Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
Klagrechts gefangen, späterhin frey wäre, oder umge- kehrt; ein solcher Unterschied wäre aber völlig grundlos, wird auch von Keinem behauptet. Was Jene mit den angegebenen Ausdrücken sagen wollen, ist eigentlich Fol- gendes. Die Handlung kann unterbleiben entweder wegen äußerer Hindernisse (wie Gefangenschaft), oder wegen der Unwissenheit des Berechtigten über sein Recht. Da nun bey einzelnen Rechtsverhältnissen in unsren Rechtsquellen bald diese beide Momente beachtet werden, bald eines der- selben, bald keines, so ergeben sich folgende Vier Combi- nationen:
1) Beachtung beider Momente.
2) Beachtung der Unwissenheit, Nichtbeachtung der äu- ßeren Hindernisse.
3) Nichtbeachtung der Unwissenheit, Beachtung der äu- ßeren Hindernisse.
4) Nichtbeachtung beider Momente.
Dieses ist der wirkliche Gedanke unsrer Schriftsteller; die seltsame Wahl jener Ausdrücke zur Bezeichnung dessel- ben erklärt sich aus folgendem Umstand. Wo überhaupt Unwissenheit vorkommt, wird diese meistens im Anfang des Zeitraums Statt finden, in der Folge aber durch Wis- sen verdrängt werden; dennoch liegt hierin nur eine schwache Entschuldigung für die Wahl jener Terminologie. Denn augenscheinlich können die äußeren Hindernisse eben sowohl im Anfang als im Verlauf eines Zeitraums eintreten, und doch denkt Niemand daran, auf diese Verschiedenheit ir-
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Klagrechts gefangen, ſpäterhin frey wäre, oder umge- kehrt; ein ſolcher Unterſchied wäre aber völlig grundlos, wird auch von Keinem behauptet. Was Jene mit den angegebenen Ausdrücken ſagen wollen, iſt eigentlich Fol- gendes. Die Handlung kann unterbleiben entweder wegen äußerer Hinderniſſe (wie Gefangenſchaft), oder wegen der Unwiſſenheit des Berechtigten über ſein Recht. Da nun bey einzelnen Rechtsverhältniſſen in unſren Rechtsquellen bald dieſe beide Momente beachtet werden, bald eines der- ſelben, bald keines, ſo ergeben ſich folgende Vier Combi- nationen:
1) Beachtung beider Momente.
2) Beachtung der Unwiſſenheit, Nichtbeachtung der äu- ßeren Hinderniſſe.
3) Nichtbeachtung der Unwiſſenheit, Beachtung der äu- ßeren Hinderniſſe.
4) Nichtbeachtung beider Momente.
Dieſes iſt der wirkliche Gedanke unſrer Schriftſteller; die ſeltſame Wahl jener Ausdrücke zur Bezeichnung deſſel- ben erklärt ſich aus folgendem Umſtand. Wo überhaupt Unwiſſenheit vorkommt, wird dieſe meiſtens im Anfang des Zeitraums Statt finden, in der Folge aber durch Wiſ- ſen verdrängt werden; dennoch liegt hierin nur eine ſchwache Entſchuldigung für die Wahl jener Terminologie. Denn augenſcheinlich können die äußeren Hinderniſſe eben ſowohl im Anfang als im Verlauf eines Zeitraums eintreten, und doch denkt Niemand daran, auf dieſe Verſchiedenheit ir-
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Klagrechts gefangen, ſpäterhin frey wäre, oder umge-
kehrt; ein ſolcher Unterſchied wäre aber völlig grundlos,
wird auch von Keinem behauptet. Was Jene mit den
angegebenen Ausdrücken ſagen wollen, iſt eigentlich Fol-
gendes. Die Handlung kann unterbleiben entweder wegen
äußerer Hinderniſſe (wie Gefangenſchaft), oder wegen der
Unwiſſenheit des Berechtigten über ſein Recht. Da nun
bey einzelnen Rechtsverhältniſſen in unſren Rechtsquellen
bald dieſe beide Momente beachtet werden, bald eines der-
ſelben, bald keines, ſo ergeben ſich folgende Vier Combi-
nationen:
1) Beachtung beider Momente.
2) Beachtung der Unwiſſenheit, Nichtbeachtung der äu-
ßeren Hinderniſſe.
3) Nichtbeachtung der Unwiſſenheit, Beachtung der äu-
ßeren Hinderniſſe.
4) Nichtbeachtung beider Momente.
Dieſes iſt der wirkliche Gedanke unſrer Schriftſteller;
die ſeltſame Wahl jener Ausdrücke zur Bezeichnung deſſel-
ben erklärt ſich aus folgendem Umſtand. Wo überhaupt
Unwiſſenheit vorkommt, wird dieſe meiſtens im Anfang
des Zeitraums Statt finden, in der Folge aber durch Wiſ-
ſen verdrängt werden; dennoch liegt hierin nur eine ſchwache
Entſchuldigung für die Wahl jener Terminologie. Denn
augenſcheinlich können die äußeren Hinderniſſe eben ſowohl
im Anfang als im Verlauf eines Zeitraums eintreten, und
doch denkt Niemand daran, auf dieſe Verſchiedenheit ir-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/462>, abgerufen am 25.11.2024.
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