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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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§. 72. Anomalische Rechte. Lebensversorgung.
lende Freyheit entweder ganz verschwindet, oder doch zu-
rücktritt, so daß wir selbst dabey unter eine Art von Vor-
mundschaft treten. Diese Rechte sind es, bey welchen die
regelmäßigen Einschränkungen der Rechtsfähigkeit zuwei-
len ganz verschwinden, zuweilen modificirt erscheinen. Ein
Beyspiel wird diesen Gegensatz anschaulich machen. Wenn
einem Unbemittelten freye Kost verschafft werden soll, so
kann dieses dadurch geschehen, daß für ihn in einem Gast-
haus monatlich eine bestimmte Summe bezahlt wird, wo-
durch er das Recht erhält, täglich daselbst zu essen. Die-
ses wäre ein solches anomalisches Recht, die Wohlthat
wäre mit einer vormundschaftlichen Beschränkung verbun-
den. Zu demselben Zweck aber könnten Jenem am An-
fang des Monats dieselbe Summe baar gezahlt werden,
wodurch er denselben Vortheil wie im ersten Fall erlan-
gen könnte. Allein hier wäre seiner Freyheit keine Schranke
gesetzt, er könnte das Geld auch anders verwenden, gut
oder schlecht, indem er sich etwa mit ärmlicher Kost be-
gnügte, und den größten Theil des Geldes den Armen
gäbe, oder aber im Spiel verschwendete. -- In einer
Stelle des Römischen Rechts wird von denjenigen Obli-
gationen, die jenen anomalischen Character an sich tra-
gen, mit treffendem Ausdruck gesagt: naturalem praesta-
tionem habere intelliguntur
(a), das heißt sie zwecken ab
auf Naturalverpflegung, auf eine unmittelbare Darrei-
chung der Lebensbedürfnisse, unvermittelt durch unsre Frey-

(a) L. 8 de cap. min. (4. 5.).

§. 72. Anomaliſche Rechte. Lebensverſorgung.
lende Freyheit entweder ganz verſchwindet, oder doch zu-
rücktritt, ſo daß wir ſelbſt dabey unter eine Art von Vor-
mundſchaft treten. Dieſe Rechte ſind es, bey welchen die
regelmäßigen Einſchränkungen der Rechtsfähigkeit zuwei-
len ganz verſchwinden, zuweilen modificirt erſcheinen. Ein
Beyſpiel wird dieſen Gegenſatz anſchaulich machen. Wenn
einem Unbemittelten freye Koſt verſchafft werden ſoll, ſo
kann dieſes dadurch geſchehen, daß für ihn in einem Gaſt-
haus monatlich eine beſtimmte Summe bezahlt wird, wo-
durch er das Recht erhält, täglich daſelbſt zu eſſen. Die-
ſes wäre ein ſolches anomaliſches Recht, die Wohlthat
wäre mit einer vormundſchaftlichen Beſchränkung verbun-
den. Zu demſelben Zweck aber könnten Jenem am An-
fang des Monats dieſelbe Summe baar gezahlt werden,
wodurch er denſelben Vortheil wie im erſten Fall erlan-
gen könnte. Allein hier wäre ſeiner Freyheit keine Schranke
geſetzt, er koͤnnte das Geld auch anders verwenden, gut
oder ſchlecht, indem er ſich etwa mit ärmlicher Koſt be-
gnügte, und den größten Theil des Geldes den Armen
gaͤbe, oder aber im Spiel verſchwendete. — In einer
Stelle des Römiſchen Rechts wird von denjenigen Obli-
gationen, die jenen anomaliſchen Character an ſich tra-
gen, mit treffendem Ausdruck geſagt: naturalem praesta-
tionem habere intelliguntur
(a), das heißt ſie zwecken ab
auf Naturalverpflegung, auf eine unmittelbare Darrei-
chung der Lebensbedürfniſſe, unvermittelt durch unſre Frey-

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[105/0119] §. 72. Anomaliſche Rechte. Lebensverſorgung. lende Freyheit entweder ganz verſchwindet, oder doch zu- rücktritt, ſo daß wir ſelbſt dabey unter eine Art von Vor- mundſchaft treten. Dieſe Rechte ſind es, bey welchen die regelmäßigen Einſchränkungen der Rechtsfähigkeit zuwei- len ganz verſchwinden, zuweilen modificirt erſcheinen. Ein Beyſpiel wird dieſen Gegenſatz anſchaulich machen. Wenn einem Unbemittelten freye Koſt verſchafft werden ſoll, ſo kann dieſes dadurch geſchehen, daß für ihn in einem Gaſt- haus monatlich eine beſtimmte Summe bezahlt wird, wo- durch er das Recht erhält, täglich daſelbſt zu eſſen. Die- ſes wäre ein ſolches anomaliſches Recht, die Wohlthat wäre mit einer vormundſchaftlichen Beſchränkung verbun- den. Zu demſelben Zweck aber könnten Jenem am An- fang des Monats dieſelbe Summe baar gezahlt werden, wodurch er denſelben Vortheil wie im erſten Fall erlan- gen könnte. Allein hier wäre ſeiner Freyheit keine Schranke geſetzt, er koͤnnte das Geld auch anders verwenden, gut oder ſchlecht, indem er ſich etwa mit ärmlicher Koſt be- gnügte, und den größten Theil des Geldes den Armen gaͤbe, oder aber im Spiel verſchwendete. — In einer Stelle des Römiſchen Rechts wird von denjenigen Obli- gationen, die jenen anomaliſchen Character an ſich tra- gen, mit treffendem Ausdruck geſagt: naturalem praesta- tionem habere intelliguntur (a), das heißt ſie zwecken ab auf Naturalverpflegung, auf eine unmittelbare Darrei- chung der Lebensbedürfniſſe, unvermittelt durch unſre Frey- (a) L. 8 de cap. min. (4. 5.).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/119>, abgerufen am 21.11.2024.