Einsicht gewonnen worden ist. Nur würden wir zu weit gehen, wenn wir annehmen wollten, daß derselbe Gedanke auch schon bei der Entstehung und Ausbildung der positiven Function in dieser Art zum Bewußtseyn gekommen wäre.
Die ältere Gestalt der Exception beruhte auf dem Grundsatz, daß eine einmal angestellte Klage nicht von Neuem vorgebracht werden solle; hier knüpfte sich die An- wendung der Exception an ein äußeres, formelles Merkmal. Auch war dieser Grundsatz für die meisten Fälle ganz ausreichend. In der Praxis aber zeigten sich allmälig ein- zelne Fälle, worin jener Grundsatz nicht ausreichte; manche sogar, worin die consequente Durchführung derselben zu unbilliger Härte ausschlug. Die Wahrnehmung dieses praktischen Bedürfnisses führte zum Nachdenken über eine mögliche Abhülfe, und diese wurde darin gefunden, daß man an die Stelle des ursprünglichen formellen Grund- satzes einen mehr materiellen setzte, hergenommen aus der inneren Natur des Rechtsverhältnisses und des Rechts- streites. Anstatt daß man sich früher damit begnügte, die Wiederholung einer Klage zu verhindern, ging jetzt das Bestreben dahin, den Inhalt eines gesprochenen Urtheils gegen jede spätere Gefährdung sicher zu stellen, und dieser neuere, erschöpfendere Grundsatz (die eadem quaestio) ist in keiner Stelle so klar ausgesprochen, so wiederholt eingeschärft, und durch mannichfaltige Anwen- dungen anschaulich gemacht, als in der hier vorliegenden Stelle des Ulpian.
Beilage XVI.
Einſicht gewonnen worden iſt. Nur würden wir zu weit gehen, wenn wir annehmen wollten, daß derſelbe Gedanke auch ſchon bei der Entſtehung und Ausbildung der poſitiven Function in dieſer Art zum Bewußtſeyn gekommen wäre.
Die ältere Geſtalt der Exception beruhte auf dem Grundſatz, daß eine einmal angeſtellte Klage nicht von Neuem vorgebracht werden ſolle; hier knüpfte ſich die An- wendung der Exception an ein äußeres, formelles Merkmal. Auch war dieſer Grundſatz für die meiſten Fälle ganz ausreichend. In der Praxis aber zeigten ſich allmälig ein- zelne Fälle, worin jener Grundſatz nicht ausreichte; manche ſogar, worin die conſequente Durchführung derſelben zu unbilliger Härte ausſchlug. Die Wahrnehmung dieſes praktiſchen Bedürfniſſes führte zum Nachdenken über eine mögliche Abhülfe, und dieſe wurde darin gefunden, daß man an die Stelle des urſprünglichen formellen Grund- ſatzes einen mehr materiellen ſetzte, hergenommen aus der inneren Natur des Rechtsverhältniſſes und des Rechts- ſtreites. Anſtatt daß man ſich früher damit begnügte, die Wiederholung einer Klage zu verhindern, ging jetzt das Beſtreben dahin, den Inhalt eines geſprochenen Urtheils gegen jede ſpätere Gefährdung ſicher zu ſtellen, und dieſer neuere, erſchöpfendere Grundſatz (die eadem quaestio) iſt in keiner Stelle ſo klar ausgeſprochen, ſo wiederholt eingeſchärft, und durch mannichfaltige Anwen- dungen anſchaulich gemacht, als in der hier vorliegenden Stelle des Ulpian.
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Beilage XVI.
Einſicht gewonnen worden iſt. Nur würden wir zu weit
gehen, wenn wir annehmen wollten, daß derſelbe Gedanke
auch ſchon bei der Entſtehung und Ausbildung der poſitiven
Function in dieſer Art zum Bewußtſeyn gekommen wäre.
Die ältere Geſtalt der Exception beruhte auf dem
Grundſatz, daß eine einmal angeſtellte Klage nicht von
Neuem vorgebracht werden ſolle; hier knüpfte ſich die An-
wendung der Exception an ein äußeres, formelles Merkmal.
Auch war dieſer Grundſatz für die meiſten Fälle ganz
ausreichend. In der Praxis aber zeigten ſich allmälig ein-
zelne Fälle, worin jener Grundſatz nicht ausreichte; manche
ſogar, worin die conſequente Durchführung derſelben zu
unbilliger Härte ausſchlug. Die Wahrnehmung dieſes
praktiſchen Bedürfniſſes führte zum Nachdenken über eine
mögliche Abhülfe, und dieſe wurde darin gefunden, daß
man an die Stelle des urſprünglichen formellen Grund-
ſatzes einen mehr materiellen ſetzte, hergenommen aus der
inneren Natur des Rechtsverhältniſſes und des Rechts-
ſtreites. Anſtatt daß man ſich früher damit begnügte, die
Wiederholung einer Klage zu verhindern, ging jetzt das
Beſtreben dahin, den Inhalt eines geſprochenen
Urtheils gegen jede ſpätere Gefährdung ſicher zu ſtellen,
und dieſer neuere, erſchöpfendere Grundſatz (die eadem
quaestio) iſt in keiner Stelle ſo klar ausgeſprochen, ſo
wiederholt eingeſchärft, und durch mannichfaltige Anwen-
dungen anſchaulich gemacht, als in der hier vorliegenden
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/530>, abgerufen am 25.11.2024.
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