichhorn deutſches Recht § 34. 37.
Mittermaier deutſches Recht
§ 30. 31. Foelix p. 134.
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[112/0134] Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. ſeyn, ſelbſt für einen Vertrag, nämlich einen ſtillſchweigen- den, zu halten. Allein dieſe Auffaſſung würde nicht genau richtig ſeyn. Zu jedem Vertrag wird vorausgeſetzt ein poſitives Wollen mit beſtimmtem Bewußtſeyn. Ein ſolches iſt bei der hier in Frage ſtehenden Unterwerfung keineswe- ges immer vorhanden. Vielmehr wird hier nur das dem inneren Bedürfniß Entſprechende als gewollt, in Kraft einer allgemeinen Rechtsregel, vorſorglich angenommen, ſo lange nicht ein beſtimmt widerſprechender Wille vorliegt. Von dieſer, allerdings etwas ſubtilen, Unterſcheidung zwiſchen der hier angenommenen Unterwerfung und dem Vertrage, wird unten eine nicht unwichtige Anwendung gemacht werden (§ 379 Num. 3), in welcher die Unterſcheidung ſelbſt noch anſchaulicher hervortreten wird. Wenngleich nun in der Sache ſelbſt große Ueberein- ſtimmung herrſcht über den großen Einfluß der freiwilligen Unterwerfung unter ein beſtimmtes örtliches Recht, ſo muß ich doch Widerſpruch einlegen gegen einen Sprachgebrauch, der hierin neuerlich geltend gemacht worden iſt. Die neueren Schriftſteller pflegen nämlich dieſe ſehr allgemeine Einwirkung des freien Willens als Autonomie zu be- zeichnen (a), da doch dieſer Kunſtausdruck von früherer Zeit her vielmehr angewendet worden iſt als Bezeichnung eines ſehr eigenthümlichen Verhältniſſes in der Entwickelung des deutſchen Rechts, beſtehend in der Befugniß des deutſchen (a) Wächter II. S. 35. Eichhorn deutſches Recht § 34. 37. Mittermaier deutſches Recht § 30. 31. Foelix p. 134.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/134>, abgerufen am 05.05.2024.