tens könnte man sagen, Ulpian habe an solche Frauen gedacht, die durch die Geburt von drey Kindern befreyt waren von der Nothwendigkeit aller Tutel. Allein so viel wir wissen, hat sich das jus liberorum niemals auf Töch- ter in väterlicher Gewalt bezogen; auch hätte es bey ihnen keinen Sinn und Zweck gehabt. Unabhängige Frauen sollten dadurch die Fähigkeit erlangen, Mancherley zu er- werben, so wie über ihr Vermögen frey zu verfügen; eine filiafamilias aber konnte überhaupt weder Etwas für sich erwerben, noch über ein Vermögen (das sie niemals hatte) verfügen, so daß jenes Recht für sie lediglich in dem selt- samen, unwahrscheinlichen Privilegium bestanden hätte, Schulden zu haben, wozu sie nach der hier bekämpften Meynung außerdem nicht fähig gewesen wäre.
Beyläufig kommen indessen außer jener Hauptstelle auch noch folgende Stellen in Betracht.
1) Vat. Fragm. § 99. "P. respondit: Filiamfamilias ex dotis dictione obligari non potuisse." Man könnte nämlich diesen Satz als eine bloße Anwendung der allge- meinen Schuldenunfähigkeit betrachten, die dann dadurch bezeugt seyn würde. Allein wenn man erwägt, daß die dotis dictio ein höchst eigenthümliches Rechtsinstitut war, insbesondere daß dazu Niemand die Fähigkeit hatte, als allein die Frau, ihr Schuldner, ihr Vater und Großva- ter (k), so wird man wohl jene Argumentation für ganz unzulässig erkennen müssen.
(k)Ulpian. VI. § 2.
Beylage V.
tens könnte man ſagen, Ulpian habe an ſolche Frauen gedacht, die durch die Geburt von drey Kindern befreyt waren von der Nothwendigkeit aller Tutel. Allein ſo viel wir wiſſen, hat ſich das jus liberorum niemals auf Töch- ter in väterlicher Gewalt bezogen; auch hätte es bey ihnen keinen Sinn und Zweck gehabt. Unabhängige Frauen ſollten dadurch die Fähigkeit erlangen, Mancherley zu er- werben, ſo wie über ihr Vermögen frey zu verfügen; eine filiafamilias aber konnte überhaupt weder Etwas für ſich erwerben, noch über ein Vermögen (das ſie niemals hatte) verfügen, ſo daß jenes Recht für ſie lediglich in dem ſelt- ſamen, unwahrſcheinlichen Privilegium beſtanden hätte, Schulden zu haben, wozu ſie nach der hier bekämpften Meynung außerdem nicht fähig geweſen wäre.
Beyläufig kommen indeſſen außer jener Hauptſtelle auch noch folgende Stellen in Betracht.
1) Vat. Fragm. § 99. „P. respondit: Filiamfamilias ex dotis dictione obligari non potuisse.” Man könnte nämlich dieſen Satz als eine bloße Anwendung der allge- meinen Schuldenunfähigkeit betrachten, die dann dadurch bezeugt ſeyn würde. Allein wenn man erwägt, daß die dotis dictio ein höchſt eigenthümliches Rechtsinſtitut war, insbeſondere daß dazu Niemand die Fähigkeit hatte, als allein die Frau, ihr Schuldner, ihr Vater und Großva- ter (k), ſo wird man wohl jene Argumentation für ganz unzuläſſig erkennen müſſen.
(k)Ulpian. VI. § 2.
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Beylage V.
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gedacht, die durch die Geburt von drey Kindern befreyt
waren von der Nothwendigkeit aller Tutel. Allein ſo viel
wir wiſſen, hat ſich das jus liberorum niemals auf Töch-
ter in väterlicher Gewalt bezogen; auch hätte es bey
ihnen keinen Sinn und Zweck gehabt. Unabhängige Frauen
ſollten dadurch die Fähigkeit erlangen, Mancherley zu er-
werben, ſo wie über ihr Vermögen frey zu verfügen; eine
filiafamilias aber konnte überhaupt weder Etwas für ſich
erwerben, noch über ein Vermögen (das ſie niemals hatte)
verfügen, ſo daß jenes Recht für ſie lediglich in dem ſelt-
ſamen, unwahrſcheinlichen Privilegium beſtanden hätte,
Schulden zu haben, wozu ſie nach der hier bekämpften
Meynung außerdem nicht fähig geweſen wäre.
Beyläufig kommen indeſſen außer jener Hauptſtelle auch
noch folgende Stellen in Betracht.
1) Vat. Fragm. § 99. „P. respondit: Filiamfamilias
ex dotis dictione obligari non potuisse.” Man könnte
nämlich dieſen Satz als eine bloße Anwendung der allge-
meinen Schuldenunfähigkeit betrachten, die dann dadurch
bezeugt ſeyn würde. Allein wenn man erwägt, daß die
dotis dictio ein höchſt eigenthümliches Rechtsinſtitut war,
insbeſondere daß dazu Niemand die Fähigkeit hatte, als
allein die Frau, ihr Schuldner, ihr Vater und Großva-
ter (k), ſo wird man wohl jene Argumentation für ganz
unzuläſſig erkennen müſſen.
(k) Ulpian. VI. § 2.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/450>, abgerufen am 16.07.2024.
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