unentbehrliche Thätigkeit großentheils von selbst der Ge- setzgebung zufallen. In keiner Zeit ist diese letzte Verän- derung so sichtbar, ja so plötzlich erschienen, als unter Constantin, von welchem an die höchst thätige Kaiserliche Gesetzgebung die Fortbildung des Rechts ausschließend übernahm.
Wie nun aus diesen Betrachtungen hervorgeht, daß der Gesetzgebung keinesweges eine untergeordnete Wichtig- keit, in Vergleichung mit dem reinen (d. h. nicht in Gesetz- gebung übergegangenen) Volksrecht zugeschrieben werden darf, so ist auch vor dem umgekehrten Irrthum zu war- nen, nach welchem das Volksrecht nur als ein nothdürf- tiger Ersatz für die zufällig mangelnde Gesetzgebung be- trachtet werden soll, von welchem nicht weiter die Rede seyn dürfe, sobald diese in's Daseyn getreten wäre. Die consequente Durchführung dieser Ansicht führt dahin, die Abänderung eines Gesetzes durch neueres Volksrecht (abro- gatorische Gewohnheit) für unmöglich zu halten. Erkennt man aber in beiden Formen der Rechtsbildung eine gleiche, selbstständige Würde an, so muß es einleuchten, daß die natürliche fortbildende Kraft des Volksrechts nicht durch den an sich zufälligen Umstand aufgehoben werden kann, wenn ein früheres Erzeugniß desselben die Form der Ge- setzgebung angenommen hat.
Außer dem Inhalt des Gesetzes, von welchem bisher die Rede war, ist nun auch noch die Form desselben in besondere Erwägung zu ziehen. Diese wird eben sowohl
§. 13. Geſetzgebung.
unentbehrliche Thätigkeit großentheils von ſelbſt der Ge- ſetzgebung zufallen. In keiner Zeit iſt dieſe letzte Verän- derung ſo ſichtbar, ja ſo plötzlich erſchienen, als unter Conſtantin, von welchem an die höchſt thätige Kaiſerliche Geſetzgebung die Fortbildung des Rechts ausſchließend übernahm.
Wie nun aus dieſen Betrachtungen hervorgeht, daß der Geſetzgebung keinesweges eine untergeordnete Wichtig- keit, in Vergleichung mit dem reinen (d. h. nicht in Geſetz- gebung übergegangenen) Volksrecht zugeſchrieben werden darf, ſo iſt auch vor dem umgekehrten Irrthum zu war- nen, nach welchem das Volksrecht nur als ein nothdürf- tiger Erſatz für die zufällig mangelnde Geſetzgebung be- trachtet werden ſoll, von welchem nicht weiter die Rede ſeyn dürfe, ſobald dieſe in’s Daſeyn getreten wäre. Die conſequente Durchführung dieſer Anſicht führt dahin, die Abänderung eines Geſetzes durch neueres Volksrecht (abro- gatoriſche Gewohnheit) für unmöglich zu halten. Erkennt man aber in beiden Formen der Rechtsbildung eine gleiche, ſelbſtſtändige Würde an, ſo muß es einleuchten, daß die natürliche fortbildende Kraft des Volksrechts nicht durch den an ſich zufälligen Umſtand aufgehoben werden kann, wenn ein früheres Erzeugniß deſſelben die Form der Ge- ſetzgebung angenommen hat.
Außer dem Inhalt des Geſetzes, von welchem bisher die Rede war, iſt nun auch noch die Form deſſelben in beſondere Erwägung zu ziehen. Dieſe wird eben ſowohl
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§. 13. Geſetzgebung.
unentbehrliche Thätigkeit großentheils von ſelbſt der Ge-
ſetzgebung zufallen. In keiner Zeit iſt dieſe letzte Verän-
derung ſo ſichtbar, ja ſo plötzlich erſchienen, als unter
Conſtantin, von welchem an die höchſt thätige Kaiſerliche
Geſetzgebung die Fortbildung des Rechts ausſchließend
übernahm.
Wie nun aus dieſen Betrachtungen hervorgeht, daß
der Geſetzgebung keinesweges eine untergeordnete Wichtig-
keit, in Vergleichung mit dem reinen (d. h. nicht in Geſetz-
gebung übergegangenen) Volksrecht zugeſchrieben werden
darf, ſo iſt auch vor dem umgekehrten Irrthum zu war-
nen, nach welchem das Volksrecht nur als ein nothdürf-
tiger Erſatz für die zufällig mangelnde Geſetzgebung be-
trachtet werden ſoll, von welchem nicht weiter die Rede
ſeyn dürfe, ſobald dieſe in’s Daſeyn getreten wäre. Die
conſequente Durchführung dieſer Anſicht führt dahin, die
Abänderung eines Geſetzes durch neueres Volksrecht (abro-
gatoriſche Gewohnheit) für unmöglich zu halten. Erkennt
man aber in beiden Formen der Rechtsbildung eine gleiche,
ſelbſtſtändige Würde an, ſo muß es einleuchten, daß die
natürliche fortbildende Kraft des Volksrechts nicht durch
den an ſich zufälligen Umſtand aufgehoben werden kann,
wenn ein früheres Erzeugniß deſſelben die Form der Ge-
ſetzgebung angenommen hat.
Außer dem Inhalt des Geſetzes, von welchem bisher
die Rede war, iſt nun auch noch die Form deſſelben in
beſondere Erwägung zu ziehen. Dieſe wird eben ſowohl
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/99>, abgerufen am 24.11.2024.
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