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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.

Der Irrthum nun kommt als ein wichtiges Moment
in so mancherley juristischen Beziehungen vor, daß es
unmöglich ist, dieselben an einer einzelnen Stelle des Rechts-
systems zu erschöpfen. Dennoch ist es für die Vollstän-
digkeit der Einsicht wichtig, diese verschiedenen Beziehungen
zu einer gemeinsamen Uebersicht zu verbinden. Diese zu-
sammenhängende Darstellung des Irrthums in seinen ver-
schiedenen Beziehungen auf Rechtsverhältnisse habe ich in
einer abgesonderten Abhandlung zu geben versucht (Bey-
lage VIII.).

Gegenwärtig fassen wir den Irrthum blos in der Be-
ziehung auf, da er als Beweggrund zu einer Wil-
lenserklärung
erscheint. Bey dieser Beziehung wird
fast immer ein eigentlicher Irrthum zum Grunde liegen,
da die reine Unwissenheit gewöhnlich nur Unterlassungen
zur Folge haben wird. -- Wir fragen nun in dieser Be-
ziehung, ob wohl der aus Irrthum entsprungene Wille
als ein eigentlicher und wirksamer Wille zu betrachten
seyn möge? Der schon oben angedeutete Schein für die
Verneinung dieser Frage liegt in einer gewissen Aehnlich-
keit des Irrthums mit der Bewußtlosigkeit. So wie näm-
lich der Unmündige oder Wahnsinnige, könnte man sagen,
zu Willenserklärungen unfähig sind wegen ihres allge-
meinen Mangels an Bewußtseyn überhaupt (§. 106.), so
muß dazu auch Derjenige unfähig seyn, welchem ein rich-
tiges Bewußtseyn in besonderer Beziehung auf die den
Willen bestimmenden Thatsachen mangelt. Es finden sich

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Der Irrthum nun kommt als ein wichtiges Moment
in ſo mancherley juriſtiſchen Beziehungen vor, daß es
unmöglich iſt, dieſelben an einer einzelnen Stelle des Rechts-
ſyſtems zu erſchöpfen. Dennoch iſt es für die Vollſtän-
digkeit der Einſicht wichtig, dieſe verſchiedenen Beziehungen
zu einer gemeinſamen Ueberſicht zu verbinden. Dieſe zu-
ſammenhängende Darſtellung des Irrthums in ſeinen ver-
ſchiedenen Beziehungen auf Rechtsverhältniſſe habe ich in
einer abgeſonderten Abhandlung zu geben verſucht (Bey-
lage VIII.).

Gegenwärtig faſſen wir den Irrthum blos in der Be-
ziehung auf, da er als Beweggrund zu einer Wil-
lenserklärung
erſcheint. Bey dieſer Beziehung wird
faſt immer ein eigentlicher Irrthum zum Grunde liegen,
da die reine Unwiſſenheit gewöhnlich nur Unterlaſſungen
zur Folge haben wird. — Wir fragen nun in dieſer Be-
ziehung, ob wohl der aus Irrthum entſprungene Wille
als ein eigentlicher und wirkſamer Wille zu betrachten
ſeyn möge? Der ſchon oben angedeutete Schein für die
Verneinung dieſer Frage liegt in einer gewiſſen Aehnlich-
keit des Irrthums mit der Bewußtloſigkeit. So wie näm-
lich der Unmündige oder Wahnſinnige, könnte man ſagen,
zu Willenserklärungen unfähig ſind wegen ihres allge-
meinen Mangels an Bewußtſeyn überhaupt (§. 106.), ſo
muß dazu auch Derjenige unfähig ſeyn, welchem ein rich-
tiges Bewußtſeyn in beſonderer Beziehung auf die den
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[112/0124] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. Der Irrthum nun kommt als ein wichtiges Moment in ſo mancherley juriſtiſchen Beziehungen vor, daß es unmöglich iſt, dieſelben an einer einzelnen Stelle des Rechts- ſyſtems zu erſchöpfen. Dennoch iſt es für die Vollſtän- digkeit der Einſicht wichtig, dieſe verſchiedenen Beziehungen zu einer gemeinſamen Ueberſicht zu verbinden. Dieſe zu- ſammenhängende Darſtellung des Irrthums in ſeinen ver- ſchiedenen Beziehungen auf Rechtsverhältniſſe habe ich in einer abgeſonderten Abhandlung zu geben verſucht (Bey- lage VIII.). Gegenwärtig faſſen wir den Irrthum blos in der Be- ziehung auf, da er als Beweggrund zu einer Wil- lenserklärung erſcheint. Bey dieſer Beziehung wird faſt immer ein eigentlicher Irrthum zum Grunde liegen, da die reine Unwiſſenheit gewöhnlich nur Unterlaſſungen zur Folge haben wird. — Wir fragen nun in dieſer Be- ziehung, ob wohl der aus Irrthum entſprungene Wille als ein eigentlicher und wirkſamer Wille zu betrachten ſeyn möge? Der ſchon oben angedeutete Schein für die Verneinung dieſer Frage liegt in einer gewiſſen Aehnlich- keit des Irrthums mit der Bewußtloſigkeit. So wie näm- lich der Unmündige oder Wahnſinnige, könnte man ſagen, zu Willenserklärungen unfähig ſind wegen ihres allge- meinen Mangels an Bewußtſeyn überhaupt (§. 106.), ſo muß dazu auch Derjenige unfähig ſeyn, welchem ein rich- tiges Bewußtſeyn in beſonderer Beziehung auf die den Willen beſtimmenden Thatſachen mangelt. Es finden ſich

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/124>, abgerufen am 25.11.2024.