gel für die Vier Klassen nicht aufstellen läßt. Aber nicht blos diese Nachsicht muß bey ihnen angewendet werden, sondern es liegt dabey auch unzweifelhaft der Gedanke zum Grunde, daß bey ihnen stets die Rechtsunwissenheit als Thatsache vermuthet werde, so lange nicht ihre Rechts- kenntniß besonders bewiesen werden kann (h).
XXXIV.
Die juristische Lehre vom Irrthum ist dadurch nicht wenig verdunkelt worden, daß man (theilweise schon in den alten Rechtsquellen) Fälle in dieselbe eingemischt hat, die eigentlich außer ihrem Gebiet liegen. Von einer Ein- wirkung des Irrthums nämlich kann nur da die Rede seyn, wo die gewöhnlichen, regelmäßigen Folgen solcher juristi- schen Thatsachen, die auf dem freyen Willen beruhen, durch das Daseyn eines Irrthums aufgehoben oder verän- dert werden, indem der Wille, mit Rücksicht auf diesen Irrthum, als ein unvollkommner Wille betrachtet wird (Num. II.). Ist aber der Fall, worin ein Irrthum vor- kam, auch schon an sich selbst so gestaltet, daß es an den nothwendigen Bedingungen einer juristischen Thatsache fehlt, so ist es nicht der Irrthum, der die Folgen dersel- ben hindert, weshalb es unrichtig ist, in diesen Fällen von einer Einwirkung des Irrthums zu reden, und dieselben überhaupt mit den bisher abgehandelten Fällen zusammen
(h) Diese Ansicht ist deutlich ausgesprochen bey dem Minder- jährigen, der die Zollgesetze über- tritt, s. o. Num. XXI. Note m.
Beylage VIII.
gel für die Vier Klaſſen nicht aufſtellen läßt. Aber nicht blos dieſe Nachſicht muß bey ihnen angewendet werden, ſondern es liegt dabey auch unzweifelhaft der Gedanke zum Grunde, daß bey ihnen ſtets die Rechtsunwiſſenheit als Thatſache vermuthet werde, ſo lange nicht ihre Rechts- kenntniß beſonders bewieſen werden kann (h).
XXXIV.
Die juriſtiſche Lehre vom Irrthum iſt dadurch nicht wenig verdunkelt worden, daß man (theilweiſe ſchon in den alten Rechtsquellen) Fälle in dieſelbe eingemiſcht hat, die eigentlich außer ihrem Gebiet liegen. Von einer Ein- wirkung des Irrthums nämlich kann nur da die Rede ſeyn, wo die gewöhnlichen, regelmaͤßigen Folgen ſolcher juriſti- ſchen Thatſachen, die auf dem freyen Willen beruhen, durch das Daſeyn eines Irrthums aufgehoben oder verän- dert werden, indem der Wille, mit Rückſicht auf dieſen Irrthum, als ein unvollkommner Wille betrachtet wird (Num. II.). Iſt aber der Fall, worin ein Irrthum vor- kam, auch ſchon an ſich ſelbſt ſo geſtaltet, daß es an den nothwendigen Bedingungen einer juriſtiſchen Thatſache fehlt, ſo iſt es nicht der Irrthum, der die Folgen derſel- ben hindert, weshalb es unrichtig iſt, in dieſen Fällen von einer Einwirkung des Irrthums zu reden, und dieſelben überhaupt mit den bisher abgehandelten Fällen zuſammen
(h) Dieſe Anſicht iſt deutlich ausgeſprochen bey dem Minder- jährigen, der die Zollgeſetze über- tritt, ſ. o. Num. XXI. Note m.
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Beylage VIII.
gel für die Vier Klaſſen nicht aufſtellen läßt. Aber nicht
blos dieſe Nachſicht muß bey ihnen angewendet werden,
ſondern es liegt dabey auch unzweifelhaft der Gedanke
zum Grunde, daß bey ihnen ſtets die Rechtsunwiſſenheit
als Thatſache vermuthet werde, ſo lange nicht ihre Rechts-
kenntniß beſonders bewieſen werden kann (h).
XXXIV.
Die juriſtiſche Lehre vom Irrthum iſt dadurch nicht
wenig verdunkelt worden, daß man (theilweiſe ſchon in
den alten Rechtsquellen) Fälle in dieſelbe eingemiſcht hat,
die eigentlich außer ihrem Gebiet liegen. Von einer Ein-
wirkung des Irrthums nämlich kann nur da die Rede ſeyn,
wo die gewöhnlichen, regelmaͤßigen Folgen ſolcher juriſti-
ſchen Thatſachen, die auf dem freyen Willen beruhen,
durch das Daſeyn eines Irrthums aufgehoben oder verän-
dert werden, indem der Wille, mit Rückſicht auf dieſen
Irrthum, als ein unvollkommner Wille betrachtet wird
(Num. II.). Iſt aber der Fall, worin ein Irrthum vor-
kam, auch ſchon an ſich ſelbſt ſo geſtaltet, daß es an den
nothwendigen Bedingungen einer juriſtiſchen Thatſache
fehlt, ſo iſt es nicht der Irrthum, der die Folgen derſel-
ben hindert, weshalb es unrichtig iſt, in dieſen Fällen von
einer Einwirkung des Irrthums zu reden, und dieſelben
überhaupt mit den bisher abgehandelten Fällen zuſammen
(h) Dieſe Anſicht iſt deutlich
ausgeſprochen bey dem Minder-
jährigen, der die Zollgeſetze über-
tritt, ſ. o. Num. XXI. Note m.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/452>, abgerufen am 04.07.2024.
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