Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
verhältnisse mit den Rechtsinstituten führt leicht zu einer
Vermischung derselben mit den Entstehungsgründen der
Rechtsregeln. Will man z. B. die Bedingungen irgend
eines Rechtsverhältnisses vollständig aufzählen, so gehört
dazu unzweifelhaft sowohl das Daseyn einer Rechtsregel,
als eine dieser Regel entsprechende Thatsache, also z. B.
ein Gesetz, welches die Verträge anerkennt, und ein ge-
schlossener Vertrag selbst. Dennoch sind diese beiden Be-
dingungen specifisch verschieden, und es führt auf Ver-
wirrung der Begriffe, wenn man Verträge und Gesetze
auf Eine Linie als Rechtsquellen stellt (b.).

2. Eine andere, mehr durch den Namen begründete,
Verwechslung ist die der Rechtsquellen mit den geschicht-
lichen Quellen der Rechtswissenschaft. Zu diesen gehören
alle Denkmäler, woraus wir die Kenntniß rechtswissen-
schaftlicher Thatsachen schöpfen. Beide Begriffe sind also
von einander ganz unabhängig, und es ist nur zufällig,
wenn sie auf irgend einem Punkte zusammentreffen, ob-
gleich dieses Zusammentreffen besonders häufig und wich-
tig ist. So z. B. gehören Justinians Digesten zu den
Quellen in beiden Bedeutungen des Ausdrucks: die Lex

(b.) Diese Zusammenstellung
findet sich unter andern, der
Neuern nicht zu gedenken, in
mehreren Stellen des Cicero (s.
u. §. 22. Note m.). Wie hier
die Verträge mit Unrecht zu den
Rechtsquellen hinaufgehoben wer-
den, so werden anderwärts mit
umgekehrter Verwirrung die Ge-
setze in Eine Reihe mit den Ent-
stehungsgründen der Rechtsver-
hältnisse heruntergezogen, um die
falsche Lehre vom Titulus und
modus adquirendi zu retten.
Höpfner Commentar §. 293.
Zu jenem ersten Irrthum hat
viel beigetragen der vieldeutige
Ausdruck Autonomie.

Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
verhältniſſe mit den Rechtsinſtituten führt leicht zu einer
Vermiſchung derſelben mit den Entſtehungsgründen der
Rechtsregeln. Will man z. B. die Bedingungen irgend
eines Rechtsverhältniſſes vollſtändig aufzählen, ſo gehört
dazu unzweifelhaft ſowohl das Daſeyn einer Rechtsregel,
als eine dieſer Regel entſprechende Thatſache, alſo z. B.
ein Geſetz, welches die Verträge anerkennt, und ein ge-
ſchloſſener Vertrag ſelbſt. Dennoch ſind dieſe beiden Be-
dingungen ſpecifiſch verſchieden, und es führt auf Ver-
wirrung der Begriffe, wenn man Verträge und Geſetze
auf Eine Linie als Rechtsquellen ſtellt (b.).

2. Eine andere, mehr durch den Namen begründete,
Verwechslung iſt die der Rechtsquellen mit den geſchicht-
lichen Quellen der Rechtswiſſenſchaft. Zu dieſen gehören
alle Denkmäler, woraus wir die Kenntniß rechtswiſſen-
ſchaftlicher Thatſachen ſchöpfen. Beide Begriffe ſind alſo
von einander ganz unabhängig, und es iſt nur zufällig,
wenn ſie auf irgend einem Punkte zuſammentreffen, ob-
gleich dieſes Zuſammentreffen beſonders häufig und wich-
tig iſt. So z. B. gehören Juſtinians Digeſten zu den
Quellen in beiden Bedeutungen des Ausdrucks: die Lex

