Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 109. Altersstufen. Impuberes.
-- Ist nun diese ganze Ansicht der Sache richtig, so war
auch zu Justinians Zeit in der Praxis schon längst nur
von Vierzehen Jahren die Rede, und an eine Besichtigung
dachte Niemand mehr. Justinians Gesetz sollte also, wie
gewiß auch manches andere, nicht den praktischen Zustand
des Rechts ändern, sondern eine in Büchern vorgefundene
alte Streitfrage entscheiden. Die gewöhnliche Meynung
freylich ist Dieses nicht, vielmehr pflegt man anzunehmen,
die Meynung des Priscus habe bleibend die Oberhand be-
halten, und zur Zeit von Justinian sey stets wirklich be-
sichtigt worden (v). Diese Annahme erklärt sich leicht aus
der sittlichen Entrüstung, womit die beiden Justinianischen
Gesetzstellen offenbar abgefaßt sind, und die aus einem
wahrgenommenen scandalösen Gebrauch herzurühren scheint.
Indessen hindert uns Nichts, dabey auch ein blos theore-
tisches Scandal vorauszusetzen, und daß auch über ein
solches Justinian in Affect gerathen konnte, ist gewiß dem
rhetorischen Styl seiner Gesetze ganz angemessen. Ja so-
gar findet sich bey ihm ein Ausdruck, der auf diesen Zu-
stand der Sache geradezu hindeutet. In den Institutionen
heißt es nämlich: Pubertatem .. veteres .. ex habitu cor-
poris in masculis aestimari volebant
. So konnte man
sprechen, wenn Das was getadelt wurde blos in alten
Büchern stand, aber der Ausdruck wäre sehr unpassend
gewesen, wenn die Praxis der Gegenwart mit jener ge-
tadelten Lehrmeynung übereingestimmt hätte. -- Wie kam

(v) Cramer l. c. p. 16.
5*

§. 109. Altersſtufen. Impuberes.
— Iſt nun dieſe ganze Anſicht der Sache richtig, ſo war
auch zu Juſtinians Zeit in der Praxis ſchon längſt nur
von Vierzehen Jahren die Rede, und an eine Beſichtigung
dachte Niemand mehr. Juſtinians Geſetz ſollte alſo, wie
gewiß auch manches andere, nicht den praktiſchen Zuſtand
des Rechts ändern, ſondern eine in Büchern vorgefundene
alte Streitfrage entſcheiden. Die gewöhnliche Meynung
freylich iſt Dieſes nicht, vielmehr pflegt man anzunehmen,
die Meynung des Priſcus habe bleibend die Oberhand be-
halten, und zur Zeit von Juſtinian ſey ſtets wirklich be-
ſichtigt worden (v). Dieſe Annahme erklärt ſich leicht aus
der ſittlichen Entrüſtung, womit die beiden Juſtinianiſchen
Geſetzſtellen offenbar abgefaßt ſind, und die aus einem
wahrgenommenen ſcandalöſen Gebrauch herzurühren ſcheint.
Indeſſen hindert uns Nichts, dabey auch ein blos theore-
tiſches Scandal vorauszuſetzen, und daß auch über ein
ſolches Juſtinian in Affect gerathen konnte, iſt gewiß dem
rhetoriſchen Styl ſeiner Geſetze ganz angemeſſen. Ja ſo-
gar findet ſich bey ihm ein Ausdruck, der auf dieſen Zu-
ſtand der Sache geradezu hindeutet. In den Inſtitutionen
heißt es nämlich: Pubertatem .. veteres .. ex habitu cor-
poris in masculis aestimari volebant
. So konnte man
ſprechen, wenn Das was getadelt wurde blos in alten
Büchern ſtand, aber der Ausdruck wäre ſehr unpaſſend
geweſen, wenn die Praxis der Gegenwart mit jener ge-
tadelten Lehrmeynung übereingeſtimmt hätte. — Wie kam

