Es ist oben gesagt worden, daß es außer den, hier an- gegebenen, geschriebenen Quellen auch noch manche allge- meinere Erwägungen gebe (gleichsam unsichtbare Erkennt- nißquellen), welche bei Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft benutzt werden müßten.
Diese Erkenntnißquellen können in zwei entgegengesetzten Richtungen bestimmend einwirken: Einige, indem sie als stillschweigende Zusätze zu dem Urtheil hinzugedacht werden müssen; Andere, indem sie diejenigen Aussprüche, die ihrer Form nach, und nach der Absicht des Richters, zu dem Urtheil gehören, und also der Rechtskraft theilhaftig zu seyn scheinen, ganz, oder theilweise entkräften. -- Es ge- hören dahin folgende Fälle:
I. Jede Verurtheilung schließt in sich die Freisprechung von allen weiter gehenden Ansprüchen aus dem streitig gewordenen und abgeurtheilten Rechtsverhältniß; jede Frei- sprechung geht nicht blos auf das von dem Kläger gefor- derte Ganze, sondern auch auf jeden denkbaren Theil dieses Ganzen (§ 286).
Diese, in ihren praktischen Folgen ungemein wichtigen Sätze, die niemals in dem Urtheil ausgedrückt zu werden pflegen, sind stets als stillschweigende Bestandtheile des
tionis est, nec appellare ne- cesse est, et citra provocatio- nem corrigitur." -- Eben so in dem anderen Fall, welcher in dem § 2 derselben Stelle als Beispiel einer Entscheidung mit Gründen aufgestellt wird. Desgleichen auch in L. 2 C. quando provocare (7. 64).
§. 292. Rechtskraft der Gründe. (Fortſetzung.)
Es iſt oben geſagt worden, daß es außer den, hier an- gegebenen, geſchriebenen Quellen auch noch manche allge- meinere Erwägungen gebe (gleichſam unſichtbare Erkennt- nißquellen), welche bei Beſtimmung des Umfangs der Rechtskraft benutzt werden müßten.
Dieſe Erkenntnißquellen können in zwei entgegengeſetzten Richtungen beſtimmend einwirken: Einige, indem ſie als ſtillſchweigende Zuſätze zu dem Urtheil hinzugedacht werden müſſen; Andere, indem ſie diejenigen Ausſprüche, die ihrer Form nach, und nach der Abſicht des Richters, zu dem Urtheil gehören, und alſo der Rechtskraft theilhaftig zu ſeyn ſcheinen, ganz, oder theilweiſe entkräften. — Es ge- hören dahin folgende Fälle:
I. Jede Verurtheilung ſchließt in ſich die Freiſprechung von allen weiter gehenden Anſprüchen aus dem ſtreitig gewordenen und abgeurtheilten Rechtsverhältniß; jede Frei- ſprechung geht nicht blos auf das von dem Kläger gefor- derte Ganze, ſondern auch auf jeden denkbaren Theil dieſes Ganzen (§ 286).
Dieſe, in ihren praktiſchen Folgen ungemein wichtigen Sätze, die niemals in dem Urtheil ausgedrückt zu werden pflegen, ſind ſtets als ſtillſchweigende Beſtandtheile des
tionis est, nec appellare ne- cesse est, et citra provocatio- nem corrigitur.“ — Eben ſo in dem anderen Fall, welcher in dem § 2 derſelben Stelle als Beiſpiel einer Entſcheidung mit Gründen aufgeſtellt wird. Desgleichen auch in L. 2 C. quando provocare (7. 64).
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§. 292. Rechtskraft der Gründe. (Fortſetzung.)
Es iſt oben geſagt worden, daß es außer den, hier an-
gegebenen, geſchriebenen Quellen auch noch manche allge-
meinere Erwägungen gebe (gleichſam unſichtbare Erkennt-
nißquellen), welche bei Beſtimmung des Umfangs der
Rechtskraft benutzt werden müßten.
Dieſe Erkenntnißquellen können in zwei entgegengeſetzten
Richtungen beſtimmend einwirken: Einige, indem ſie als
ſtillſchweigende Zuſätze zu dem Urtheil hinzugedacht werden
müſſen; Andere, indem ſie diejenigen Ausſprüche, die ihrer
Form nach, und nach der Abſicht des Richters, zu dem
Urtheil gehören, und alſo der Rechtskraft theilhaftig zu
ſeyn ſcheinen, ganz, oder theilweiſe entkräften. — Es ge-
hören dahin folgende Fälle:
I. Jede Verurtheilung ſchließt in ſich die Freiſprechung
von allen weiter gehenden Anſprüchen aus dem ſtreitig
gewordenen und abgeurtheilten Rechtsverhältniß; jede Frei-
ſprechung geht nicht blos auf das von dem Kläger gefor-
derte Ganze, ſondern auch auf jeden denkbaren Theil dieſes
Ganzen (§ 286).
Dieſe, in ihren praktiſchen Folgen ungemein wichtigen
Sätze, die niemals in dem Urtheil ausgedrückt zu werden
pflegen, ſind ſtets als ſtillſchweigende Beſtandtheile des
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(i) tionis est, nec appellare ne-
cesse est, et citra provocatio-
nem corrigitur.“ — Eben ſo in
dem anderen Fall, welcher in dem
§ 2 derſelben Stelle als Beiſpiel
einer Entſcheidung mit Gründen
aufgeſtellt wird. Desgleichen auch
in L. 2 C. quando provocare
(7. 64).
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/395>, abgerufen am 24.11.2024.
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