(b.) Dieſe Zuſammenſtellung
findet ſich unter andern, der
Neuern nicht zu gedenken, in
mehreren Stellen des Cicero (ſ.
u. §. 22. Note m.). Wie hier
die Verträge mit Unrecht zu den
Rechtsquellen hinaufgehoben wer-
den, ſo werden anderwärts mit
umgekehrter Verwirrung die Ge-
ſetze in Eine Reihe mit den Ent-
ſtehungsgründen der Rechtsver-
hältniſſe heruntergezogen, um die
falſche Lehre vom Titulus und
modus adquirendi zu retten.
Höpfner Commentar §. 293.
Zu jenem erſten Irrthum hat
viel beigetragen der vieldeutige
Ausdruck Autonomie.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0068" n="12"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">II.</hi> Allg. Natur der Quellen.</fw><lb/>
verhältni&#x017F;&#x017F;e mit den Rechtsin&#x017F;tituten führt leicht zu einer<lb/>
Vermi&#x017F;chung der&#x017F;elben mit den Ent&#x017F;tehungsgründen der<lb/>
Rechtsregeln. Will man z. B. die Bedingungen irgend<lb/>
eines Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;es voll&#x017F;tändig aufzählen, &#x017F;o gehört<lb/>
dazu unzweifelhaft &#x017F;owohl das Da&#x017F;eyn einer Rechtsregel,<lb/>
als eine die&#x017F;er Regel ent&#x017F;prechende That&#x017F;ache, al&#x017F;o z. B.<lb/>
ein Ge&#x017F;etz, welches die Verträge anerkennt, und ein ge-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener Vertrag &#x017F;elb&#x017F;t. Dennoch &#x017F;ind die&#x017F;e beiden Be-<lb/>
dingungen &#x017F;pecifi&#x017F;ch ver&#x017F;chieden, und es führt auf Ver-<lb/>
wirrung der Begriffe, wenn man Verträge und Ge&#x017F;etze<lb/>
auf Eine Linie als Rechtsquellen &#x017F;tellt <note place="foot" n="(b.)">Die&#x017F;e Zu&#x017F;ammen&#x017F;tellung<lb/>
findet &#x017F;ich unter andern, der<lb/>
Neuern nicht zu gedenken, in<lb/>
mehreren Stellen des Cicero (&#x017F;.<lb/>
u. §. 22. Note <hi rendition="#aq">m.</hi>). Wie hier<lb/>
die Verträge mit Unrecht zu den<lb/>
Rechtsquellen hinaufgehoben wer-<lb/>
den, &#x017F;o werden anderwärts mit<lb/>
umgekehrter Verwirrung die Ge-<lb/>
&#x017F;etze in Eine Reihe mit den Ent-<lb/>
&#x017F;tehungsgründen der Rechtsver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e heruntergezogen, um die<lb/>
fal&#x017F;che Lehre vom <hi rendition="#aq">Titulus</hi> und<lb/><hi rendition="#aq">modus adquirendi</hi> zu retten.<lb/><hi rendition="#g">Höpfner</hi> Commentar §. 293.<lb/>
Zu jenem er&#x017F;ten Irrthum hat<lb/>
viel beigetragen der vieldeutige<lb/>
Ausdruck <hi rendition="#g">Autonomie</hi>.</note>.</p><lb/>
            <p>2. Eine andere, mehr durch den Namen begründete,<lb/>
Verwechslung i&#x017F;t die der Rechtsquellen mit den ge&#x017F;chicht-<lb/>
lichen Quellen der Rechtswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft. Zu die&#x017F;en gehören<lb/>
alle Denkmäler, woraus wir die Kenntniß rechtswi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftlicher That&#x017F;achen &#x017F;chöpfen. Beide Begriffe &#x017F;ind al&#x017F;o<lb/>
von einander ganz unabhängig, und es i&#x017F;t nur zufällig,<lb/>
wenn &#x017F;ie auf irgend einem Punkte zu&#x017F;ammentreffen, ob-<lb/>
gleich die&#x017F;es Zu&#x017F;ammentreffen be&#x017F;onders häufig und wich-<lb/>
tig i&#x017F;t. So z. B. gehören Ju&#x017F;tinians Dige&#x017F;ten zu den<lb/>
Quellen in beiden Bedeutungen des Ausdrucks: die Lex<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0068] Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen. verhältniſſe mit den Rechtsinſtituten führt leicht zu einer Vermiſchung derſelben mit den Entſtehungsgründen der Rechtsregeln. Will man z. B. die Bedingungen irgend eines Rechtsverhältniſſes vollſtändig aufzählen, ſo gehört dazu unzweifelhaft ſowohl das Daſeyn einer Rechtsregel, als eine dieſer Regel entſprechende Thatſache, alſo z. B. ein Geſetz, welches die Verträge anerkennt, und ein ge- ſchloſſener Vertrag ſelbſt. Dennoch ſind dieſe beiden Be- dingungen ſpecifiſch verſchieden, und es führt auf Ver- wirrung der Begriffe, wenn man Verträge und Geſetze auf Eine Linie als Rechtsquellen ſtellt (b.). 2. Eine andere, mehr durch den Namen begründete, Verwechslung iſt die der Rechtsquellen mit den geſchicht- lichen Quellen der Rechtswiſſenſchaft. Zu dieſen gehören alle Denkmäler, woraus wir die Kenntniß rechtswiſſen- ſchaftlicher Thatſachen ſchöpfen. Beide Begriffe ſind alſo von einander ganz unabhängig, und es iſt nur zufällig, wenn ſie auf irgend einem Punkte zuſammentreffen, ob- gleich dieſes Zuſammentreffen beſonders häufig und wich- tig iſt. So z. B. gehören Juſtinians Digeſten zu den Quellen in beiden Bedeutungen des Ausdrucks: die Lex (b.) Dieſe Zuſammenſtellung findet ſich unter andern, der Neuern nicht zu gedenken, in mehreren Stellen des Cicero (ſ. u. §. 22. Note m.). Wie hier die Verträge mit Unrecht zu den Rechtsquellen hinaufgehoben wer- den, ſo werden anderwärts mit umgekehrter Verwirrung die Ge- ſetze in Eine Reihe mit den Ent- ſtehungsgründen der Rechtsver- hältniſſe heruntergezogen, um die falſche Lehre vom Titulus und modus adquirendi zu retten. Höpfner Commentar §. 293. Zu jenem erſten Irrthum hat viel beigetragen der vieldeutige Ausdruck Autonomie.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/68
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/68>, abgerufen am 21.11.2024.