(v) Cramer l. c. p. 16.
5*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0079" n="67"/><fw place="top" type="header">§. 109. Alters&#x017F;tufen. <hi rendition="#aq">Impuberes</hi>.</fw><lb/>
&#x2014; I&#x017F;t nun die&#x017F;e ganze An&#x017F;icht der Sache richtig, &#x017F;o war<lb/>
auch zu Ju&#x017F;tinians Zeit in der Praxis &#x017F;chon läng&#x017F;t nur<lb/>
von Vierzehen Jahren die Rede, und an eine Be&#x017F;ichtigung<lb/>
dachte Niemand mehr. Ju&#x017F;tinians Ge&#x017F;etz &#x017F;ollte al&#x017F;o, wie<lb/>
gewiß auch manches andere, nicht den prakti&#x017F;chen Zu&#x017F;tand<lb/>
des Rechts ändern, &#x017F;ondern eine in Büchern vorgefundene<lb/>
alte Streitfrage ent&#x017F;cheiden. Die gewöhnliche Meynung<lb/>
freylich i&#x017F;t Die&#x017F;es nicht, vielmehr pflegt man anzunehmen,<lb/>
die Meynung des Pri&#x017F;cus habe bleibend die Oberhand be-<lb/>
halten, und zur Zeit von Ju&#x017F;tinian &#x017F;ey &#x017F;tets wirklich be-<lb/>
&#x017F;ichtigt worden <note place="foot" n="(v)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Cramer</hi> l. c. p.</hi> 16.</note>. Die&#x017F;e Annahme erklärt &#x017F;ich leicht aus<lb/>
der &#x017F;ittlichen Entrü&#x017F;tung, womit die beiden Ju&#x017F;tiniani&#x017F;chen<lb/>
Ge&#x017F;etz&#x017F;tellen offenbar abgefaßt &#x017F;ind, und die aus einem<lb/>
wahrgenommenen &#x017F;candalö&#x017F;en Gebrauch herzurühren &#x017F;cheint.<lb/>
Inde&#x017F;&#x017F;en hindert uns Nichts, dabey auch ein blos theore-<lb/>
ti&#x017F;ches Scandal vorauszu&#x017F;etzen, und daß auch über ein<lb/>
&#x017F;olches Ju&#x017F;tinian in Affect gerathen konnte, i&#x017F;t gewiß dem<lb/>
rhetori&#x017F;chen Styl &#x017F;einer Ge&#x017F;etze ganz angeme&#x017F;&#x017F;en. Ja &#x017F;o-<lb/>
gar findet &#x017F;ich bey ihm ein Ausdruck, der auf die&#x017F;en Zu-<lb/>
&#x017F;tand der Sache geradezu hindeutet. In den In&#x017F;titutionen<lb/>
heißt es nämlich: <hi rendition="#aq">Pubertatem .. <hi rendition="#i">veteres</hi> .. ex habitu cor-<lb/>
poris in masculis aestimari volebant</hi>. So konnte man<lb/>
&#x017F;prechen, wenn Das was getadelt wurde blos in alten<lb/>
Büchern &#x017F;tand, aber der Ausdruck wäre &#x017F;ehr unpa&#x017F;&#x017F;end<lb/>
gewe&#x017F;en, wenn die Praxis der Gegenwart mit jener ge-<lb/>
tadelten Lehrmeynung übereinge&#x017F;timmt hätte. &#x2014; Wie kam<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0079] §. 109. Altersſtufen. Impuberes. — Iſt nun dieſe ganze Anſicht der Sache richtig, ſo war auch zu Juſtinians Zeit in der Praxis ſchon längſt nur von Vierzehen Jahren die Rede, und an eine Beſichtigung dachte Niemand mehr. Juſtinians Geſetz ſollte alſo, wie gewiß auch manches andere, nicht den praktiſchen Zuſtand des Rechts ändern, ſondern eine in Büchern vorgefundene alte Streitfrage entſcheiden. Die gewöhnliche Meynung freylich iſt Dieſes nicht, vielmehr pflegt man anzunehmen, die Meynung des Priſcus habe bleibend die Oberhand be- halten, und zur Zeit von Juſtinian ſey ſtets wirklich be- ſichtigt worden (v). Dieſe Annahme erklärt ſich leicht aus der ſittlichen Entrüſtung, womit die beiden Juſtinianiſchen Geſetzſtellen offenbar abgefaßt ſind, und die aus einem wahrgenommenen ſcandalöſen Gebrauch herzurühren ſcheint. Indeſſen hindert uns Nichts, dabey auch ein blos theore- tiſches Scandal vorauszuſetzen, und daß auch über ein ſolches Juſtinian in Affect gerathen konnte, iſt gewiß dem rhetoriſchen Styl ſeiner Geſetze ganz angemeſſen. Ja ſo- gar findet ſich bey ihm ein Ausdruck, der auf dieſen Zu- ſtand der Sache geradezu hindeutet. In den Inſtitutionen heißt es nämlich: Pubertatem .. veteres .. ex habitu cor- poris in masculis aestimari volebant. So konnte man ſprechen, wenn Das was getadelt wurde blos in alten Büchern ſtand, aber der Ausdruck wäre ſehr unpaſſend geweſen, wenn die Praxis der Gegenwart mit jener ge- tadelten Lehrmeynung übereingeſtimmt hätte. — Wie kam (v) Cramer l. c. p. 16. 5*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/79
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/79>, abgerufen am 07.05.2024.